| Porträt

Yasmin Kwadwo und ihr harter Weg zurück in die deutsche Spitze

Bergauf. Das war die einzige Richtung, die Yasmin Kwadwo in ihrer Karriere kannte. Dass nach jeder Bergfahrt naturgemäß eine Talfahrt folgt – dieses Gesetz schien lange Zeit nicht für die schnelle Frau aus dem Ruhrgebiet zu gelten. Umso härter, umso dunkler war das Tal, das Yasmin Kwadwo in den letzten Jahren durchlaufen musste. Doch in diesem Sommer war Yasmin Kwadwo wieder obenauf: Im Finale der Weltmeisterschaften in Doha. Eine Geschichte über innere Kämpfe, Mut und die Gewissheit, dass schlussendlich doch alles einen Sinn ergibt.
Alexandra Dersch

Wo die deutsche Nationalstaffel hinreiste, da war auch Yasmin Kwadwo mit dabei. So war es gefühlt jahrelang. Die Sprinterin, die gebürtig aus Wattenscheid stammt, aber in dieser Saison im Dress des TSV Bayer 04 Leverkusen startete und ab dem kommenden Jahr für den LC Paderborn, war lange eine feste Größe im Nationalteam der deutschen Sprinterinnen, auch wenn sie nicht immer zum Einsatz kam. „Dabei war ich früher nie das Kind, das von Olympischen Spielen geträumt hat“, sagt Yasmin Kwadwo. Ganz unbedarft, ganz unbeschwert, wie viele Kinder und Jugendliche eben sind.

Seit elf Jahren betreibt die inzwischen 28-Jährige Leistungssport. Auf internationalem Niveau. Sie war U20-Europameisterin, im Einzel und in der Staffel, startete mit den Aktiven, sprich in der Erwachsenenklasse, bei Welt- und Europameisterschaften. „Der Erfolg, er kam einfach. Ich habe nie groß darüber nachdenken müssen.“

Doch dann kam ein Bruch. Man sieht ihn deutlich, wenn man nur in ihre statistischen Werte schaut. Statt einer 11,30 Sekunden, ging 2017 eine Saisonbestleistung von 11,47 Sekunden in die Listen ein, 2018 war es gar eine 11,53 Sekunden. Man sah den Bruch auch, wenn man Yasmin Kwadwo live erlebte. An die Stelle der früheren Unbeschwertheit, war eine ungekannte Ernsthaftigkeit gerückt. Eine Ernsthaftigkeit, die keinen Platz mehr ließ für das fröhliche Auftreten, das eine Yasmin Kwadwo zuvor ausgezeichnet hatte, was sie auch auf der Bahn verkörpert hatte. Plötzlich war da diese Schwere, fast etwas Verbissenes – was sich auch direkt auf ihre Leistungen übertrug. „Ich war nicht mehr Ich.“ So beschreibt Yasmin Kwadwo ihren damaligen Zustand heute.

Leistungsknick

„Das Olympiajahr 2016 war hart für mich“, sagt sie, auf der Suche nach Antworten auf die Frage nach dem „warum“. Auch in ihrem zweiten Anlauf war sie bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien) nicht zum Einsatz gekommen. In ihrem Kopf begann es, zu arbeiten. Vielleicht waren die eigenen Erwartungen doch zu groß. Vielleicht musste irgendwann, nach Jahren des ewigen Bergauf das unvermeidliche Bergab kommen. Fakt ist: „Ich bin in dem Jahr deutlich hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben.“

Die Leistung stagnierte, ging gar zurück. Und auch international blieb Yasmin Kwadwo in den Jahren 2016 bis 2018 ohne Einsatz in der Nationalmannschaft. Ein Leistungsknick, der nicht unbemerkt blieb. Auch medial. Sie sei über ihren Zenit hinaus, zu alt für diesen Sport – stand in manchen Artikeln. Sätze, die Spuren hinterlassen haben in Yasmin Kwadwo. „Ich habe versucht, es nicht an mich herankommen zu lassen“, sagt sie. Doch ganz ging das nicht. „Ich habe irgendwann selbst angefangen, an mir zu zweifeln, habe überlegt, ob es vielleicht stimmt, dass ich schon zu alt bin.“

Weckruf nach DM 2017

Zu diesen mentalen Baustellen gesellten sich zudem Rückenprobleme – ein entzündeter Ischiasnerv strahlte bis in den Oberschenkel. Bei den Deutschen Meisterschaften 2017 stand sie erstmals überhaupt in ihrer Karriere nicht im Finale. „Das war mein Weckruf.“ Sie wusste: Wenn sie das Leben als Leistungssportlerin weiterführen wollte, musste sie etwas ändern. Nämlich sich. „Ich musste wieder ich selber werden. Und mir eingestehen, dass ich in meinem damaligen Umfeld nicht glücklich war.“ Sie kehrte Mannheim den Rücken, ging zurück nach Hause ins Ruhrgebiet. „Ich bin ein Familienmensch. Zuhause kann ich mich entfalten, wieder viel lachen, einfach wieder ich sein.“

