| Interview zur Handball-EM 2020

Handball-Bundestrainer Christian Prokop: „Gemeinsam einen starken Siegeswillen entwickeln“

Am Freitag beginnt die Handball-EM 2020 in Österreich, Schweden und Norwegen. Wir nehmen das zum Anlass für einen Blick über den Tellerrand! Und haben mit Christian Prokop über seine Arbeit als Handball-Bundestrainer, über die Rolle von Athletik und Teamgeist und über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Handball und Leichtathletik gesprochen. Eine Gemeinsamkeit nehmen wir vorweg: Als Charity-Partner des Kinderhilfswerks Plan International engagieren sich sowohl der Deutsche Handballbund (DHB) als auch der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) weltweit für Kinderrechte.
Silke Bernhart

Christian Prokop, am Donnerstag beginnt für Sie und Ihr Team mit dem Spiel gegen die Niederlande die Handball-EM. Mit welchen Zielen treten Sie an, und wie haben Sie sich auf diese Meisterschaften vorbereitet?

Christian Prokop:

Wir haben uns als Mannschaft zwei konkrete Ziele gesetzt: Zum einen möchten wir im Vergleich zur Handball-Weltmeisterschaft 2019 im eigenen Land eine Steigerung schaffen – sprich: das Halbfinale wieder erreichen und im besten Falle eine Medaille holen. Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel, aber durchaus machbar, wenn wir es packen, wieder mit Leidenschaft und totalem Teamgeist durchs Turnier zu gehen. Damit komme ich gleich zum zweiten Ziel: Die Art und Weise, wie wir Handball spielen und die vor einem Jahr begeistert hat, die wollen wir wieder zeigen. Das absolute i-Tüpfelchen wäre das Olympia-Ticket für Tokio. Aber natürlich ist die Chance, dass man Europameister wird – bei einer EM, bei der die Leistungsdichte noch höher ist als bei einer WM – gering.

Die Spieler waren zuletzt von Ende August bis nach Weihnachten im Ligabetrieb im Einsatz. Wieviel Zeit bleibt Ihnen da als Bundestrainer vor so einem Turnier mit Ihren Spielern?

Christian Prokop:

Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Bei der Heim-WM haben wir in Kooperation mit der Liga zwei Zusatztermine bekommen. Für die Europameisterschaft stehen uns unmittelbar vor dem Start lediglich fünf Tage vom 2. bis zum 7. Januar mit zwei Länderspielen inklusive Reisezeit zur Verfügung. Davor hatten wir im Oktober unsere letzte gemeinsame Lehrgangswoche. Im November und Dezember war Liga-Betrieb und Pause von der Nationalmannschaft. Sicherlich ist die Zeit knapp bemessen, aber da müssen wir uns einfach optimal an die Gegebenheiten anpassen und die wichtigsten mannschaftlichen Schwerpunkte verankern.

Wie bleiben Sie mit den Nationalmannschafts-Kandidaten während der Saison im Austausch?

Christian Prokop:

Da gibt es verschiedene Wege. Der beste ist natürlich immer wieder das persönliche Treffen und das persönliche Gespräch. Da stellen Vereinsbesuche einen wichtigen Punkt dar, hier kann man über Stärken und Schwächen sprechen, über Entwicklungsaufgaben, und den Spielern Feedback, aber vor allem Wertschätzung entgegenbringen. Das ist die beste Möglichkeit, aber natürlich auch sehr aufwendig, weil die Spieler in Deutschland verteilt sind. Daher kommunizieren wir auch über Telefonate, E-Mails, WhatsApp und über Video-Feedback-Analysen. Tatsächlich ist für mich die lehrgangsfreie Zeit die wichtigere, um die Spieler zu beobachten und zu unterstützen. In der Lehrgangszeit geht es darum, effektiv an den Mannschaftsteilen zu arbeiten.

Worauf legen Sie in dieser Phase besonders wert – welche Impulse können Sie noch setzen?

