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Kevin Joite – Karriere-Zukunft hängt vom kommenden Sommer ab

Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig haben einige neue Gesichter den Platz ganz oben auf dem Treppchen erobert. Einige nutzten die Abwesenheit von nationalen Leistungsträgern der vergangenen Jahre, um ins Rampenlicht zu treten. Andere ließen etablierte Athleten hinter sich und stehen für einen Generationswechsel. Wir erzählen ihre Geschichten, heute die von 400-Meter-Läufer Kevin Joite (Dresdner SC 1898).
Jan-Henner Reitze

Kevin Joite
Dresdner SC 1898

Bestleistung:

400 Meter: 47,82 sec (2019); Halle: 47,13 sec (2020)

Erfolge:

Deutscher Hallenmeister 2020

Es war im Vorfeld der offenste Wettbewerb bei der diesjährigen Hallen-DM, am Ende gab es in Leipzig über die 400 Meter der Männer dann aber doch einen klaren Sieger, der sich eindeutiger durchsetzte als die Titelträger in den meisten anderen Disziplinen.

Der schon mit der schnellsten Vorleistung (47,93 sec) angereiste Kevin Joite ging die beiden Hallenrunden am schnellsten an, hielt sich aus den Positionskämpfen beim Einbiegen auf die Innenbahn raus und steigerte seine Bestzeit aus dem Vorlauf (47,59 sec) noch einmal um fast eine halbe Sekunde auf 47,13 Sekunden. Gut eine halbe Sekunde später folgte Silber-Medaillengewinner Justus Baumgarten (SCL Heel Baden-Baden; 47,64 sec) vor Lukas Peter (LC Jena; 48,12 sec).

Mit gerade einmal 19 Jahren stand der Athlet des Dresdner SC 1898 damit erstmals ganz oben auf dem nationalen Podium. Dass er sein hohes Anfangstempo bis ins Ziel bringen konnte, ist nicht nur mit seiner dazugewonnenen körperlichen Leistungsfähigkeit zu erklären, sondern war auch Kopfsache. Die starke Hallensaison könnte die Grundlage dafür sein, dass seine Karriere auch in Zukunft weiter geht.

Fürs Turnen gescoutet, bei der Leichtathletik gelandet

Schon mit vier Jahren hat Kevin Joite in seiner Heimat beim SC Riesa mit der Leichtathletik begonnen. „Ich bin im Kindergarten gescoutet worden, eigentlich fürs Turnen. Das hat mir aber keinen Spaß gemacht und ich bin schnell zur Leichtathletik gewechselt“, erzählt der heutige Leistungssportler. „Meinen ersten Wettkampf hatte ich mit sechs Jahren. Ich weiß noch, dass ich gegen zum Teil zwei Jahre ältere Konkurrenz angetreten und Vierter geworden bin. Das hat mich schon damals angespornt, immer besser zu werden.“

Erstmal standen alle Disziplinen auf dem Trainingsplan, mit einem besonderen Augenmerk auf dem Hochsprung. Im Jahr 2014 belegte der damals 14-Jährige bei den Deutschen U16-Meisterschaften in Mönchengladbach im Blockwettkampf Sprint/Spring den 16. Platz (2.679 Pkt). Die meisten Punkte brachten ihm seine Leistungen im Weitsprung (5,58 m) und Hochsprung (1,64 m) ein.

In dem Jahr entschied sich der damalige Achtklässler auch dafür, aufs Sportgymnasium in Dresden zu wechseln. Seitdem wohnte er unter der Woche auch in der sächsischen Hauptstadt im Internat. „Ich musste früh lernen, selbstständig zu sein. Mein Mitbewohner hat mir geholfen, so dass ich gut klar gekommen bin“, erzählt der Schüler, der seitdem er volljährig ist, wie alle Internatsbewohner, sein Zimmer räumen musste und jetzt in einem Studentenwohnheim lebt.