Sportlich fand sie in der Paderborner Trainingsgruppe um Thomas Prange und im Trikot des TSV Bayer 04 Leverkusen ein neues Zuhause. „Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass sowohl Thomas als auch die Leverkusener mich aufgenommen haben.“ Erst Recht als 2018 der Kaderstatus und damit auch ein großer Teil der Förderung wegbrach. „Ich habe lange nach Händen gesucht, die mich unterstützen könnten – doch vergeblich.“ Dann legte Yasmin Kwadwo gedanklich einen Schalter um, fasste sich ein Herz und krempelte ihr Leben auf eigene Faust um: Sie nahm einen Job an, pendelte zwischen Mannheim, wo sie weiterhin auf Lehramt studierte, und ihrem neuen Trainingsort Paderborn. Eine Dreifachbelastung, die hart war, die nur die wenigsten sahen und der Yasmin Kwadwo heute, wo sie wieder zurück ist, doch etwas Positives abgewinnen kann.

Halt im Glauben

„Alles passiert aus einem Grund“, sagt die Sprinterin. Yasmin Kwadwo ist ein gläubiger Mensch. Nicht strenggläubig, wie sie selber sagt, aber eben der festen Überzeugung, dass alles im Leben einen Sinn hat, dass Gott einen Plan mit ihr hat. „Aber klar, auch ich habe gezweifelt, als gefühlt alles schief lief“, sagt sie und erzählt von einem Moment auf dem Aufwärmplatz der Deutschen Meisterschaften in Erfurt, kurz nachdem sie aus dem Wettkampf ausgeschieden war. „Warum lässt Gott mich hängen“, habe sie damals Bettina Schellenberger gefragt, die bei der christlichen Sportorganisation SRS, Sportler in ihrem Glauben begleitet. „Wer weiß, wofür es gut ist“, habe diese ihr damals geantwortet. „Daran habe ich mich festgehalten“, sagt Yasmin Kwadwo. „Ohne diese Gedanken, ohne meinen Glauben hätte ich wohl schon lange aufgehört mit dem Leistungssport.“

Sie kämpfte weiter, beendete ihr Studium in Mannheim, zog ihr Training neben dem Job durch und entdeckte die Meditation für sich. „Das macht mich ruhig und hat mir geholfen, meine Situation einfach irgendwann zu akzeptieren. Und diese Akzeptanz hat viel in mir gelöst.“ Vorher sei sie oft mit viel Wut im Bauch gelaufen, mit dem Gefühl ‚ich zeig‘ es euch‘. Doch das habe ihr nicht gutgetan, im Gegenteil, sie vielmehr blockiert. „Irgendwann habe ich mich gefragt: Für wen machst du das hier alles?“ Und die Antwort war schnell klar: „Für mich. Nur für mich.“

Comeback in Doha

Seitdem läuft Yasmin Kwadwo wie befreit. Mit entspannten Gesichtszügen. Mit leichterem Schritt. Und schnell wie nie. Mit 28 Jahren stellte sie in diesem Sommer in Leverkusen eine Bestzeit von 11,25 Sekunden auf. Sieben lange Jahre lang hatte sie zuvor auf eine Bestleistung warten müssen.

Eine Zeit, die ihr auch ein internationales Comeback bescherte. Bei der WM in Doha (Katar) lief sie mit der deutschen 4x100-Meter-Staffel zu Platz fünf. „Es war eine Belohnung für meine harte Arbeit“, sagt sie. „Auch wenn ich zwei Jahre lang nicht in der DLV-Staffel stand, ich habe nichts verlernt und bin in solchen Momenten einfach abgeklärt.“

Es ist der Kopf, der zwischen Sieg und Niederlage entscheidet. Das weiß Yasmin Kwadwo inzwischen genau. Und es ist eine Erkenntnis, die sie weit über ihre Leistungssportkarriere begleiten soll. „Ich weiß, irgendwann habe ich meinen Zenit tatsächlich erreicht. Das ist auch völlig okay. Ich habe meinen Uni-Abschluss, bin privat angekommen und ganz bei mir. Aber dennoch: Momentan fühlt es sich eher so an, als habe meine sportliche Karriere erst so richtig begonnen.“ Und spätestens dann ergibt alles wieder einen Sinn. 

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