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Deniz Almas – Teamplayer schlägt erstmals solo zu

Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig haben einige neue Gesichter den Platz ganz oben auf dem Treppchen erobert. Einige nutzten die Abwesenheit von nationalen Leistungsträgern der vergangenen Jahre, um ins Rampenlicht zu treten. Andere ließen etablierte Athleten hinter sich und stehen für einen Generationswechsel. Wir erzählen ihre Geschichten, heute die von Sprinter Deniz Almas (VfL Wolfsburg).
Jan-Henner Reitze

Deniz Almas
VfL Wolfsburg

Bestleistungen:

60 Meter: 6,60 sec (2020)
100 Meter: 10,28 sec (2019)

Erfolge:

U23-Europameister 2019 (Staffel)
U23-Europameister 2017 (Staffel; Einsatz im Vorlauf)
Bronze U20-WM 2016 (Staffel; Einsatz im Vorlauf)
Fünfter U20-EM 2015 (Staffel)
Deutscher Hallenmeister 2020

Geduld, Vertrauen und Spaß: Diese drei Faktoren fallen einem nicht zuerst ein, wenn man Zutaten für eine erfolgreiche Sprint-Karriere aufzählen soll. Sie waren im Fall von Deniz Almas aber ausschlaggebend dafür, dass er bei der Hallen-DM in Leipzig seinen ersten nationalen Titel holen konnte. Über viele Jahre stand sein Name nie ganz oben in den Ergebnis- und Bestenlisten. Weil er sich aber früh als starker Staffelläufer hervortat und die Chance bekam, diese Eigenschaft auch im DLV-Trikot unter Beweis zu stellen, blieb der 22-Jährige der Leichtathletik erhalten.

In diesem Winter offenbarte sich sein Potenzial in Leipzig endlich auch in einem wichtigen Einzelrennen. In 6,60 Sekunden sprintete der Athlet des VfL Wolfsburg allen davon. Ermöglicht hat diesen Erfolg die kontinuierliche Arbeit in der Trainingsgruppe von Bundestrainer Ronald Stein. Die Leidenschaft für den Sprint wurde schon viel früher entfacht, als der aus Calw in Baden-Württemberg stammende Athlet in seiner Jugend im Sport viele Freundschaften knüpfte. Bis heute spricht er von einer „familiären Atmosphäre“ rund um seinen Sport.

VfL Sindelfingen wird Sprungbrett ins Nationalteam

Nachdem er in der dritten Klasse bei den Bundesjugendspielen durch seine Schnelligkeit und Sprungkraft aufgefallen war, meldeten seine Eltern Deniz Almas in der Leichtathletik-Abteilung des TV Altburg an. Ebenfalls als Hobby spielte er damals weiter Fußball. Die ein bis zwei eher spielerischen Trainingseinheiten in der Leichtathletik brachten ihm aber immerhin eine Einladung zum Kreisvergleichskampf, und der Trainer und Vorsitzende der LG Calw Günther Henne wurde auf den schnellen Schüler aufmerksam.

„Er hat Talent in mir gesehen und geraten, mich dem VfL Sindelfingen anzuschließen, um etwas ambitionierter zu trainieren“, erzählt der heutige Leistungssportler, der das Fußballspielen daraufhin 2012 aufgab und stattdessen fünf- bis sechsmal pro Woche zum Leichtathletik-Training nach Sindelfingen pendelte. „Das war eine große Umstellung und auch ein großer Aufwand. Meine Eltern konnten mich nicht täglich fahren und ich bin mit den Öffis jeweils eine Stunde hin- und zurückgefahren, bis ich 18 war und Auto fahren konnte.“

Diesen Weg nahm der Sprinter aber gern in Kauf, denn in der Gruppe von Peter Wiesner wurde nicht nur das Training strukturierter, was sich schnell positiv auf die Leistung auswirkte. Es waren auch Mitstreiter da. Nicht nur, um sich in den Einheiten dranzuhängen, sondern auch, um sich über alles Mögliche über den Sport hinaus auszutauschen. „Die Gruppe war super cool, wir haben bis heute noch guten Kontakt.“ Besonderen Wert legte sein damaliger Trainer auf die Staffel, was sich noch als Vorteil herausstellen sollte.

Wahres Potenzial offenbart sich nur mit Staffelholz in der Hand  

Das leistungsorientierte Training führte 2013 zur ersten Teilnahme bei Deutschen Jugendmeisterschaften in Rostock. Über 100 und 200 Meter war im ersten U18-Jahr aber jeweils im Vorlauf Endstation. Ein Jahr später gelang als Süddeutscher Vize-Meister und einer Zeit von 10,82 Sekunden der Anschluss an die nationale Spitze seiner Altersklasse. So mischte Deniz Almas auch mit, als sich die Nachwuchs-Sprintelite des DLV 2015 zur Sparkassen-Gala in Regensburg und zur Junioren-Gala in Mannheim traf. Nach soliden Einzelzeiten durfte er dort jeweils auch in der Staffel ran.