Orientierung auf den Langsprint

Sportlich sorgte mit dem Wechsel nach Dresden Trainer Rico Martick für neue Impulse. In der Altersklasse M15 entdeckte Kevin Joite den Langsprint für sich. Bei der U16-DM in Köln belegte er 2015 den zweiten Platz über 300 Meter Hürden (40,64 sec) und stand auch in der Jahresbestenliste seiner Altersklasse über die 300 Meter flach (36,38 sec) auf dem zweiten Platz. Auf diese ersten Erfolge folgte eine schwierige Zeit: Ein Ödem und eine Entzündung im Fuß verhinderten 2016 die Teilnahme an Wettkämpfen.

In den beiden Jahren danach ging es in der leistungsstarken 400-Meter-Gruppe von Erika Falz wieder bergauf. „Das war eine wichtige Station und ich habe viel dazugelernt“, denkt Kevin Joite dankbar zurück. Im Training standen eher Überdistanzen auf dem Programm. Als Resultate gingen unter anderem Rang vier bei der Jugend-DM 2017 in Ulm (49,75 sec; U18) und ein Jahr später in Rostock Rang fünf in der U20 (48,21 sec) in die Ergebnislisten ein. Die Bestzeiten in den beiden Jahren: 48,52 Sekunden im Jahr 2017 und 48,05 Sekunden im Jahr 2018.

Da Erika Falz ihre Tätigkeit beendete und in den Ruhestand ging, folgte 2018 der nächste Trainerwechsel zu Claudia Marx. Damit verbunden war auch ein Wechsel der Trainingsphilosophie. Denn die Disziplin-Bundestrainerin der Frauen setzt darauf, über die Sprintfähigkeit die 400 Meter in Angriff zu nehmen. Im ersten Jahr der Zusammenarbeit gelang diese Umstellung bei ihrem neuen Schützling allerdings nur zur Hälfte. Über 200 Meter steigerte sich Kevin Joite deutlich von 22,25 auf 21,56 Sekunden. Diese gewonnene Schnelligkeit konnte er aber noch nicht über die Stadionrunde bringen.

U20-EM verpasst, Bronze bei Jugend-DM gewonnen

Nach einer passablen Hallensaison mit Rang vier bei der Jugend Hallen-DM (48,52 sec) hieß das Ziel im vergangenen Jahr: Staffel-Teilnahme bei der U20-EM in Boras (Schweden). Doch beim Ausscheidungsrennen in Mannheim gingen auf der Zielgeraden nach einem schnellen Anfangstempo die Kräfte aus.

„Es waren 38 Grad und ich habe mir zu viel Druck gemacht“, erinnert sich der Dresdner an seine bisher härteste Erfahrung auf der Stadionrunde. „Das waren die schlimmsten letzten 100 Meter, weil alle an mir vorbeigezogen sind.“ Platz sechs (48,59 sec) war gleichzeitig zu wenig für das Ticket zur U20-EM, eine schmerzliche Erfahrung.

Die führte aber nicht dazu, dass Kevin Joite aufgab. Im Gegenteil, er wollte erst Recht zeigen, dass mehr in ihm steckt. Eine erste Trotzreaktion folgte bei der Jugend-DM in Ulm anderthalb Monate später mit der Bronzemedaille (47,93 sec) und Bestzeit im Vorlauf (47,82 sec). „Das neue Trainingskonzept habe ich nicht in Frage gestellt. Ich habe einfach ein Jahr gebraucht, um mich umzugewöhnen.“

Training schlägt endlich an

Trainern Claudia Marx veränderte einige Stellschrauben im Training. Schlüssel zur Steigerung in der zurückliegenden Hallensaison war vor allem eine verletzungs- und krankheitsfreie Vorbereitung. „Ich habe etwas mehr auf meine Ernährung geachtet und mehr Obst und Gemüse gegessen“, berichtet der Athlet. „Außerdem wurde ein Vitamin-D-Mangel festgestellt, den ich jetzt ausgleiche.“

Auch an seiner mentalen Herangehensweise hat Kevin Joite etwas geändert. Anders als bei dem Versuch einen Staffelplatz für die U20-EM zu ergattern, ging er die Hallen-DM ohne überzogenen Erwartungsdruck an. In seinem ersten Männerjahr hieß das primäre Ziel: Finale. Dass er dort dann auch noch nach schnellem Angang die Spitze nicht mehr abgab, ist der höchstmögliche Lohn für das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und das umgestellte Trainingskonzept.

