| Porträt

Karriere-Ende muss warten: Julian Reus geht in die Verlängerung

So spät wie noch nie startete Julian Reus am Freitagabend in die Sommersaison. Deutschlands Rekordsprinter stürmte bei seinem Heimspiel im Erfurter Steigerwaldstadion zu zwei deutschen Jahresbestleistungen über 100 und 200 Meter. Dieser Corona-Sommer wird für ihn nicht der letzte in seiner Leitungssport-Laufbahn sein.
Sandra Arm

Locker und gelöst wirkte Julian Reus (LAC Erfurt Top Team) nach seinen Starts am Freitagabend in Erfurt. Zuvor war der 32-Jährige mit Zeiten von 10,24 und 20,82 Sekunden an die Spitze der deutschen Jahresbestenliste gestürmt. Ein Raketenstart, der eigentlich nicht hätte besser verlaufen können. „Besser geht immer, aber für den jetzigen Zeitpunkt und wie die letzten Trainingswochen liefen, war das schon eine sehr ordentliche Leistung. Dafür, dass ich aus einem sehr intensiven und umfangreichen Trainingsblock gekommen bin, war das schon sehr solide“, schätzte er seinen Einstieg ein.

Wenngleich er mit dieser Leistung schon etwas geliebäugelt hatte. So gaben die Trainingswerte leise Hoffnung für diese schnellen Einstiegszeiten. „Der erste Wettkampf ist immer eine kleine Wundertüte. Wir laufen draußen und sind dadurch etwas abhängig von den äußeren Bedingungen. Ich wusste, stimmen diese Bedingungen, dann kann ich in diesen Bereich laufen.“ Unberechenbar wirbelte der Wind: Ordentlich von hinten, aber im noch zulässigen Bereich (+1,5 m/s), blies er im zweiten Zeitendlauf über 100 Meter. Abgeschwächt mit 0,2 Metern pro Sekunden über 200 Meter.

Dieser Faktor passte. Ebenso wie die freie Nebenbahn, die Julian Reus nicht als großes Problem  empfand. „Für mich war es groß kein anderer Wettkampf als sonst. Beim ersten Rennen ist man gut mit sich selbst beschäftigt, von daher war das vollkommen in Ordnung. Zumal man im Training auch mal allein startet.“ Nicht so im Wettkampf mit der schnellen Konkurrenz. Auf diese trifft er vor den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig (8./9. August) noch zwei Mal: in Wetzlar (18. Juli) und Regensburg (25. Juli).

2020 wird kein Abschiedsjahr

Eine Sprint-Abschiedstour wird es von ihm in diesem Jahr nicht geben. „Ich mache noch ein Jahr weiter“, ließ er am Rande des Meetings verlauten. In den zurückliegenden Wochen hatte er noch offen über ein zeitnahes Karriereende nachgedacht: „Darüber werde ich in den nächsten Wochen ruhig entscheiden. Ich habe das Glück, dass ich auf beide Varianten vorbereitet bin. Mir ist wichtig, dass meine Familie, mein Trainer, mein Arzt und Physiotherapeut, sowie der Verein hinter der Entscheidung stehen.“

Wenn Julian Reus auf die vergangenen Wochen zurückblickt, dann verspürt er eine enorme Dankbarkeit. Die Auswirkungen der Corona-Krise bekam der Topsprinter nicht annähernd so stark wie das Gros der anderen DLV-Athleten zu spüren. „Es verging kein einziger Tag, wo ich nicht trainieren durfte. In der Halle und im Stadion konnte ich mein Programm durchziehen. Das war von der Thüringer Landesregierung, der Stadt Erfurt und dem Olympiastützpunkt Thüringen top geregelt.“

Kaum Beeinträchtigungen durch die Corona-Krise

Es war Ende Januar als der Leichtathletik-Weltverband die Hallen-WM in Nanjing (China) wegen des Coronavirus-Ausbruchs absagte. „Ab diesem Moment bekam man schnell das Gefühl, dass es nicht bei dieser einen Absage bleiben wird und es womöglich noch mehr Sportevents betreffen könnte.“ Das ungute Gefühl täuschte Julian Reus nicht. Zunächst wurden die Olympischen Spiele in Tokio (Japan) ins nächste Jahr verschoben. „Als die Absage kam, habe ich meinem Körper eine zweiwöchige Ruhepause gegönnt. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt noch spekuliert, dass die EM nicht abgesagt wird“, berichtet Julian Reus. Doch auch die letzte leise Hoffnung versiegte, als Ende April die Absage der Leichtathletik-Europameisterschaften in Paris die Sportler erreichte.

Nach der kleinen Pause kehrte der Vater einer dreijährigen Tochter zurück ins Training. Der Spagat zwischen Sport und Familie klappte dabei problemlos. „Wir waren eine der wenigen Familien, die normal leben konnten. Meine Frau ist Ärztin, sie arbeitet in einem systemrelevanten Beruf. Somit war gewährleistet, dass wir unsere Tochter in die Kita bringen konnten“, erzählt Julian Reus vom kleinen Glück in dieser Corona-Ausnahmesituation. So war gewährleistet, dass er ganz normal sein Trainingspensum absolvieren konnte. Momentan feilt der deutsche Rekordsprinter mit dem Trainergespann Gerhard Jäger und Tobias Schneider an der Spezifik, um dann im Juli und August schnell laufen zu können.

Neue Aufgabe abseits der Bahn

Außerhalb der Bahn bekleidet Julian Reus seit mehr als einem halben Jahr das Amt des Kommissionsvorsitzenden Leistungssport beim TLV – mit Spaß, Ehrgeiz und Motivation. Er übernahm die Nachfolge von Thomas Gentzel. „Thomas war in der ersten Sitzung nach der Wahl dabei. Ich habe mir gar nicht groß Infos von ihm im Vorfeld eingeholt. Ich werde die Themen unvoreingenommen angehen und habe dafür einen klaren Plan.“ Und ein großes Team: Sichtungstrainer Steffen Droske, die Trainervertreter Rico May und Enrico Aßmus, Leistungssportkoordinator Axel Siegfried, Jugendwart Max-Otto Strobel, Verbandärztin Anja Beberhold und OSP-Sportwisseschaftlicher Vladimir Muravev.

In den ersten Wochen ging es ihm um die Analyse, wie der TLV qualitativ und quantitativ strukturell dasteht. Eigentlich hätte es im März eine erste Kommissionssitzung geben sollen. Diese fiel dem Ausbruch des Corona-Virus zum Opfer. Durch die Zwangspause seien ihm zwei bis drei Monate in der Arbeit verloren gegangen. Die Ergebnisse seiner Arbeit sollen langfristig Wirkung im Leistungssport zeigen. Daher wird er sich erst in zwei, drei Jahren messen lassen müssen, was von seinen Plänen umgesetzt werden konnte.

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