Dabei offenbarte der damals 17-Jährige ungeahnte Qualitäten. „Durch das intensive Staffeltraining vorher in meinem Verein hatte ich deutlich mehr Sicherheit beim Wechseln“, erzählt der Sprinter, der auch nochmal deutlich schneller unterwegs war als im Einzel. „Sobald ich ein Staffelholz in der Hand hatte, war der Kopf aus. Man rennt los und der einzige Gedanke ist, dem nächsten Läufer das Holz in die Hand zu drücken. Dass rechts und links noch jemand rennt, kriegt man gar nicht mehr mit.“

In der Staffel international dabei, im Einzel national eher hinterher

Diese Sicherheit und zusätzliche Geschwindigkeit überzeugte den damals noch als Bundestrainer für den Nachwuchs zuständigen Jörg Möckel so sehr, dass Deniz Almas in seinen beiden U20-Jahren bei den internationalen Höhepunkten, der U20-EM 2015 in Eskilstuna (Schweden; Platz fünf) und der U20-WM 2016 in Bydgoszcz (Polen; Bronze; Einsatz im Vorlauf), jeweils im Staffelaufgebot stand.

Im Einzel lief es nicht so rund. Größte Erfolge in der U20 waren jeweils der Einzug ins 60-Meter-Finale bei der Jugend-Hallen-DM, wo mit den Rängen sieben und acht aber auch keine optimalen Vorstellungen glückten. „Gerade bei wichtigen Rennen wollte ich es immer besonders gut machen. Das ist regelmäßig nach hinten losgegangen“, erzählt Deniz Almas. Dazu passt, dass seine einzige Finalplatzierung bei Deutschen Jugendmeisterschaften im Freien ein fünfter Platz mit seiner Vereinsstaffel über 4x100 Meter war.

Leipzig wird neue sportliche Heimat

Während sich mit dem Aufstieg in die U23 bei vielen seiner Trainingspartner im heimischen Sindelfingen abzeichnete, dass mit dem Schulabschluss die berufliche Zukunft mehr in den Mittelpunkt rückt und der Sport zurücksteckt, konnte Deniz Almas die nächsten Erfolge verzeichnen. Auch bei der U23-EM zählte er zum siegreichen Staffelaufgebot (Einsatz im Vorlauf), konnte seine Bestzeit um vier Zehntel auf 10,33 Sekunden steigern und wurde in den Bundeskader aufgenommen. Der Sport wurde damit zu einer Option.

Als dann sein DLV-Staffel-Kollege aus den vergangenen Jahren Felix Straub nach Leipzig in die Trainingsgruppe um Bundestrainer Ronald Stein wechselte, machte auch Deniz Almas dort eine Probewoche. „Ich wurde sofort gut aufgenommen, habe mich wohl gefühlt und entschieden, ebenfalls nach Leipzig zu gehen.“    

VfL Wolfsburg als wichtige Stütze

Damals trainierte auch Sven Knipphals noch mit, der seine Karriere 2018 beendete. Für Deniz Almas  verlief dieses erste Jahr im neuen Umfeld verletzungsbedingt nicht wie erhofft. Schon im Juni musste er seine Saison vorzeitig beenden und verlor seinen Kaderstatus. „Da hingen auch die Sporthilfe und ein Stipendium bei der Deutschen Bank dran“, erzählt der Nachwuchsathlet. „Durch Svens Kontakte nach Wolfsburg habe ich dort einen neuen Verein gefunden und konnte meinen finanziellen Ausfall teilweise kompensieren.“

Die schwierige Saison führte auch dazu, dass sich der Sprinter nochmal intensiver mit sich und seinem Sportlerleben auseinandersetzte. Unter anderem begann er mehr auf die Ernährung zu achten. „Bis dahin habe ich einfach immer das gegessen, worauf ich gerade Lust hatte.“ Auch diese Umstellung ist ein wichtiger Baustein der jüngsten Steigerungen.

Schon das Jahr 2019 ermöglichte dann dank dem erneuten Staffel-Gold bei der U23-EM und der neuen Bestzeit von 10,28 Sekunden einen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr, der seit Herbst zusätzliche finanzielle Sicherheit bringt. Neben dem Training läuft in Leipzig außerdem ein Studium in Sportwissenschaften.

