| Schlaf und Sport

Prof. Dr. Jürgen Zulley: "Der durchschnittliche Schläfer wird nachts 28 Mal wach"

Er gilt als einer der renommiertesten Schlafforscher Deutschlands. Im Gespräch mit leichtathletik.de erklärt Prof. Dr. Jürgen Zulley, welchen Einfluss der Schlaf auf die sportliche Leistungsfähigkeit hat, zu welcher Tageszeit am besten trainiert werden sollte und warum es gar nicht unbedingt so wichtig ist, in der Nacht vor einem Wettkampf besonders gut zu schlafen.
Nicolas Walter

Prof. Dr. Zulley, würden Sie sich selbst als guten Schläfer bezeichnen?

Jürgen Zulley:

Wie jeder Mensch habe ich mal gute oder schlechte Nächte. Mein wesentlicher Vorteil ist, dass wenn ich mal schlecht schlafe, es mir wirklich überhaupt nichts ausmacht. Wenn ich wach im Bett liege, denke ich mir: Wunderbar ich muss noch nicht aufstehen. Ich genieße es einfach. Im Gegensatz zu anderen, die sich dann Sorgen machen. Wenn man sich mit dem Thema Schlaf regelmäßig beschäftigt, lernt man gelassener damit umzugehen.

Was macht denn guten Schlaf aus?

Jürgen Zulley:

Ein guter Schlaf ist vor allem durch seine Qualität gekennzeichnet, die Dauer ist da gar nicht so stark von Bedeutung. Die Qualität eines erholsamen Schlafes orientiert sich an verschiedenen Schlafstadien, in denen bestimmte Hormon-Ausschüttungen stattfinden. Bei einem guten Schlaf ist es vor allem wichtig, dass möglichst viel von der Phase des Tiefschlafs enthalten ist. Das ist der Schlaf, der in der ersten Nachthälfte passiert und in der die Ausschüttung des sogenannten Wachstumshormons stattfindet, welches für eine Vielzahl von regenerativen Funktionen zuständig ist, unter anderem auch für Muskelwachstum, den Fetthaushalt und auch für die Knochen.

Wann in etwa setzt dieser Tiefschlaf ein?

Jürgen Zulley:

Nach einer halben Stunde sind wir ungefähr im Tiefschlaf und nach etwa vier Stunden Schlafdauer wechseln wir nur noch ab zwischen leichtem Schlaf und dem sogenannten Traumschlaf. Der ist auch wichtig, aber lange nicht so wichtig wie der Tiefschlaf.

Gibt es große Irrtümer, die sich beim Thema Schlaf nach wie vor halten?

Jürgen Zulley:

Ein großer Irrtum ist, dass es für einen guten Schlaf notwendig ist, dass man durchschläft. Das ist falsch. Der durchschnittliche Schläfer wird nachts 28 Mal wach. Aber meist so kurz, dass er es wieder vergisst. Dann ist er für höchstens ein, zwei Minuten wach und schläft sofort wieder ein. Wenn man so schnell wieder einschläft, vergisst man, dass man wach geworden ist. Es gibt viele Menschen, die sich darüber freuen endlich durchgeschlafen zu haben. Die sind dann eben 28 Mal kürzer als zwei Minuten wach geworden und haben es wieder vergessen. Mit diesem Erwachen sollten wir gelassen umgehen, sonst schaffen wir ein Problem, welches uns am Wiedereinschlafen hindert.

Wie sieht es mit dem Einfluss des Schlafs auf die sportliche Leistungsfähigkeit aus? Kann man durch Schlaf die sportliche Leistungsfähigkeit verbessern?

Jürgen Zulley:

Auf jeden Fall. Bei vielen Sportarten müssen Bewegungsabläufe trainiert oder erlernt werden und während des Schlafens wird das am Tag Erlernte abgespeichert. Egal, ob das Bewegungsabläufe oder Vokabeln sind, man kann sie besser wiedergeben, wenn man geschlafen hat. Insofern ist der Schlaf für Sportler sehr wichtig. Zudem kann sich unser Immunsystem nur im Schlaf regenerieren. Das ist für unsere Gesundheit von hoher Bedeutung. Das Wichtigste ist aber die bereits genannte Ausschüttung des Wachstumshormons, das für Muskelwachstum, weniger Fettgewebe und die Zunahme an Knochenmasse zuständig ist. Zudem ist es so, dass der Körper mit verstärkten Regenerations-Vorgängen antwortet, wenn sportliche Leistung erbracht wurde. Sport bis zu einer gewissen Intensität ist also schlaffördernd.

