Gete Wami - Die Power-Frau läuft Marathon
Eine der großen Gegenspielerinnen von Paula Radcliffe zieht's auch auf die Straße. Gete Wami, die Power-Frau aus Äthiopien, feiert am Sonntag ihr Marathon-Debüt in Amsterdam. Nach der Absage von Tegla Loroupe, die in Lausanne laufen wird, zauberte Jos Hermens ein neues Trumpf-As aus dem Ärmel: Gete Wami, eine Allrounderin, die überall zur Weltspitze zählt.
Gete Wami nimmt den Marathon in Angriff
Ob im Cross, auf der Bahn, sei es im Freien oder unterem Hallendach, sie findet sich auf jedem Untergrund zurecht. Auf hartem Asphalt, so Hermens Hoffnung, werde sie ihre Erfolgsserie fortsetzen.Die Duelle mit Paula Radcliffe sind noch in guter Erinnerung. Wie anno 2001 auf dem knöcheltiefen Kurs im Wellington Hippodrom von Ostende, wo ein strammer Nordost-Wind wehte und kühlschrank-ähnliche Temperaturen verbreitete. Dort fühlte sie sich völlig fehl am Platze und verlor das Duell gegen Paula Radcliffe.
Ihr lag das rauhe Meeresklima weit weniger als der kühlen Engländerin, die auf der Langstrecke, der Königsdiziplin" bei den 29. World Cross Country Campionships", triumphierte. Es ist viel zu kalt", seufzte Wami, die Zweitplatzierte mit drei Sekunden Rückstand, die bei diesem lausigen Wetter ihr sonst so sonniges Gemüt eingebüßt hatte, da macht mir das Laufen keinen Spaß."
Gestärkt zurück gekehrt
Die knappe Niederlage, dann auch noch auf den letzten Metern gegen die spurtschwach gescholtene Radcliffe, die sie bisher stets nach allen Regeln der Kunst vernascht hatte, schien ihr damals den Glauben an das eigene Leistungsvermögen geraubt zu haben. Doch nachdem sie eine Nacht über das verkorkste Rennen geschlafen hatte, kehrte Gete Wami gestärkt zurück, übte eindrucksvoll Revanche an ihrer Konkurrentin und holte sich auf der kurzen Distanz dank einer Hinhaltetaktik (Ich habe meinen Spurt erst kurz vorm Ziel angezogen") die heiß ersehnte Goldmedaille, die dritte in ihrer stattlichen Sammlung, denn 1996 in Kapstadt und 1999 in Belfast thronte sie bereits hoch oben auf dem Siegerpodest.
Mit ihren 155 Zentimetern Körpergröße und 46 Kilo Gewicht wirkt Gete Wami so klein und zerbrechlich, dass man sie am liebsten vorsorglich auf den Arm nehmen und behutsam ins Ziel tragen würde. Aber das ist gar nicht nötig, denn die 28-jährige Afrikanerin, die rein figürlich einem schmalen Handtuch gleicht, ist ein wohl zierliches, aber äußerst zähes Persönchen mit eisernem Willen und unglaublicher Puste. Sie ist ehrgeizig und zielstrebig", sagte Bezahib Wolde, Generalsekretär von der Ethiopian Athletic Federation", dem nationalen Verband, auf Gete kann man sich hundertprozentig verlassen." Was sie macht, macht sie gründlich.
Lohn harter Arbeit
Gete Wami hat in ihrem Leben nichts geschenkt bekommen und sich alles hart erarbeiten müssen. Aufgewachsen ist sie mit ihren beiden Brüdern und drei Schwestern in Debre Berhan, einem Ort mit etwa 9000 Einwohnern, der 2840 Meter über dem Meer liegt. Dort oben, im Hochland des Nilquellengebiets, verdient sich ihr Vater seinen kargen Unterhalt als Rinderzüchter.
Laufen kann manchmal hart sein", sagte Gete Wami, doch die Arbeit auf einer Farm ist noch viel, viel härter." Beruflich muss sie sich nicht sorgen um die Zukunft. Als Polizei-Angestellte ist ihr ein festes Einkommen sicher. Momentan schiebt sie allerdings keinen Dienst nach Vorschrift, höchstens Training nach Anweisung. Meist läuft sie im Nationalstadion von Addis Abeba oder auf der einstigen Pferderennbahn Jan Mede oder einige Kilometer hinaus vor der Hauptstadt, wo sich die besten Leichtathleten Äthiopiens niedergelassen haben.