Viel Reden setzt Potenzial im Einzelrennen frei

In seiner Gruppe mit Roy Schmidt, Marvin Schulte, Niels Torben Giese, Felix Straub (alle SC DHfK Leipzig), Robert Hering (TV Wattenscheid 01) sowie den besten DLV-Hürdensprintern Gregor Traber (LAV Stadtwerke Tübingen), Erik Balnuweit (TV Wattenscheid 01) und Martin Vogel (SC DHfK Leipzig) schätzt Deniz Almas neben der Kollegialität die besondere Dynamik. „Das Training ist oft ganz nah am Wettkampf, niemand möchte gegenüber dem anderen zurückstecken.“

Weitergebracht haben ihn auch die ausführlichen Gespräche mit seinen wichtigsten Ansprechpartnern im Trainerteam Ronald Stein, Alexander John und Sven Knipphals. „Mir ist dadurch sehr viel bewusster geworden, was ich da eigentlich im Sprint genau mache“, berichtet der Deutsche Hallenmeister. „Es ging viel um die Einstellung zum Wettkampf, in dem es schlicht den im Training automatisierten Ablauf abzurufen gilt. Es geht nicht darum, etwas Besonderes zu machen.“

Wozu diese so einfach klingende, aber so schwer in die Tat umzusetzende Erkenntnis führt, hat die Hallen-DM gezeigt. Seine erste Medaille auf nationaler Ebene ist gleich eine goldene bei den Männern. Eine große Motivation, weiter an sich zu arbeiten.

Keine neue Blockade im Kopf schaffen

Dass der geplante Trainingsaufenthalt in den USA wegen der Corona-Krise kurzfristig abgesagt werden musste, war zwar schade, aber für Deniz Almas absolut nachvollziehbar. Da aktuell nicht klar ist, ob und wann eine Saison startet, ist das Training in Leipzig im Moment wieder etwas mehr auf die Grundlage statt auf einen näher rückenden Wettkampfstart ausgerichtet.

„Die Europameisterschaft ist ja noch nicht abgesagt und für alle in unserer Gruppe ein Thema und eine Motivation“, erzählt der Aufsteiger der Wintersaison. „Für uns als größtenteils junge Athleten ist ein Jahr mehr Vorbereitungszeit auf die Olympischen Spiele in Tokio vielleicht sogar ein Vorteil.“

Neben weiteren Staffeleinsätzen hat er natürlich auch seine Bestzeit im Visier. Genaue Zielmarken nimmt sich der Deutsche Hallenmeister aber nicht vor. Er möchte keine neuen Gedanken heraufbeschwören, die ihm im Wettkampf die hart erarbeitete Lockerheit kosten könnten. Er setzt weiter auf das Rezept, dass ihn in diesem Winter zum Erfolg geführt hat: Geduld, Vertrauen und Spaß.

Video-Interview: Deniz Almans: "Endlich hat es mit einer Einzel-Medaille geklappt"
Video: Gold und Bestzeit: Deniz Almans nutzt die Gunst der Stunde

Das sagt Bundestrainer Jörg Möckel:

Der Sieg von Deniz hat mich mehr gefreut als überrascht. Deniz gehört schon lange zur nationalen Spitze und war Jahr für Jahr in den Jugend-Nationalmannschaften. Er war kein Überflieger, ist aber immer wieder durch seine Kontinuität in der Staffel aufgefallen. Selbst wenn Deniz im Einzel nur eine 10,70 stehen hatte, konnte er in der Staffel 10,40-Niveau anbieten. Er war einfach ein guter, sicherer Staffelsprinter und ist dabei über sich hinausgewachsen. Das hat uns gezeigt, dass er, wenn es drauf ankommt, leistungsfähig ist.

Es war überfällig, dass er dies jetzt auch bei der Hallen-DM zeigen konnte. Es ist das Resultat der guten Arbeit und Erfahrung im Team in seiner Gruppe um Ronald Stein, Alexander John, Raphael Rabe und Sven Knipphals.

Deniz ist es in Leipzig gelungen, die Entwicklungsschwerpunkte umzusetzen, die in diesem Winter ganz oben auf der Liste standen. Er hatte immer ein kleines Turbo-Loch zwischen 10 und 30 Metern. Das hat er jetzt besser gemacht, wodurch die Beschleunigung etwas besser ist und der Topspeed ein bisschen höher.

Deniz ist auf einem guten Weg, hat einen guten Schritt gemacht, aber es bleiben noch einige. Schnelle 60 Meter sind noch nicht automatisch schnelle 100 Meter, und in Zukunft wird es für ihn auch darum gehen, über einen gesamten Sommer Leistung zu bringen. Das braucht Erfahrung und einen Reifeprozess. Dafür muss man ihm auch Zeit lassen. Wir werden ihn fördern und unterstützen.

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