50 Jahre Volkslauf in Schleswig-Holstein
Hier im Norden der Bundesrepublik begann es mit den Volksläufen erst richtig ab 1967. Teilweise waren es Familienfeste: Die Menschen machten einen Sonntagsausflug mit den Kindern und freuten sich über die schöne schleswig-holsteinische Landschaft und auf die neuen Bekanntschaften. Nach den Wettkämpfen saßen wir noch eine Weile bei Bratwurst, Kaffee und Kuchen zusammen. Den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern verdanken sie die gute Stimmung und so manches Gramm auf den Hüften. Diese Gewohnheit des Zusammentreffens wurde rasch zu einem Anziehungspunkt eines Volksläufers.
Kuchen, Wurst und Stimmung wurden neben Strecke und Wettkampf zu den Auswahlkriterien für die sportlerische Wochenendplanung. So haben viele Familien neue Freundschaften geschlossen, viele Städte und Dörfer kennengelernt und so manche Kuriosität erlebt. Neben Kühen und Schafen, Deichen und Hügeln gab es aber auch die wachsende Zahl der Urlauber, die im Norden strandeten.
Große Volkslauf-Familie
Es folgten Einladungen zu Veranstaltungen im nahen Umfeld: Lüneburg, Braunschweig und sogar ans Ende der Republik, nach Füssen. Die Nordlichter entdeckten die breitensportliche Welt in Deutschland. Mit dem Laufe der Zeit konnten dann auch Kinderwagen, Sportkarre und Fahrrad der Kinder bei Seite gestellt werden. Dem Volkswandern folgte dann das Laufen auf kürzeren Strecken. Von der Stadionrunde bis zum Tierparklauf, immer eine Medaille oder Anerkennung im Ziel – es war eine große Volkslauffamilie.
Besonders erwähnen muss man die Veranstalter und ihre vielen Helfer. Viele haben sich einen Namen gemacht. Nicht nur in der norddeutschen Leichtathletik sondern auch für den DLV. Der erste Volkslaufwart in Schleswig-Holstein war Konrad (Konni) Dibbern. Mit anderen zusammen gründete er den Härtefonds und verwaltete diesen eine lange Zeit. In mühsamer Kleinstarbeit sammelte er von jedem Veranstalter in der Bundesrepublik den Beitrag pro Teilnehmer im Ziel ein. 5 Pfennige, das Startkapital für den solidarischen Beistand der Sportgemeinde im Todesfall. Schon damals, ohne die Vorzüge von E-Mail, Tabellenkalkulation und Online-Banking, ging es um Statistiken, Zahlungsmoral und entsprechenden Schriftverkehr.
Gesundheit als teures Gut erkannt
Mit seinem Wegzug in Richtung Würtemberg übergab Konni Dibbern das Amt des Volkslaufwartes an Dr. Horst Seelemann aus Kiel ab. Es folgte eine bewegte Zeit, mit spannenden Wettkämpfen und der Unterscheidung in Volks- und Straßenläufe. Die Technik und die Gerätschaften entwickelten sich. Die Trainingsmethoden veränderten sich und der Geist der Olympischen Spiele von München schwappte auch in den Breitensport über. Damals wie heute aktuelle Themen hielten Einzug in den Breitensport.
Gesundheit als teures Gut trat neben dem Motto der Leichtathletik (höher, weiter, schneller) in den Fokus. Die „Trimm Dich“-Bewegung kam auch im Norden an. Kurse wurden angeboten und mehr oder weniger mit dem Volkslauf in Verbindung gebracht. Der Verein und die Laufgruppe waren die Bezugspunkte dieser Zeit.
Volkslauf-Kalender wurde zum Herzstück
Herzstück der Volkslaufbewegung aber war der Kalender. Ausgehandelt in der sogenannten „Volkslaufbörse“ zwischen den Veranstaltern galt es diesen so schnell wie möglich in den Umlauf zu bringen, damit der breitensportliche „Wettkampfkalender“ als Orientierung für den Trainingsplan stand. Fotoleisten für die Ausschreibungen und Stempel auf Veranstaltungskarten, ebenso wie Abzeichen für Teilnahmen, zählten zu den kleinen, aber wichtigen Dingen in der Läuferszene des Nordens.
