| Interview mit DLV-Psychologin

Tanja Damaske: „Athleten sind nicht allein – wir sind für sie da“

Das Coronavirus hat die Welt verändert. Im großen Ganzen. Aber auch im Kleinen. Im Alltag eines Jeden – eben auch eines jeden Leichtathleten. Welche Möglichkeiten haben Athleten, in dieser Situation, ihre Mitte nicht zu verlieren? Wie können sie mit den aktuellen Unklarheiten umgehen? Und welche Chancen bietet diese Situation vielleicht gar? Wir haben mit DLV-Psychologin Tanja Damaske gesprochen.
Alexandra Dersch

Tanja Damaske, plötzlich ist nichts mehr, wie es vorher war. Die Trainingsstätten sind geschlossen, Wettkämpfe sind abgesagt, ob Olympia stattfindet, mag noch niemand vorhersagen. Wie gehen Athleten Ihrer Wahrnehmung nach damit um?

Tanja Damaske:

Uns überrollt gerade eine Welle, auf die niemand vorbereitet war und auch nicht sein konnte. Ein zuvor so nicht bekannter Virus überfällt die ganze Welt und verändert unsere Realität, unser ganzes Leben. Das schürt Ängste und jeder geht damit unterschiedlich um. Ich kann nur dazu raten, ruhig zu bleiben.

Das Stichwort, was aktuell viel diskutiert wird, ist Olympia…

Tanja Damaske:

Natürlich. Das bewegt die Sportler. Und doch sollten sie sich an dieser Diskussion nicht beteiligen. Warum? Weil sie nicht die Entscheidung fällen. Das machen andere. Ich weiß, diese Ungewissheit ist quälend. Sie ist herausfordernd. Und doch sollten wir das Gute daran sehen: Diese Situation ist für alle gleich. Egal in welchem Land. Egal in welcher Sportart. Aktuell hat niemand einen Nachteil. Es geht allen Athleten genau gleich. Das ist der große Unterschied zu einer Verletzung. Da hadern die Athleten oft und sagen, ‚jetzt habe ich einen Nachteil im Vergleich mit anderen Athleten, die die ganze Zeit durchtrainieren konnten‘. Das ist hier nicht der Fall. Hier stehen alle Sportler vor der gleichen Situation. Die Frage ist, wer meistert sie am besten.

Wie lässt sich diese Ungewissheit denn am produktivsten meistern?

Tanja Damaske:

Ich muss die Situation annehmen. Akzeptanz ist das große Stichwort. Es hilft jetzt nicht, zu hadern. Es hilft nicht, in Panik zu verfallen. Im Gegenteil: Wir alle haben keine andere Wahl, als diese Ungewissheit so hinzunehmen und uns Alternativen zu suchen. In unserem Alltag und eben auch unserem Training.

An welche Alternativen denken Sie?

Tanja Damaske:

Neben den alternativen Trainingsstätten, wie eben Feldwegen oder den eigenen vier Wänden, spielt in diesen Zeiten auch das mentale Training eine große Rolle. Es gibt diverse Studien dazu, die uns deutlich zeigen: Mentales Training hat einen positiven Effekt auf Technik und Abläufe. Dabei geht es darum, sich sein Training möglichst bildlich vorzustellen. Angefangen beim Aufwärmen. Welche Bewegungen machst du? Was spürst du dabei? Wie geht dein Atem? Das funktioniert bei Technik- oder Laufeinheiten genauso. Der Kopf unterschiedet nicht, ob die Einheit real oder mental stattfinden. Daher können so auch Feinheiten in Bezug auf die Technik trainiert werden und sich setzen. Prozesse im Körper können durch diese Kopfarbeit angeregt und gesteuert werden.

Natürlich ersetzt das mentale Training auf Dauer nicht das reale Training, aber es ist eine Möglichkeit, es zu unterstützen und der Einstieg, wenn das reguläre Training wieder aufgenommen werden kann, fällt nicht ganz so schwer. Das mentale Training kann ich ruhig zweimal am Tag durchführen, etwa vormittags fünf bis zehn Minuten und nachmittags noch einmal. Länger geht es aber auch nicht, denn mentales Training ist unglaublich anstrengend. Meditation ist eine andere gute Möglichkeit. Wichtig ist, in ein positives Denken zu kommen und das Gefühl zu erhalten: Ich mache etwas aus dieser Situation und sehe nicht gelähmt zu.

Sie sprechen es an: das positive Denken. Angesichts der unklaren Situation fällt genau das manchen Athleten derzeit schwer und die Motivation leidet. Gibt es Strategien, um aus dieser negativen Spirale herauszufinden?

Tanja Damaske:

Diese Ungewissheit – sie zu ertragen ist schwer. Am ehesten ist der Zustand vielleicht mit dem während einer Verletzung zu vergleichen. Da wissen die Athleten oft auch nicht, wie lange dauert es noch? Wofür mache ich das eigentlich? Ich kann natürlich hadern, ich kann wütend sein. Das sollen die Athleten auch und wichtig ist, dass sie diese Wut auch herauslassen. Herunterschlucken, das ist auf Dauer nicht gut. Aber wenn das geschehen ist, ist es Zeit, den Schalter umzulegen, und dann setzt die Kopfarbeit ein.

Wir Psychologen arbeiten dann gerne mit Stoppschildern, die sich jeder Athlet individuell setzen kann. Manche stellen sich das Stoppschild aus dem Straßenverkehr vor, andere sagen sich selbst laut „Stopp“ vor, andere ballen die Faust als ihr Geheimzeichen für den Stopppunkt. Da entwickelt jeder seine individuellen Strategien, die ihm helfen. Aber für alle bedeutet dieses Stoppzeichen: Ab jetzt beschäftige ich mich mit dem Hier und Jetzt. Ich kontrolliere meine Gedanken, akzeptiere die Situation, da ich sie nicht aktiv ändern kann. Das ist harte Arbeit, die können wir den Athleten leider nicht abnehmen. Aber wir können anbieten, dass wir da sind, wenn sie reden wollen. Sie sind nicht allein in dieser Situation.

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