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Kristin Pudenz – Endlich erste Reihe, endlich WM

Gleich 13 Athleten haben bei den Deutschen Meisterschaften im Sommer den ersten nationalen Titel ihrer Karriere gefeiert. Unter ihnen sind einige neue Gesichter und andere, die schon länger zur DLV-Spitze zählen. leichtathletik.de erzählt, wie sie es ganz oben aufs Podest im Berliner Olympiastadion geschafft haben, heute geht es um Diskuswerferin Kristin Pudenz (SC Potsdam).
Jan-Henner Reitze

Kristin Pudenz
SC Potsdam

Bestleistung:

Diskuswurf: 64,37 m (2019)

Erfolge:

Bronze U23-EM 2015
Vierte U23-EM 2013
Universiade-Siegerin 2017
Deutsche Meisterin 2019

Weltklasse aber dennoch in der zweiten Reihe. Diesen Status hatte Kristin Pudenz von Beginn an ihrer Karriere inne. Schon als U20-Athletin schleuderte sie den Diskus auf 57,74 Meter. Diese Weite hätte bei allen U20-Weltmeisterschaften in diesem Jahrtausend zu einer Medaille gereicht, wenn nicht sogar zum Titel, außer im Jahr 2012. Damals holte Anna Rüh (SC Magdeburg; 62,38 m) Gold vor Shanice Craft (MTG Mannheim; 60,42 m).

Diese beiden Athletinnen wurden wie die Potsdamerin im Jahr 1993 geboren und schnappten ihr Jahr für Jahr die beiden Startplätze bei großen Nachwuchsmeisterschaften weg. Erst in der U23, als es drei Startplätze gab, durfte auch Kristin Pudenz mit, die nach Rang vier 2013 zwei Jahre später den DLV-Sweep perfekt machte. Ein deutlicher Nachweis, dass auch die so oft Daheimgebliebene beim Jahreshöhepunkt mitmischen kann, so sie denn die Möglichkeit dazu bekommt.

Mit Rolle hinter den Allerbesten abgefunden?

„Einerseits war es natürlich ärgerlich, dass ich in der Jugend die internationalen Meisterschaften verpasst habe“, blickt die 26-Jährige zurück. „Andererseits motiviert es auch. Ich habe oft mit Anna und Shanice zusammentrainiert. Ich glaube, ohne diese Konkurrenz-Situation, hätte ich mich nicht so entwickelt.“

Und die Konkurrenz wurde in der Frauenklasse noch stärker. Obwohl Kristin Pudenz seit dem Jahr 2014 immer unter den Top 15 in Europa stand und regelmäßig Olympia-, WM- oder EM-Normen erfüllte, kam bei Deutschen Meisterschaften maximal Rang fünf heraus. „Ich bin gar nicht mit der Ambition, mir einen internationalen Startplatz zu sichern, zu Deutschen Meisterschaften gefahren. Ich habe mich einfach nicht in der vorderen Reihe gesehen. Dazu hat auch das Selbstbewusstsein gefehlt.“

Zuschauerperskeptive bei Heim-EM leitet die Wende ein

So reichte es, wieder einmal, auch im vergangenen Jahr nicht für die EM-Qualifikation. Mit dem Unterschied, dass der Saisonhöhepunkt diesmal vor der Haustür ihrer sportlichen Wahlheimat Potsdam ausgetragen wurde und Kristin Pudenz auf der Tribüne im Berliner Olympiastation saß, als Nadine Müller (SV Halle; 63,00 m), Shanice Craft (62,46 m) und Claudine Vita (SC Neubrandenburg; 61,25 m) die Medaillen Silber und Bronze holten sowie Rang vier belegten.

„Ich habe zugesehen und wusste, ich könnte jetzt genauso da unten stehen und um die Medaillen mitwerfen“, erzählt die Potsdamerin von ihrem Schlüsselmoment. „Da habe ich gedacht: Entweder ich verändere noch einmal etwas im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Tokio. Oder es macht gar keinen Sinn mehr, weiterzumachen.“

Neuer Schwung dank Ernährungsberatung und Neuroathletik-Trainer

Die Diskuswerferin entschied sich für die Veränderung, begann mit einem Ernährungsberater und einem Neuroathletik-Trainer zu arbeiten. „Ich habe acht Kilo abgenommen, ohne an Muskeln zu verlieren. Dadurch bin ich schneller geworden“, erzählt Kristin Pudenz über ihre Vorbereitung auf die Saison 2019. Neuroathletik-Trainer Marc Uhlmann half vor allem, die Ansteuerung der Füße zu verbessern und die Fußgelenke zu stabilisieren.

Diese beiden Faktoren brachten gleich zum Saisonauftakt neuen Schwung im Ring. In Schönebeck (64,32 m) und Halle (63,57 m) flog der Diskus so weit wie nie zuvor. Innerhalb dieser beiden Wettkämpfe gelangen gleich sieben Würfe jenseits der alten Bestleistung (62,89 m). Damit war sie plötzlich mittendrin im Kampf um die WM-Tickets.

Trainer Jörg Schulte, Familie und Freunde geben Rückhalt

Neben diesen Änderungen, die in diesem Sommer die entscheidenden Meter brachten, steckt auch die langjährige Zusammenarbeit mit Trainer Jörg Schulte hinter dem Erfolg. In Potsdam lebt und trainiert Kristin Pudenz schon seitdem sie Oberstufenschülerin war. Mit dem Wechsel auf die Sportschule dort fern ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen entschied sie sich früh dafür, den Weg mit der Perspektive Leistungssport einzuschlagen.