So mancher Keller im Norden ist geschmückt mit Pokalen, Urkunden und Medaillen. Einige der lokalen Wettkämpfe der 1980er und 1990er finden sich auch noch in den lokalen Zeitungsarchiven oder dem Verbandsorgan der schleswig-holsteinischen Leichtathletikverbandes (Startschuß). Eine Zeit der Lauftreffs und der Marathonbewegung begann.
1985 erstellte den „Volkslaufkalender Schleswig-Holstein“ erstmals Konrad Schmidt (Kiel), welcher auch 1992 das Amt des Härtefondsverwalters übernahm. Selbst als Läufer auf der Bahn und im Gelände unterwegs, brachte er es wie viele seiner Mitstreiter auf nahezu 600 Volksläufe.
Neuer Schwung im neuen Jahrtausend
2006 gab Konrad Schmidt sein Amt aus gesundheitlichen Gründen ab. Mit mehr als 20 Jahren Verbandsarbeit für den Volkslauf, der jährlichen Organisation der Volkslaufbörse, der Verwaltung des Härtefonds für ganz Deutschland und dem Besuch von bis zu 30 Läufen im Jahr ging eine Ära zu Ende, welche von vielen Seiten mit Auszeichnungen bedacht wurde.
Auf der Veranstalterseite begannen im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts die großen Jubiläen. Einige Veranstaltungen begingen ihren 40. Geburtstag, aber auch neue Läufe kamen hinzu. Alte Strecken wurden reaktiviert, mancher Rekord gebrochen und dankenswerte Weise übernahm auch so manche Frau die Leitung der Veranstaltung. Neuer Schwung, wie mancher zu bemerken wusste.
Event der Sponsoren
Trotz aller Technik und der Routine gibt und gab es immer wieder Herausforderungen: Nachmelder in großer Zahl, Urkunden und Ergebnislisten zeitgerecht bereitstellen oder eben auch die Siegerehrung möglichst schon im Ziel. Das Familienfest von einst, getragen durch die Vereine mit ihren freiwilligen Helferinnen und Helfern hat sich, wie die Familien auch, gewandelt. Wie die Preise sich von Goldmedaillen für die Erstplatzierten über Becher und T-Shirts für jeden Finisher bis zum Preisgeld für die geladenen Gastläufer entwickelten, so wurde aus dem Familientag das Event der Sponsoren.
Zwar immer noch zwischen Kühen, Dünen und Windrädern, jedoch meist in Größenordnungen bei denen der Blick auf die Starter- oder Ergebnisliste oftmals länger als der Wettkampf dauert. 2012 fand die erste Veranstaltung mit über 10.000 Zieldurchläufern in Kiel statt.
Nordlichter sind Volksläufer
Bei den Streckenlängen hingegen bewiesen die Nordlichter hingegen Standhaftigkeit. Der Marathonboom machte wohl in Hamburg halt oder fand zumindest nicht den Zuspruch in der Fläche wie in anderen Ländern. Die konstante Zahl von um die 130 Veranstaltungen mit über 75.000 Teilnehmern im Jahr, zumeist nur an den Wochenenden und selten zu den großen Sommerferien, beweist, die Schleswig-Holsteiner sind nicht nur Segler oder Reiter. Sie sind auch ambitionierte Volksläufer. Ob es in Zukunft mehr werden?
Die Prognose bleibt schwierig, denn der einst angenommene Rückgang von Veranstaltungen und Teilnehmerzahlen durch Anstieg der Startgebühren von 2 DM auf nun mittlerweile über 10 Euro im Durchschnitt hat sich nicht bewahrheitet. Die Kostenkalkulation bleibt auch weiterhin eines der erfolgversprechenden Geheimnisse der Veranstalter im Norden.
Fasst man die Entwicklung der letzten 50 Jahre für den Volkslauf im Land zwischen den Meeren zusammen, so zeichnet sich ein Bild des langsameren, aber beständigen Wandels. Stets unter der Obhut erfahrener Veranstalter und einer beständigen Zahl gerne wiederkehrender Athleten rückte der Verein zwar etwas in den Hintergrund, doch das Laufen nie. Mögen noch viele Kilometer der schönen Landschaft zwischen den Inseln in West und Ost, unseren Nachbarn in Skandinavien und der Elbe belaufen werden. Es lohnt sich auf jeden Fall.
Autoren: K. u. S. Schmidt (Volkslaufwarte 1985 – 2014)