100. Geburtstag: Jesse Owens schrieb Geschichte
Er war der Enkel eines Sklaven und wurde als zehntes von elf Kindern eines Baumwollpflückers aus Chicago geboren. Das alles konnte den blitzschnellen Sportler nicht bremsen. Der Ausnahmeathlet war seiner Zeit voraus, stellte großartige Weltrekorde auf und wurde zum Symbol der Schwarzen gegen Rassismus. Vor 100 Jahren wurde James Cleveland Owens, den alle nur Jesse nannten, geboren.
Am 12. September vor genau 100 Jahren wurde in Oakville/Alabama eine der größten Legenden der Leichtathleten geboren. Viele Medien werden an diesen besonderen Tag erinnern und den Athleten, der Sportgeschichte geschrieben hat, hochleben lassen. Seine Nachfahren haben dagegen wenig zu feiern. Marlene Owens-Rankin, eine seiner Töchter, klagte zuletzt: „Die Grundschule an der Ecke 125th Street/Jesse Owens Drive, die unser Vater in Chicago besuchte, heißt seit einiger Zeit nicht mehr Jesse Owens Elementary School, sondern Gompers South School. Mein Vater hätte Besseres verdient!“Es ist jene Schule, auf der Owens seine Identität erhielt, als ein Lehrer den später weltberühmten Vornamen „Jesse“ prägte. Der Sohn eines ehemaligen Baumwollpflückers hatte sich in der Schule nicht mit seinem vollen Vornamen James Cleveland, sondern mit den Initialen „J.C.“ vorgestellt, der Lehrer verstand „Jesse“ und blieb dabei. Als auch seine Mitschüler ihn so nannten, hatte der kleine Junge seinen neuen Namen weg.
Zum Star wurde er erst viele Jahre später. Es dauerte genau 46 Minuten, die Owens am 25. Mai 1935 in Ann Arbor, einer Universitätsstadt im US-Staat Michigan, benötigte, um sechs Weltrekorde aufzustellen, die ihn weltbekannt machten. „Nennen wir ihn nicht mehr Jesse Owens Ohio State University, sondern Jesse Owens USA“, rief der Ansager mit Begeisterung ins Mikrophon, nachdem der 21-Jährige im Ferry Field wie in einem Rausch in vier Wettkämpfen diese sechs Bestmarken auf- oder eingestellt hatte.
„Wunderheilung“ im Wettkampf
Später erzählte Owens über diese Blitzaktion: „Es war eine sonderbare Sache: Mein Rücken schmerzte so sehr, dass ich mit einem Auto ins Stadion gebracht werden musste. Aber beim Start zum 100-Yards-Lauf waren die Schmerzen plötzlich vorbei. Ich kam durch die vier Wettkämpfe, als würde ich schweben. Kaum war ich im Ziel des Hürdenlaufs, kehrten die Schmerzen zurück.“
Sonderbar, aber damals üblich war, dass bei diesen „Big 10 Meisterschaften“ die schwarzen Studenten im Gegensatz zu den weißen Sportlern nicht auf dem Campus der Universität von Michigan übernachten durften, sondern in einem schäbigen Hotel untergebracht waren. Vor und nach dem „Tag der Tage“ hatte Owens nur ein kleines Stipendium an der Staatsuniversität von Ohio erhalten. Er musste Gelegenheitsjobs annehmen, um seiner Familie finanziell zu helfen.
Vier Olympiasiege in Berlin
Endgültig zum Superstar und zur Symbolfigur aller schwarzen Sportler wurde Jesse Owens in der Woche vom 2. bis 9. August 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin. Vier Olympiasiege feierte er über 100 Meter, 200 Meter, mit der Sprintstaffel und im Weitsprung, was nach ihm bei den Männern bislang nur Carl Lewis 1984 in Los Angeles wiederholen konnte. Nur einmal geriet der Vielfach-Weltrekordler im Olympiastadion an den Rand einer Niederlage. Einen Tag, nachdem er als erster Sprinter einem im Olympiajahr aufgestellten 100-Meter-Weltrekord (10,2 sec) auch den Olympiasieg hinzugefügt hatte (wie später nur noch Armin Hary/1960, Jim Hines/1968 und Usain Bolt/2008), begann er die Weitsprung-Qualifikation mit zwei ungültigen Versuchen.
„Die Situation war alarmierend“, hieß es dazu in der New York Times. Was dann geschah, schilderte Owens später so: „Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Luz Long, mein härtester Rivale, gab mir einen Tipp für meinen dritten Versuch.“ In Runde drei schaffte der Favorit nach einem Absprung klar vor dem Balken das verlangte Limit, um im Wettbewerb zu bleiben. Beim Finale, in dem der Leipziger Jurastudent Long im vierten Versuch mit 7,87 Metern genauso weit sprang wie der einige Monate jüngere US-Star, lagen die Rivalen gemeinsam nebeneinander auf dem Rasen. Vor den Augen von Adolf Hitler, der im Rassenwahn der Nationalsozialisten bei den Spielen eigentlich eine Demonstration der Überlegenheit der Weißen erhofft hatte. Doch Owens war der Bessere, legte 7,94 und 8,06 Meter nach. Das Bild der beiden Freunde Long und Owens aber ging um die Welt und gehört bis heute zu den meistgedruckten Fotos der olympischen Leichtathletik.
Verlängerung in Köln
Nachdem er auch über 200 Meter gewonnen und in der 4x100-Meter-Staffel als Startmann großen Anteil am letzten Weltrekord seiner Laufbahn gehabt hatte, ging seine sportliche Karriere schon knapp eine Woche später mit einem Staffellauf in London (Großbritannien) zu Ende. Vorher hatte er sich in Köln und Bochum von den deutschen Fans verabschiedet. Wie leicht sich der größte Star seiner Zeit zu einem Zusatz-Wettkampf locken ließ, zeigte sich am 10. August in Köln. Nachdem der Olympiazweite Ralph Metcalfe, der Owens über 100 Meter überraschend besiegt hatte, bei der Siegerehrung einen Lederkoffer erhalten hatte, fragte der Unterlegene: „Wenn ich nun noch im Weitsprung antrete und dort gewinne, bekomme ich dann auch einen solchen Koffer?“ Owens sprach‘s und siegte mit 7,43 Metern.
Besondere Ehrungen gab es für ihn erst Jahre später. 1955 wurde er von Präsident Dwight D. Eisenhower als Botschafter in die Welt geschickt. In die Stadt seiner olympischen Erfolge kehrte er häufig zurück. Seine Freundschaft zu Luz Long war eine besondere. Selbst nach dem Tod des deutschen Freundes im Zweiten Weltkrieg traf sich Owens mehrmals mit Kai Long, dem einzigen Sohn des Weitsprung-Europarekordmanns.
Eigene Straße in Berlin
29 Jahre nachdem der große Sportler an Lungenkrebs gestorben war, ehrte die IAAF den unvergessenen Zweikampf in Berlin auf einmalige Art. Der Weltverband lud Marlene Dortch (Enkelin von Owens) und Julia-Vanessa Long (Enkelin von Long) ein, bei der WM 2009 an der Medaillenübergabe teilzunehmen.
Das alles geschah unweit der Jesse Owens-Allee, einer Straße in der Nähe des Olympiastadions, zu deren Umbenennung im Jahr 1983 Ruth, die Witwe von Owens, und die Töchter eingeladen waren, die jetzt dafür kämpfen, dass der Name „Jesse Owens“ auch in Chicago überlebt.
Quelle: leichtathletik, Ihre Fachzeitschrift