Christian Prokop:

Bei nur fünf gemeinsamen Tagen ist es entscheidend, dass wir unsere hohen taktischen Standards wieder schnell erreichen. Wir müssen die Systeme in Angriff und Abwehr teilweise leicht verändern und festzurren. Und dann geht es in kurzer Zeit darum, eine positive Stimmung als Nationalteam aufzubauen! Dass man sich in dem Kreis wohlfühlt, dass man große Lust und Vertrauen auf maximale Leistung hat, dass man zusammen einen starken Siegeswillen entwickelt. Da es im Kader immer wieder leichte Veränderungen gibt, ist das immer wieder eine neue Herausforderung – für jeden Einzelnen, für die Spieler und den Staff, um im Turnier als geschlossenes Team aufzutreten.

In der Leichtathletik gibt es Nominierungsrichtlinien. Hier ist festgeschrieben, mit welchen Leistungen und unter welchen Voraussetzungen sich Athleten für einen Start in der Nationalmannschaft qualifizieren können. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Spieler für ein perfektes Team aus?

Christian Prokop:

Man hat als Handball-Bundestrainer sehr viel Gestaltungsfreiheit, muss aber auch ein glückliches Händchen beweisen, um mit der Nominierung eine Teamchemie herzustellen, in der alle Lust haben und Verantwortung übernehmen für den Erfolg. Das geht nicht nur über nackte Zahlen und Ausschlusskriterien. Es geht viel um Empathie, um soziale, emotionale Fähigkeiten. Aber natürlich steht nach wie vor – wie bei der Leichtathletik und bei vielen anderen Sportarten auch – der Leistungsgedanke und die Leistungslieferung eines Athleten an erster Stelle. Damit muss er sich interessant machen. Dann muss ich schauen, wie verschiedenste Charaktere und Rollen in der Mannschaft gut zusammenpassen, das hat neben der eigentlichen sportlichen Leistung auch einen Einfluss.

Was würden Sie sagen: Welchen Anteil an der spielerischen Leistung hat im Handball die Athletik und körperliche Fitness, wie wichtig sind andere Fähigkeiten?

Christian Prokop:

Vielleicht lässt man sich dazu hinreißen zu sagen, dass das „Hälfte-Hälfte“ ist. Aufgrund der hohen Spieldichte vor allem bei den ersten beiden Mannschaften in der Handball-Bundesliga ist es gerade im Januar oder im Juli/August in Richtung Olympischer Spiele sehr entscheidend, dass sich Spieler starke athletische Fähigkeiten und eine rasche Regenerationsfähigkeit erarbeitet haben. Neun bis zehn Spiele innerhalb kürzester Zeit, mit 24 oder 48 Stunden Regenerationszeit – dafür braucht man eine intelligente Jahresplanung.

Wer in der Bundesliga und in der Champions League mit dabei ist, hat bei der EM bis zu 30 Spiele innerhalb von 18 Wochen in den Knochen. Wie kann der DHB im Ligabetrieb das Athletiktraining unterstützen, damit die Spieler auch für die Nationalmannschaft noch fit sind?

Christian Prokop:

Das ist bei einigen Vereinen schon auf einem sehr guten Niveau, muss bei anderen Vereinen aber noch optimiert werden. Handball ist ein sehr komplexer Sport, daher gibt es eine Jahresunterstützung für die Spieler, die unterschiedliche Inhalte bietet. Für die einen ist es die Bereitstellung von technisch-taktischem Video-Feedback, für die anderen ist es eine Verbesserung der Kondition oder Explosivkraft. Da sind wir bemüht, in der lehrgangsfreien Zeit sehr individuell auf die Spieler einzugehen.

Ich denke, wir müssen noch mehr Wert auf die Verbesserung der Qualität des Trainings legen, darauf, dass es zielgerichteter und effektiver wird, dass man in der Wochen- und Monatsplanung eine gute Struktur von Belastung sowie aktiver und passiver Regeneration schafft. Ich denke, hier haben wir noch Potenzial. Seit Kurzem hat der Deutsche Handballbund mit David Gröger einen Bundestrainer Athletik, der seine Aufgaben in der strukturellen Entwicklung im Gesamtverband hat. David hat bereits wichtige Impulse gesetzt, um die Spieler in der lehrgangsfreien Zeit zu unterstützen, und steht in regelmäßigem Austausch mit den Athletiktrainern der Vereine.

