| Interview der Woche

Christina Hering: „2021 bleibe ich definitiv bei den 800 Metern“

800-Meter-Spezialistin Christina Hering (LG Stadtwerke München) hat vergangene Woche mit Platz vier bei der Diamond League in Rom ihre Saison beendet. Im Interview spricht die 25-Jährige über diesen besonderen Leichtathletik-Sommer, ihren gelungenen Ausflug auf die 1.500 Meter, das perfekte Rennen und die Zahl zehn.
Martin Neumann

Christina Hering, was verbinden Sie mit der Zahl zehn?

Christina Hering:

Etwas sehr Schönes! Ich habe bei der Hallen-DM in Leipzig meinen zehnten DM-Titel über 800 Meter bei den Frauen gewonnen. Das war natürlich ein besonderer Titel nach der Tausendstel-Entscheidung im vergangenen Jahr mit meiner Trainingspartnerin Katharina Trost.

Ich hätte noch eine Verbindung zur Zahl zehn. Sie haben in dieser Saison zehn Freiluftwettkämpfe bestritten.

Christina Hering:

Das stimmt. Neunmal bin ich 800 Meter gelaufen und beim ISTAF in Berlin die 1.500 Meter.

Haben Sie im Frühjahr während der Corona-Hochphase gedacht, dass Sie noch so viele Rennen in diesem Jahr bestreiten würden?

Christina Hering:

Nein, tatsächlich nicht. Noch bis Mai bin ich davon ausgegangen, dass es gar keine Wettkämpfe für mich geben würde.

Als die Olympischen Spiele und die EM für 2020 gestrichen wurden: Wie sind Sie mit der neuen Situation umgegangen?

Christina Hering:

Für mich wurde es zum damaligen Zeitpunkt plötzlich ein Trainingsjahr in der Vorbereitung auf 2021. Damit hatte ich mich abgefunden. Erst als klar war, dass die Deutschen Meisterschaften in Braunschweig und weitere Wettkämpfe stattfinden würden, konnte man sich neue Ziele setzen. Und ohne Olympische Spiele und EM war die DM der wichtigste Wettkampf des Jahres für mich. Schließlich ging es dort um einen Titel. Generell habe ich jedes Rennen als neue Herausforderung gesehen. Leider haben die Zeiten nicht ganz mein wahres Leistungsniveau widergespiegelt. Denn speziell die Diamond League Rennen in Stockholm und Rom waren zu unruhig.

Gab es auch mal Tage, an denen Ihnen das Training so richtig schwer gefallen ist, an denen die Motivation fehlte?

Christina Hering:

Definitiv. Als klar war, dass die Olympischen Spiele nicht stattfinden würden. Da fragt man sich schon, warum man jeden Tag hart trainieren soll. Das waren aber nur ein paar Tage. Ich habe sofort gemerkt, dass mein Körper die Bewegung braucht. Durch den strengen Lockdown in Bayern konnte ich ja für acht Wochen nicht wie sonst in der Gruppe und auf unseren Anlagen trainieren. Entsprechend viel war ich zu Hause. Da war das Training mein Tageshighlight.

Sie sind früher vermehrt 400 Meter gelaufen, beim ISTAF vor zwei Wochen in Berlin sind Sie erstmals 1.500 Meter gelaufen. Wie haben Sie das Rennen über die dreidreiviertel Runden erlebt?

Christina Hering:

Es war mein erstes „echtes“ Rennen über 1.500 Meter. Mit 15 Jahren bin ich schon einmal diese Strecke gelaufen. Die 5:03 Minuten tauchten ja auch in den ISTAF-Startlisten auf. Über die Steigerung von 55 Sekunden kann ich nicht klagen (lacht). Viele haben vor dem Rennen gesagt, dass es für eine 800-Meter-Spezialistin richtig hart sein kann. Aber ich habe das Rennen in total guter Erinnerung. Ich habe mich gut gefühlt und bin aktiv gelaufen. Aber klar: Es war an der Startlinie eine Mischung auf Vorfreude und Angst vor dem Unbekannten. Bei den 800 Metern weiß ich ganz genau, was mich erwartet. Bei den 1.500 Metern wusste ich es nicht.

Gab es einen Punkt im Rennen, an dem es richtig hart geworden ist?

Christina Hering:

Ja, 300 Meter vor dem Ziel. Aber da durfte es ja auch hart werden. Ich habe mich total ausbelastet und habe als Letzte die Mixed-Zone verlassen, so platt war ich.

Sie sind als Zehnte 4:08,30 Minuten gelaufen. Waren Sie selbst überrascht von der Zeit deutlich unter 4:10 Minuten?

