| Interview der Woche

Prof. Dr. Rainer Knöller & Idriss Gonschinska: "Athleten-Monitoring reduziert Ausfallrate im Spitzensport"

Im Rahmen der DLV-Spitzensporttagung in Kienbaum referierte Prof. Dr. Rainer Knöller über den sportarten- und länderübergreifenden Trend des Einsatzes eines App-basierten Athleten-Monitorings. Mit der täglichen Erfassung von Belastungsparametern kann die individuelle Trainingsanpassung so weiter optimiert werden – mit dem Ziel Verletzungsraten der Sportler zu reduzieren. Im Interview erklärt der Sportwissenschaftler gemeinsam mit Generaldirektor Sport Idriss Gonschinska die Vorteile der Struktur, die bereits im Sprint, Speerwurf und Mehrkampf eingeführt wurde und schrittweise auf alle Disziplinen ausgeweitet werden soll.
Pamela Lechner

Prof. Dr. Rainer Knöller, was sind die Vorteile und Ziele des Athleten-Monitoring?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Mit dem Athleten-Monitoring kann die Belastung durch das Training des Vortages und die Regeneration in der Nacht danach ermittelt und in Beziehung gesetzt werden. Dadurch kann man das Training am nächsten Tag besser an die Tagesform des Athleten anpassen. Die tatsächliche Erholungsreaktion ist manchmal anders als erwartet. Man kann den Trainingsprozess dann mit den zusätzlichen Informationen optimieren. Die Einführung des Monitorings beruht letztendlich auf einem Paradigmenwechsel. Man schaut nicht mehr nur auf die Belastung und fragt, wieviel können Athleten trainieren, sondern auch: Wie wirkt die Belastung individuell und wie gut erholt sich der Sportler?

Wie hängen Belastung und Erholung zusammen?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Belastung und Erholung sind ein Paar, das untrennbar zusammengehört. Vor vielen Jahren hat das Befinden des Sportlers eine geringere Rolle gespielt, da hat man häufig möglichst hart trainiert. Heute ist die internationale Wettbewerbssituation deutlich größer. Die absoluten Top-Sportler mit internationalem Endkampfniveau bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften sollten daher möglichst in Topform bei den internationalen Meisterschaften starten. Wir sollten vermeiden, dass wir sie durch Verletzungen im Saisonverlauf verlieren. Deshalb muss das Training für sie ganz individuell gestaltet werden.

Psychometrische Parameter wie Schlafqualität und -quantität, Muskelermüdung, Stress, insgesamt das individuelle subjektive Empfinden über den eigenen Belastungszustand ist ein Potenzial, das wir so noch nicht ausreichend genutzt hatten. Auch in der Klinik fragt sie der Chefarzt nach der OP: Na, wie geht es Ihnen denn heute Morgen? Um eine Idee über Ihre individuelle Regeneration zu bekommen. Dies ergänzt seine Messparameter und sein Fachwissen seitens des Betroffenen. Ziel ist es, im Spitzensport so die Ausfallrate zu reduzieren.

Wie ist bisher die Resonanz bei Athleten und Trainern? Implementiert wurde das Monitoring schon bei den (Hürden-)Sprintern, Speerwerfern und Mehrkämpfern...

Idriss Gonschinska:

Bei den Sportlern hatten wir relativ schnell innerhalb von sechs Wochen nach der Einführung bereits eine Teilnahme-Quote von fast 85 Prozent. Das ist sehr gut und entspricht auch den Erfahrungswerten aus anderen internationalen Verbänden. Dies bedeutet, dass ein Großteil der Athleten spontan von der Idee überzeugt war und gemeinsam mit uns daran glaubt, dass es bei ihrer Trainingsanpassung helfen kann.

Woher kommt die Idee für das neue Monitoring?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Die Idee, ein Belastungs- und Erholungsmonitoring durchzuführen, ist nicht an sich neu, aber gerade der internationale Trend. Alle überlegen, wie können wir die Verletzungsrate und die Ausfälle verringern. Wissenschaftlich erhärtet ist, dass Vorermüdung und Verletzung als Paar zusammengehören. Sportler verletzen sich mehrheitlich dann, wenn sie nicht frisch sind. Das Monitoring kann feststellen, wie frisch der Sportler ist und ob er an dem Tag ein hartes Training verträgt.

Es kommt nicht nur darauf an, wie gut er regeneriert ist. Als Menschen sind wir Zyklen und Biorhythmen unterworfen. Krankheiten spielen eine Rolle. Die unvermeidlichen Reisen durch Zeitzonen sind ein Infektrisiko und nagen an den Energiereserven. Wenn man bereits unerkannt mit einem Infekt kämpft, ist man lange nicht so belastbar wie im Vollbesitz seiner Kräfte. Zieht man trotzdem durch, wird man leicht krank durch die Doppelbelastung Krankheit bekämpfen UND vom Training erholen. Durch die rechtzeitige Anpassung des Trainings kann man Ausfälle und Krankheitstage sparen.