In der Leichtathletik wird die sportliche, medizinische und wissenschaftliche Kader-Betreuung zunehmend in Teams umgesetzt. Im Wettbewerb aber kämpft – mit Ausnahme der Staffeln –  jeder für sich allein. Im Handball dagegen ist der Teamgeist ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg. Wie sind Ihre Erfahrungen: Was kann ein positives Teamgefüge auch hinsichtlich der sportlichen Leistung auslösen?

Christian Prokop:

Eine Menge – um das vorweg zu schieben. Ich habe den Teamsport ab dem sechsten Lebensjahr kennenlernen dürfen. Es ist etwas ganz Besonderes, sich gemeinsam über einen Erfolg zu freuen. Es treibt einen an, im Kopf ein Bild davon zu haben, gemeinsam die Medaillen zu erhalten oder eine Schale in die Höhe zu stemmen, besonders wenn man einen steinigen Weg zurückgelegt hat und sich dann aufeinander verlassen konnte. Das bringt eine hohe Verantwortung mit sich, aber auch sehr viele Glücksgefühle. Kampfgeist, füreinander einzustehen, eine gehörige Portion Respekt untereinander – damit können wir auch die Fans mitnehmen, und das treibt wiederum uns an. Aber man braucht auch eine gute Teamfähigkeit, wenn man sich für einen Mannschaftssport entscheidet. Absolute Starallüren sind da fehl am Platz und können eine Mannschaft schnell ins Ungleichgewicht bringen.

Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul hat früher Handball gespielt. Speerwerfer Julian Weber ebenfalls. Diskuswerfer Martin Wierig sagt selbst, er wäre vielleicht Handballer geworden, wenn er die Sportart früher für sich entdeckt hätte. Wie läuft im Handball die Talentsichtung, schauen Sie sich da auch schon mal bei anderen Sportarten – zum Beispiel der Leichtathletik – um?

Christian Prokop:

Grundsätzlich finde ich es richtig gut, wenn man vielseitig interessiert ist und sich vielseitig ausbilden lässt. Viele Spieler unserer Mannschaft haben vorher zwei, drei Sportarten parallel betrieben, das ist hilfreich. Aber um in die Spitze zu kommen, muss man sich dann irgendwann entscheiden. Wir schauen da in der Regel nicht bei anderen Sportarten. Die Vereine und der Verband fangen schon in der Schule in Grundschulprojekten an, mit Grundschul-Liga und Grundschul-Aktionstagen. Von da an geht es über in eine immer professionellere Förderstruktur innerhalb des Handballs.

Sie waren selbst Handballer, haben in der 1. und 2. Bundesliga gespielt. Ihr Vater war Handball-Trainer – da scheint der Weg vorgezeichnet. Mal angenommen, es hätte Sie dennoch zur Leichtathletik verschlagen: Was wäre Ihre Disziplin gewesen?

Christian Prokop:

Talent hatte ich auf jeden Fall im 100-Meter-Sprint und im Weitsprung. Das sind die zwei Disziplinen, die mich vor allem interessieren und mir immer Spaß gemacht haben, im Schulsport und bei „Jugend trainiert für Olympia“. Aber natürlich als Handballer auch damals noch Ball-Weitwurf oder Speerwurf. Also, wenn ich so weiter erzähle… Vielleicht Siebenkampf oder Zehnkampf, wenn man den Stabhochsprung rauslassen könnte (lacht). Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich mich für den Sprint entscheiden.

DLV, DHB und Plan: Gemeinsam stark für Kinderrechte
Der Deutsche Handballbund (DHB) engagiert sich ebenso wie der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) als Charity-Partner für das Kinderhilfswerk Plan International. Gleichberechtigung, Fair play, achtsames Miteinander, Respekt, gesundes und selbstbewusstes Aufwachsen in sicherer Umgebung: All das sind Werte und Ziele, die der DLV, der DHB und Plan International teilen. Und als starkes Team an Kinder und Jugendliche nicht nur in Deutschland, sondern weltweit weitergeben wollen. Der DLV wünscht der DHB-Nationalmannschaft viel Erfolg bei der Europameisterschaft 2020!

Plan International Deutschland

 

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