Vorher hatte sich schon bei ihrem ersten Verein, der LG Bünde-Ahle/Löhne in der Nähe von Bielefeld, ihr Wurftalent herauskristallisiert. Vater Rüdiger, einst selbst Diskuswerfer mit einer Bestleistung von 62,93 Meter, brachte seiner Tochter die Grundlagen des Werfens bei, genauso übrigens seinem Sohn Fabian (Bestleistung: 59,52 m), der mittlerweile noch hobbymäßig den Diskus wirft. Auch Mutter Annette war in der Leichtathletik unterwegs, als Kugelstoßerin.

Nicht nur die sportliche Familie, auch ihre Freunde sind für Kristin Pudenz, die schon einen Bachelorabschluss in Soziale Arbeit in der Tasche hat und sich aktuell voll auf den Sport konzentriert, eine wichtige Stütze. „Ganz besonders in den Zeiten, in denen es nicht so läuft, haben sie mich aufgefangen. Jetzt freuen sie sich natürlich, dass es gut läuft und fiebern mit.“

WM-Premiere mit starken Diamond League-Ergebnissen im Rücken

Riesig war die Freude bei der Athletin und ihrem persönlichen Umfeld, als fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Beschluss zur Veränderung auf der Tribüne des Berliner Olympiastadions, an gleicher Stelle im Ring mit dem ersten DM-Titel der endgültige Befreiungsschlag und die sichere Qualifikation für die erste WM gelang. „Durch meine guten Saisonergebnisse bin ich mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein in diesen Wettkampf gegangen“, erklärt die Deutsche Meisterin, die bei ihrem Titelgewinn gleichzeitig eine neue Bestleistung (64,37 m) aufstellte.

Und was schon einst bei der U23 galt, ist in der Frauenklasse nicht anders. Wer im Diskuswurf zur DLV-Spitze gehört, kann auch international mitmischen. Zweimal Rang vier in Birmingham (Großbritannien; 63,67 m) und Paris (Frankreich; 64,37 m) sowie beim Finale in Brüssel (Belgien; 63,73 m) sogar Rang drei belegte Kristin Pudenz zuletzt bei den Diamond League-Meetings.

„Es fühlt sich immer noch ein bisschen unwirklich an, jetzt plötzlich bei diesen Weltklasse-Meetings dabei zu sein. Wenn es ans Aufwärmen und dann im Wettkampf in den Ring geht, bin ich aber voll fokussiert und kann alle Abläufe wie gewohnt abrufen“, sagt die Universiade-Siegerin von 2017. Die WM in Doha (Katar; 27. September bis 6. Oktober) wird vermutlich noch etwas aufregender. „Ich hoffe einfach, durch die Sicherheit, die ich mir in der Saison geholt habe, dass ich auch diese neue Situation gut meistern kann.“

Mitmischen statt zuschauen

Dass ihr Diskus bei den zwölf Wettkämpfen in diesem Sommer 28mal hinter der 62-Meter-Marke landete, unterstreicht die Chance, die Qualifikation zu überstehen und das Finale zu erreichen, sogar eine Steigerung ist nicht unmöglich. „Selbst bei meinen bisher weitesten Würfen hatte ich noch immer das Gefühl, dass Details noch nicht gestimmt haben.“

Hinter dem dominierenden Trio des Sommers Sandra Perkovic (Kroatien) sowie den Kubanerinnen Denia Caballero und Yaime Perez, die sich auch schon Patzer erlaubt haben, und der Chinesin Bin Feng zeichnet sich ein offener Wettkampf ab. Ein Platz in den Top Acht erscheint realistisch.

Ganz nebenbei ist die WM auch eine wichtige Erfahrung in Richtung Tokio (Japan). Da will sich Kristin Pudenz ihren Traum von Olympia erfüllen und auch 2019 im harten nationalen Kampf um die Startplätze mitmischen. Und sie möchte dann wie dieses Jahr sagen können: „Jetzt bin ich diejenige, die mitmischt und schaue nicht nur zu.“

Video-Interview: Kristin Pudenz: "Ich wusste, ich bin da!"
Video: Erster deutscher Meistertitel für Kristin Pudenz

Das sagt Bundestrainer René Sack:

Kristin hat in den letzten Jahren konstant über die 60-Meter-Marke geworfen, war jedoch recht schwankend in der Jahresbestleistung. In diesem Jahr hat sie ihre Bestleistung aus 2017 um gut eineinhalb Meter gesteigert und vor allem konstant bestätigt. Der Durchschnitt ihrer besten fünf Wettkämpfe in diesem Jahr liegt immer noch deutlich über ihrer alten Bestmarke.

Außerdem beweisen ihre aktuellen Erfolge bei den internationalen Wettkämpfen, dass sie in der erweiterten Weltspitze angekommen ist und auf diesem hohen Level ihre Leistungen abrufen kann. In den letzten beiden Jahren hat sie hart an ihren athletischen Schwächen gearbeitet, damit ihre Technik und Stabilität verbessert.

Ihre Gelassenheit und der Wille, sich notfalls gemeinsam mit ihrem Trainer Hilfe und Zusammenarbeit zu suchen, sollten in den nächsten Jahren noch deutlich bessere Leistungen ermöglichen. Bei der WM in Doha sollte ein Finalplatz ein realistisches Ziel sein. Danach traue ich ihr auch Weiten im Bereich der internationalen Medaillen zu.

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