Wer steuert das Athleten-Monitoring?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Wir steuern das Monitoring zu dritt. Dennis Fengkohl kümmert sich um den Support und ist Ansprechpartner für die technischen Belange. Für die Implementierung, die Bearbeitung, inhaltliche Ausrichtung der Struktur und den Wissenstransfer bin ich verantwortlich. Unterstützt werde ich von Dr. Marc Nicolaus, akademischer Oberrat und Laborleiter der Universität Hildesheim, mit dem ich schon viele Projekte im Monitoring-Bereich zusammen durchgeführt hat. Ich habe darüber hinaus im DLV in 2019 weitere innovative Forschungs- und Anwendungsprojekte mit externen Partnern initiiert, von denen dieses aber zweifelsohne das umfangreichste darstellt.

Wie funktioniert es im Detail?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Die Belastungsparameter werden mit einer App erhoben. Wir fragen die Sportler täglich morgens, wie es ihnen geht und ob sie gestresst sind. Wir wissen, wenn man gestresst ist, ist die Ansprechbarkeit für Training deutlich reduziert, darüber gibt es vielfältige Studien. Der mündige Athleten kennt sich, er weiß über sich selbst Bescheid, weiß, wie es ihm geht. Abgefragt werden neben dem Stress-Level auch Schlafmenge und -qualität, der Grad der muskulären Ermüdung und die Ruhe-Herzfrequenz wird nachts per Tracker gemessen. Wenn jemand krank wird, bleibt die absolute Ruhe-Herzfrequenz nachts erhöht im Vergleich zum Normalzustand, weil der Körper schon angefangen hat, seine Immunabwehr gegen die Erreger anzukurbeln. Die Trainer geben abends eine Bruttobewertung des Tagestrainings ein, damit dies auch später noch im Rückblick ins Verhältnis zur Regeneration der Folgenacht gesetzt werden kann.

Was sind die Stärken und Potenziale des Systems?

Idriss Gonschinska:

Das Monitoring unterstützt den Sportler, mittels leicht nachvollziehbarer Parameter die eigene Körperwahrnehmung zu optimieren und mit den Trainern inhaltlich noch enger in die spezifische Kommunikation zum Regenerationszustand zu kommen – wenn das noch nicht der Fall ist. Die institutionell beteiligten Partner, zum Beispiel Heim- und Bundestrainer sowie der Verbandsarzt, können zudem noch besser vernetzt werden. In dem System können auch Verletzungserscheinungen und Überbelastungen vermerkt werden. 

Wie überzeugt man die, die Bedenken bezüglich Datenschutz haben?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Es können nur die Personen auf die Daten zugreifen, die der Sportler selbst legitimiert. Sonst sind die Infos für niemanden einsehbar. Der Sportler entscheidet, wer die täglichen Angaben zu seinem Empfinden einsehen kann und wer nicht. Letztlich teilt der Athlet die Daten im System mit den Personen, mit denen er sie ohnehin jetzt schon teilen wird, sprich seinem Heim- und Bundestrainer und seinen zugeordneten Verbandsmedizinern. Die Personen, die Zugriff auf die Daten haben, werden individuell für jeden Sportler festgelegt. Alleine der Sportler entscheidet und zur gegenseitigen Absicherung wird zwischen DLV und dem Sportler ein Vertrag geschlossen.

Das System, das international schon jahrelang im Spitzensport erfolgreich im Einsatz ist und das der DLV nochmals extern hat prüfen lassen, ist an sich doppelt abgesichert und erfüllt die neuesten EU-Datenschutzrichtlinien. Es ist im Prinzip nicht anders als ein Online-Konto bei einer Bank oder ein Online-Zugang zu einer Klinik: Man loggt sich in ein abgesichertes System ein, das auf einem deutschen Server liegt.

Welche Sportverbände in Deutschland arbeiten mit einem ähnlichen System oder haben vor es zu implementieren?

Idriss Gonschinska:

Der DLV ist aktuell der erste Spitzenverband in Deutschland, der ein derartiges System vollumfänglich für alle Kader und sein medizinisches Betreuerteam implementiert. Aber es sind allerorten intensive Bemühungen zu sehen, da alle Verbände vergleichbare Herausforderungen haben. Eine weitere Optimierung der  Kommunikationsprozesse und der Vernetzung der Kompetenzen zum Wohle der Athleten ist absolut sinnvoll. Wir sind in einem gutem Austausch mit Kollegen aus anderen Sportarten.

Einige ausländische Institutionen sind auf diesem Feld etwas früher aktiv gewesen: Im angloamerikanischen Raum ist diese Arbeitsweise insbesondere in den Proficlubs bereits seit Jahren Standard und zum Beispiel arbeitet auch das norwegische Olympia-Topteam seit Jahren mit demselben System wie der DLV und hat uns seine Erfahrungen transferiert. Wir möchten nach Abschluss der Olympiasaison zu einem ersten internationalen Erfahrungsaustausch zum Thema Monitoring einladen, um unsere eigenen Erfahrungen mit denen unserer Partner und Kollegen zur Weiterentwicklung auszutauschen.

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