Christina Hering:

Mir war klar, dass ich in der Lage sein muss, unter 4:15 Minuten zu laufen. Auf eine Zeit unter 4:10 Minuten habe ich gehofft. Denn ich kann mich ja im Training sehr gut mit Katharina Trost vergleichen. Da ich in Ausdauereinheiten sogar schneller war und sie diese Saison auch unter 4:10 Minuten gelaufen ist, habe ich darauf vertraut, dass es gut werden würde. Allerdings sind Training und Wettkampf dann doch zwei verschiedene Paar Schuhe.

Haben Sie das Rennen speziell vorbereitet, z.B. mit längeren Tempoläufen?

Christina Hering:

Nein, denn es gehören ohnehin Einheiten wie 4x1.600 Meter zum Trainingsplan. Insgesamt haben wir die Grundlage mit dem langen Ausdauerblock während der Lockdown-Zeit gelegt. Denn Dauerläufe waren ja uneingeschränkt möglich. Auch hat das Höhentrainingslager im Winter in Kenia mein Ausdauerniveau deutlich angehoben. Davon habe ich enorm profitiert.

Sie werden im Oktober 26 Jahre alt. Können die 1.500 Meter Ihre Strecke für den nächsten Olympia-Zyklus Richtung Paris 2024 werden?

Christina Hering:

Ich habe im April meine Masterarbeit abgegeben, jetzt kann ich mich zwei Jahre voll auf den Sport konzentrieren. Weiter als zur EM 2022 in München reicht mein sportlicher Fokus aber noch nicht. Fest steht, dass ich 2021 definitiv bei den 800 Metern bleibe. Schließlich habe ich die Olympianorm vergangenes Jahr schon unterboten. Ich denke aber, dass ich 1.500-Meter-Rennen in Zukunft häufiger während der Saison einstreuen werde. Es ist gut, eine weitere Option zu haben.

In München gibt es mit Ihnen und Katharina Trost an der Spitze eine starke Mittelstreckengruppe. Können Sie von dieser außergewöhnlichen Konkurrenz profitieren?

Christina Hering:

Diese Situation ist ein Geschenk. Wir können fast alle Einheiten gemeinsam bestreiten. Die Corona-Zeit hat mir gezeigt, dass man alle Programme alleine absolvieren kann. Doch ohne die Gruppe würde mir etwas fehlen. Man hat Spaß und kann sich richtig anstacheln und sehen, wer gerade die Bessere ist. Insgesamt haben wir dieses Jahr wieder eine deutlich dichtere deutsche 800-Meter-Spitze. Das steigert das Niveau bei den Deutschen Meisterschaften und den deutschen Meetings.

Stand jetzt sollen die Olympischen Spiele am 23. Juli 2021 in Tokio eröffnet werden. Haben Sie schon ein bestimmtes Ziel dafür im Kopf?

Christina Hering:

Das ist momentan noch etwas weit weg. Erst einmal muss ich diese Saison verarbeiten. In den vergangenen Monaten habe ich mich der internationalen Konkurrenz gestellt und konnte zeigen, dass ich auch in der Diamond League mithalten kann. Klar ist, dass ich mit der Olympianorm im Rücken die Saison 2021 besser planen kann. Wichtig ist für alle Sportler, dass die Olympischen Spiele stattfinden können. Kommt es zum schlimmsten Fall, würden zwischen 2016 und 2024 keine Olympischen Spiele stattfinden. Das sind acht Jahre und entspricht damit fast einer gesamten Sportlerkarriere.

Sie sind 2015 und 2019 jeweils einmal unter zwei Minuten gelaufen. In welchen Bereichen müssen Sie noch verstärkt arbeiten, um regelmäßiger unter zwei Minuten zu bleiben?

Christina Hering:

Was das Gesamtpaket angeht, habe ich 2020 ein Top-Niveau erreicht. Meine Ausdauerwerte waren super, worunter die Schnelligkeit aber nicht gelitten hat. Das gilt es zu erhalten und auszubauen. Leider hat 2020 der Ausreißer nach oben gefehlt. Man braucht über 800 Meter einfach das richtige Rennen mit dem perfekten Anfangstempo unter guten Bedingungen. Das hatte ich 2020 nicht. Anders als beispielsweise am vergangenen Dienstag in Bellinzona, als vier Läuferinnen bei Top-Bedingungen unter 1:59 Minuten geblieben sind.

Gibt es eine bestimmte Zeit, die Sie in Ihrer Karriere unbedingt noch erreichen wollen?

Christina Hering:

Ich orientiere mich nicht an Zeiten, ich bin eher eine Meisterschaftsläuferin, für die der Sieg oder der gute Platz zählt. Allerdings bin ich nicht weit weg von der Weltspitze. Zur Weltjahresbestleistung fehlen mir dieses Jahr nur etwas mehr als zwei Sekunden. Das zeigt: Es lohnt sich, weiter hart zu arbeiten. Ich traue mir zu, im perfekten Rennen unter 1:59 Minuten zu laufen.

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