Nach dem überraschenden Erfolg „war mein Handy mit Nachrichten geflutet.“ Darunter auch Glückwünsche seiner Eltern und Großeltern, die nicht in der Arena dabei waren, sondern am Livestream mitgefiebert hatten. „Bei Wettkämpfen in ihrer Umgebung kommt meine Familie gern zum Zuschauen. Bei großen Meisterschaften ist es mir aber sogar lieber, wenn sie nicht dabei sind. Das würde die Aufregung nur noch mehr steigern.“

Zukunft offen, nicht nur wegen Coronavirus

Während sich viele DLV-Athleten im Moment vor allem die Frage stellen, ob die Olympischen Spiele im Sommer trotz des Ausbruchs des Coronavirus ausgetragen werden, steht Kevin Joite vor anderen Herausforderungen. Zu allererst steht sein Abitur vor der Tür. „Das habe ich im Griff. Das haben schon die Prüfungen zum Vorabitur gezeigt, die vor der Hallen-DM anstanden.“ Verschiebungen wegen der Coronakrise sind allerdings auch hier nicht ausgeschlossen.

Sportlich ist der Verlauf des Sommers entscheidend, ob die Karriere überhaupt fortgesetzt wird. „Vor der Wintersaison habe ich gedacht, dass 2020 mein letztes Jahr im Sport wird.“ Ob es weiter geht, hängt davon ab, ob sich der Leistungssport nach dem Schulabschluss etwa mit einem Platz in der Sportfördergruppe bei der Polizei verbinden lässt. Dafür ist ein Status als Bundeskaderathlet nötig.

An seiner zum Jahresauftakt so erfolgreichen Herangehensweise ohne große Erwartungen und mit Vertrauen in seine Trainingsarbeit will der Deutsche Hallenmeister festhalten. Seine Bestzeit aus der Halle möchte er im Freien erst einmal bestätigen und dann möglichst unter der 47-Sekunden-Marke bleiben.

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Das sagt Bundestrainer Edgar Eisenkolb:

Kevin hat schon in der Jugend auf sich aufmerksam gemacht und ist durch die Nachwuchskader gegangen. Bei der Hallen-DM hat er die Gunst der Stunde genutzt, die ihm durch die Abwesenheit etablierter Athleten geboten wurde. Einige Athleten aus dem Bundeskader konnte er auch hinter sich lassen. Das war eine gute Leistung in diesem Winter.

Er bringt eine gute Unterdistanz-Leistung mit, wovon er in der Halle gegenüber den Athleten profitiert, die ihr Rennen eher gleichmäßiger gestalten. Wenn er sich weiterentwickelt, haben wir einen Athleten, der im kommenden Olympiazyklus in die nationale Spitze vordringen und das Niveau dort mitbestimmen kann. Im Sommer traue ich ihm eine Steigerung von gut einer halben Sekunde zu. Schade, dass es für ihn keine internationale U23-Meisterschaft gibt.

Für fast alle Athleten, die ihren Schulabschluss machen, ist es eine Herausforderung, eine akzeptable Lösung in der dualen Karriere zu finden, trotz Bemühungen durch die Sporthilfe oder Möglichkeiten bei Polizei oder Bundeswehr. Im Fall von Kevin habe ich mit dem Ergebnis der Hallen-DM einen Antrag beim DLV gestellt, ihn in den U23-Kader NK1 aufzunehmen. Dem wurde stattgegeben.

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