Wie viele Stunden nach dem Schlaf ist der Körper am leistungsstärksten?

Jürgen Zulley:

Es gibt zwei Zeitpunkte für eine erhöhte Leistungsfähigkeit am Tag. Der eine ist am Vormittag, was allerdings stark typabhängig ist. Für den einen ist es mehr der frühe Morgen, für den anderen mehr der späte Vormittag. Der zweite Zeitpunkt für erhöhte sportliche Leistungen ist der Nachmittag. Das ist der Zeitpunkt, an dem die meisten Trainingseffekte erzielt werden. Begrenzungen gibt es zum Abend hin. Alles was den Kreislauf zu stark anregt, ist am Abend weniger gut, da dann der Organismus wieder auf vollen Touren läuft. Wenn man dann schlafen gehen möchte, ist man nicht entspannt genug. Abends sollte man also nur moderaten Sport treiben. Ab zwei Stunden vor dem Schlafengehen sollte man schließlich gar keinen Sport mehr machen.

Die großen Laufveranstaltungen finden meist am Vormittag statt. Demnach ist das ein gutes Zeitfenster für sportliche Leistungen?

Jürgen Zulley:

Genau, das ist ein gutes Zeitfenster. Im Optimalfall sollte auch zu dem Zeitpunkt trainiert werden, an dem später die sportliche Leistung erbracht werden soll. Wenn ein Marathon also um 9 Uhr beginnt, dann sollte man sein Training idealerweise auch um 9 Uhr starten. Denn unser Organismus lernt, zu einer bestimmten Tageszeit Leistung zu erbringen.

Gerade Leistungssportler haben meist zwei Trainingseinheiten am Tag. Macht es Sinn, zwischen den Einheiten zu schlafen?

Jürgen Zulley:

Ja, kurz! Die Grenze liegt bei maximal 30 Minuten. Denn wenn man länger schläft, fällt man in den Tiefschlaf und braucht dann länger, um wieder richtig wach zu werden. Das ist für die Erholung grundsätzlich auch gut, nur dauert es lange, bis ich dann wieder wach und leistungsfähig bin. Aber generell zwischen den Trainingseinheiten zu ruhen ist ideal. Denn die Ruhe und Entspannung ist genauso wichtig wie die Anspannung und Leistung. Und das muss in einem ausgewogenen Verhältnis sein. Nach einem Mittagsschlaf ist man wesentlich leistungsfähiger und das Training hat einen besseren Effekt.

Gibt es denn sinnvolle technische Möglichkeiten, um seinen Schlaf zu steuern oder zu überwachen?

Jürgen Zulley:

Es gibt einige Apps und Möglichkeiten – allerdings nicht um den Schlaf, sondern vielmehr um die Bewegung im Schlaf zu messen. Daraus kann man dann gewisse Aussagen über den Schlaf treffen. Aber man kann damit zum Beispiel nicht zwischen Tiefschlaf und entspanntem Wachliegen unterscheiden. Ich bin bei diesen Versuchen, sich selbst zu messen, etwas skeptisch, weil sie die nötige Gelassenheit verhindern. Indem ich anfange zu messen, schenke ich dem Thema mehr Beachtung, und genau das sollte ich nicht tun. Wenn man zu viel darüber nachdenkt, ob der Schlaf nun lang genug war oder nicht, hat das eher negative Auswirkungen. Da sollte man entspannt sein und gelassen damit umgehen. Man sollte schon regelmäßig auf seinen Schlaf achten, aber ich würde nicht dazu raten ihn zu kontrollieren.

Die Ernährung spielt für Sportler eine wichtige Rolle. Wie viel Zeit sollte denn zwischen der letzten Mahlzeit und dem Schlafengehen liegen?

Jürgen Zulley:

Nach der Hauptmahlzeit sollten idealerweise vier Stunden vergehen. Nach dem Essen setzt reflektorisch der erste Teil der Verdauung ein, der dann die nächtliche Verdauungsphase stören kann. Generell sollte man nicht zu spät essen, ideal wäre 18 Uhr. Das ist zwar für die meisten viel zu früh. Aber wer kann, sollte so früh wie möglich relativ leicht verdauliche Kost zu sich nehmen. Die abendliche Mahlzeit kann den Schlaf erheblich stören. Und sich darüber Gedanken zu machen, lohnt sich.  

Richten wir den Blick auf die derzeitige Corona-Pandemie: Viele Menschen sind durch die Situation beunruhigt und verspüren Ängste. Wie schafft man es, auch in schwierigen Zeiten gesund zu schlafen?

