Eunice Barber hängt in der Warteschleife
Es ist ein Kreuz mit ihrem Rücken. Eunice Barber kommt nicht auf die Beine. „Ich habe zurzeit keine konkreten Wettkampfpläne“, erklärte die 27-jährige Siebenkämpferin beim Treffen der französischen Nationalmannschaft in Fontainebleau, „und bin weiterhin in der Reha. Zur EM in München möchte ich nichts sagen. Das ist momentan zu früh.“
Eunice Barber ist weiter im Pech
Der Ermüdungsbruch im Lendenbereich, den sie sich bereits im vergangenen Herbst eingefangen hat, ist immer noch nicht ausgeheilt. Eunice Barber hängt in der Warteschleife: zwischen Bangen und Hoffen. Die Zeit rennt davon. „Ich muss die Situation mit meinem Arzt analysieren.“ Wenn ihre Konkurrentinnen bei den Mehrkampf-Meetings in Götzis, wo sie zuletzt zwei Mal in Folge gewonnen hat, und in Ratingen auf Punktejagd gehen, schiebt sie Frust vorm Fernseher. Ihre Leidenszeit, so scheint es, nimmt einfach kein Ende.Jetzt kommt es wirklich knüppeldick. Jetzt lernt sie die Schattenseiten kennen. „Es ist schon ein blödes Gefühl, wenn dir das Verletzungspech ständig hinterher läuft.“ Dabei hat sie sonst stets auf der Sonnenseite gestanden. Denn Eunice Barber ist dem Elend entflohen.
Gebürtig kommt sie aus Sierra Leone, einem kleinen Entwicklungsland in Afrika, in dem der Bürgerkrieg tobt. Aufgewachsen ist sie in Freetown. Noch heute leben dort ihr Vater und ihre Mutter, die einst als Platzwartin im Stadion von Freetown die schmale Haushaltskasse aufgebessert hat. „Die Gewalt nimmt immer größere Ausmaße an“, klagte sie, „da zu leben, ist sehr bedrohlich.“
Vom Fußball zur Leichtathletik
Eunice Barber hat ihrer Heimat längst den Rücken gekehrt, denn im Anschluss an die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona siedelte sie um nach Frankreich und landete in der Champagner-Stadt Reims, wo sie erst einmal die englische und dann auch die französische Sprache lernte.
Dominique Dufour, ein französischer Diplomat hatte sie einst in einer Schule in Freetown entdeckt. Damals spielte sie noch Fußball. Doch erkannte er sogleich ihr großes Talent und schickte sie zu Trainingsaufenthalten nach Frankreich. Dabei traf Eunice Barber auch Christian Plaziat, den Ex-Europameister im Zehnkampf, den sie bewunderte und dem sie nacheifern wollte.
Aber die EM-Krone, die Plaziat 1990 in Split eroberte, bleibt für Eunice Barber wohl ein Wunschtraum. Dass es noch klappen wird mit München, Schauplatz der Europameisterschaften im August, ist kaum zu erwarten. Auch wenn sie ihren Optimismus nicht verloren hat. „Ich trainiere schon wieder auf dem Rad“, deutete sie leichte Fortschritte an, „daran war vor einigen Monaten noch nicht zu denken.“ Gleichwohl weiss sie selber, dass es töricht wäre, in dieser Saison nach den Sternen zu greifen. „Natürlich habe ich das Potenzial, um im Siebenkampf Großes zu leisten“, erklärte Eunice Barber, „aber ich muss vorsichtig sein und darf nicht zu früh beginnen.“ Blinder Ehrgeiz schadet nur.
Weiterhin vom Pech verfolgt
Nicht mal ein Jahr nach ihrem frühen Ausscheiden, als sie bei der WM in Edmonton, nach den ersten beiden Disziplinen in Führung liegend, einen rabenschwarzen Tag erwischte und mit drei ungültigen Versuchen im Kugelstoßen frühzeitig Abschied nahm, bleibt ihr das Pech ein ständiger Wegbegleiter. „In dieser Saison müsste ich mich eigetlich verstärkt auf die Einzelwettbewerbe konzentrieren“, meinte Eunice Barber, die im Februar 1999 die französische Staatsbürgerschaft erhalten und noch im gleichen Jahr im Dress der „Equipe Tricolore“ den WM-Titel in Sevilla gewonnen hat, „ich denke dabei an die 100 Meter, den Weitsprung und die 110 Meter Hürden, bevor ich wieder einen Siebenkampf in Angriff nehme.“
Keine Alternative außer Warten
Eunice Barber will wohl, aber sie darf nicht. „Was soll ich tun?“ fragt sie verzweifelt. „Mir bleibt nichts anderes übrig als zu warten.“ Sie kann es kaum erwarten. Sie weilt in Paris, verschlägt sich die Zeit mit Gesangs- und Schauspielunterricht und wartet sehnsüchtig auf den Augenblick, an dem der „Doc“ sein Okay gibt. Dann wird die ehrgeizige Französin sofort in den Flieger steigen. Und ab geht’s in die USA! Ins sonnige Kalifornien zu Bob Kersee, dem Ehemann von Jackie Joyner-Kersee, der erfolgreichsten Mehrkämpferin aller Zeiten. Mit Kersee, dem berühmten Coach aus Los Angeles, arbeitet Barber eng zusammen.
Beide harmonieren prima miteinander, senden auf einer Wellelänge. Er wird sie bei ihrem Comeback unterstützen, damit seine kühne Vorhersage eintrifft, die Kersee zu Beginn ihrer Kooperation getroffen hat, eines nicht mehr fernen Tages wahr wird: „Eunice Barber kann den Weltrekord brechen.“ Den hält seit zwölf Jahren seine bessere Hälfte, Jackie Joyner-Kersee, mit 7291 Punkten, aufgestellt im September 1988 bei ihrem Olympia-Triumph in Seoul.