Stets im Höhentraining
Während die Europäer sich für einige Wochen in Davos oder St. Moritz aufhalten, um in dünner Höhenluft die Produktion von roten Blutkörperchen anzureichern und dadurch mehr Sauerstoff aufnehmen zu können, ist sie stets im Höhentraining, was natürlich von unschätzbarem Vorteil ist.
Schon 1992, als sie sich mit den besten Nachwuchstalenten, zu denen damals auch Haile Gebrselassie zählte, auf die Junioren-WM in Seoul 1992 vorbereitete, war Gete Wami nach Addis Abeba gezogen. Aber den Kontakt zu meinen Eltern und meinen Geschwistern habe ich nie abreißen lassen", betonte sie, wann immer sich die Möglichkeit bot, habe ich sie besucht." Von Addis Abeba, einem Schmelztiegel, in dem weit über zwei Millionen Menschen leben, ist Debre Berhan in vier bis fünf Stunden mit dem Bus zu erreichen.
Es wurde ein Full-Time-Job
Gete Wami trifft sich, wie sie selbst bedauert, viel zu selten mit dem Rest der Familie, denn der Sport ist für sie längst zum Full-Time-Job geworden. Sie ist eine Pendlerin zwischen den Kontinenten, steigt im Bole Interntional Airport von Addis Abeba regelmäßig in den Flieger, natürlich Business Class, und lässt sich den großen Duft der weiten Welt um die Nase wehen.
Jos Hermens ist ihr Manager und Mentor, mit dem sie sich prima versteht. Wenn ich in Europa starte", erklärte Gete Wami, halte ich mich immer in Holland auf. Das ist ideal!" Wie die meisten von etwa 150 Athleten aus 26 Ländern, die Hermens durch seine 1985 gegründete Agentur Global Sports Communication" betreut, wohnt sie dann in dem eher unscheinbaren Dörfchen Uden, das auf halbem Wege zwischen Eindhoven und Nimwegen liegt. Uden ist mein zweites Zuhause", bemerkte sie mit breitem Grinsen, obwohl ich mich im Winter wohl nie an den Schnee gewöhnen werde."
Getaneh Tessema, der inzwischen die holländische Staatsbürgerschaft angenommen hat, ist ihr Ehemann. Früher war er ein guter Marathonläufer mit einer Bestzeit von 2:14:58 Stunden, aufgestellt im Oktober 1994 in Eindhoven. Heute ist er Athletenbetreuer bei der Global Sports Communication" und kümmert sich vorwiegend um die Spezialisten im Cross- und Straßenlauf. Im November 1999, zwei Monate nach ihrem Triumph bei der WM in Sevilla, wo sie im 10.000-Meter-Finale Gold gewann vor ihrer Dauer-Rivalin Paula Radcliffe, hatten die beiden geheiratet. Fünf Tage lang feierten sie dieses freudige Ereignis mit tausend Gästen, die dem trauten Paar gratulierten.
Gete Wami muss sich nicht mehr verstecken
Nach ihrem Coup im Jahr 2001 in Ostende, wo sie mit zwei Gold- und zwei Silbermedaillen in Einzel- und Mannschaftswertung zur erfolgreichsten Teilnehmerin aus immerhin 69 Nationen avancierte, ist Gete Wami in ihrer Heimat beliebter denn je. Sie muss sich nicht mehr verstecken hinter den Glanztaten von Abebe Bikila, Mamo Wolde, Miruts Yifter, Haile Gebrselassie oder Derarta Tulu, die allesamt in ihrer Karriere schon olympisches Gold gewonnen haben. Wami, eine der weltbesten Läuferinnen über 5000 Meter (14:30,88 min) und 10.000 Meter (30:22,48 min), sammelte bislang Silber und zwei Mal Bronze bei den Spielen in Atlanta und Sydney. Sie ist ein Vorbild", sagte Bezahib Wolde, gerade für den Nachwuchs."
Die jungen Mädchen träumen davon, so zu werden wie sie. So schnell und so ausdauernd. Sie wollen Fabelzeiten laufen, wie es Gete Wami, WM-Dritte über 10.000 Meter in Edmonton 2001, übrigens acht Hundertstel vor Paula Radcliffe, noch im Februar 2001 beim Dortmunder Indoor-Meeting" mit neuem Afrika-Rekord über 5000 Meter (14:49,36 min) eindrucksvoll vorgemacht hat.
Sie möchten die Welt erobern. Sie sind mittellos und werden getragen von ihrer Begeisterung, denn sie wollen nur eins: raus aus dem Armenhaus Äthiopien, dem größten Land Ostafrikas, das immer wieder von Hungersnöten und Katastrophen gebeutelt wird.
Ulrich Hörnemann