Jürgen Zulley:

Wir geraten nachts in eine, salopp formuliert, mehr oder wenige kleine Depression. Die wird bedingt durch das Hormon Melatonin, dass man ausschüttet, wenn man nachts wach wird. Man fällt dann ins Grübeln und Dinge fallen einem sehr schwer. Idealerweise sollte man aber versuchen nicht zu denken. Leider können wir nicht nicht denken. Aber man sollte versuchen, die Probleme nicht zu wälzen. Das gilt auch für die aktuelle Corona-Situation. Man sollte notfalls lieber aufstehen und Kreuz-Wort-Rätsel lösen oder sich etwas anderes suchen, was Ablenkung bietet. Man kann auch mit Entspannungsmethoden entgegenwirken, die man für sich individuell erarbeitet hat. Eine Grundvoraussetzung für Schlaf ist nämlich Entspannung. Entspannung ist der Königsweg in den Schlaf.

Wie kann ich diese Entspannung erreichen?

Jürgen Zulley:

Für mich persönlich ist die beste Entspannungsmethode, sich auf leise und ruhige Musik zu konzentrieren. Man muss seinen Geist also mit monotonen, positiven Reizen beruhigen. Das können, wie bei kleinen Kindern, Einschlaflieder oder Einschlafgeschichten sein. Diese monotonen Reize wirken sehr beruhigend. Man muss seinen Geist beschäftigen, damit er nicht in eine Tretmühle gerät, die man dann nicht mehr stoppen kann. Wenn man unruhig im Bett liegt und dieses Gedankenkreisen einsetzt, dann sollte man lieber aufstehen und irgendwas tun, bis man wieder müde wird, oder versuchen, an diese positiven, monotonen Inhalte zu denken. Das beruhigt meistens sehr gut.

Unruhige Nächte kennen viele Sportler von der Nacht vor wichtigen Wettkämpfen. Aufregung und Anspannung sind dann allgegenwärtig. Wirkt es sich negativ auf die sportliche Leistung aus, wenn ich nur ein oder zwei Stunden vor einem Wettkampf schlafe?

Jürgen Zulley:

Nein. Eine einzige schlechte Nacht wird die Leistungsfähigkeit nicht reduzieren. Bei bestimmten Sportarten ist es sogar besser. Vielleicht kennen Sie das: Wenn man mal schlecht oder kaum geschlafen hat, ist man am nächsten Vormittag nicht schlechter drauf, sondern man ist sogar etwas quirliger. Das ist so, als wenn man zu viel Kaffee getrunken hat. Wenn ich schlecht schlafe und am nächsten Tag einen Vortrag habe, weiß ich, dass der Vortrag besser wird, als wenn ich ausgeschlafen bin. Das sollte man sich vor Augen führen, wenn man vor dem Wettkampf schlecht schläft. Deswegen ist man also am nächsten Tag nicht unbedingt schlechter drauf, man kann sogar besser drauf sein. Man sollte bei solchen Ereignissen auch eher etwas später zu Bett gehen als normal. Denn dann ist man beim Einschlafen richtig müde und darum geht es ja. Auf keinen Fall sollte man früher ins Bett gehen. Der Satz „Morgen muss ich fit sein, also gehe ich früher ins Bett“ ist also absolut falsch. Es muss heißen: „Morgen muss ich fit sein, also gehe ich lieber etwas später ins Bett“. Denn dann ist meine Müdigkeit höher und ich schlafe besser ein.

Besteht dann nicht das Risiko, dass ich den Müdigkeitspunkt überschreite und nicht mehr einschlafen kann?

Jürgen Zulley:

Das darf nicht zu weit sein. Man darf nicht Stunden später ins Bett gehen. Ich würde den Schlaf maximal um eine Stunde verzögern. Ich erhöhe den Schlafdruck damit nur ein bisschen.

Läufer reisen für die Teilnahme an Laufveranstaltungen oftmals in andere Städte und übernachten im Hotel oder bei Freunden. Wie sehr kann die fremde Umgebung meinem Schlaf schaden?

Jürgen Zulley:

Eine fremde Umgebung empfinden wir als nicht normal, dann sind wir natürlich angespannter und unruhiger. Es gibt neue Geräusche, andere Lichter, das ganze Bett ist anders. Das ist definitiv ein Faktor, der den Schlaf stört. Aber auch hier gilt: Wenn ich weiß, dass es in der Nacht vor dem Wettkampf nicht so wichtig ist wie ich geschlafen habe, dann beruhigt das und das hat zur Folge, dass man besser schläft.

Vielen Dank für das Gespräch!

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