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Ricarda Lobe – DM-Titel Highlight des Corona-Sommers

Olympia-Verschiebung, EM-Absage, viel Unsicherheit – dann aber doch Deutsche Meisterschaften in Braunschweig. Im Jahr 2020 war coronabedingt vieles anders. Hervorgebracht hat der Sommer dennoch wieder neun DLV-Athleten, die ihren ersten nationalen Einzeltitel bei den Erwachsenen gewonnen haben. Wir stellen sie vor, heute starten wir mit Hürdensprinterin Ricarda Lobe (MTG Mannheim).
Jan-Henner Reitze

Ricarda Lobe
MTG Mannheim

Bestleistungen:

100 Meter Hürden: 12,90 sec (2018)
60 Meter Hürden: 7,99 sec (2017; Halle)

Erfolge:

EM-Fünfte 2018
Sechste Hallen-EM 2017
Siebte U23-EM 2015
Deutsche Meisterin 2020

Die Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass dieses Jahr für jeden von uns turbulent ist. Für Hürdensprinterin Ricarda Lobe wurde das Wechselbad der Gefühle noch verstärkt, denn sie wurde von den Folgen einer Beugerverletzung ausgebremst. Wie schon im Winter war keine optimale Wettkampfvorbereitung möglich. Dennoch gelang es der 26-Jährigen in Braunschweig, ihren ersten deutschen Meistertitel zu gewinnen. In der Halle hatte sie diese Chance noch knapp verpasst.

„Als ich in Braunschweig ins Ziel kam, war ich zuerst mit meinem Rennen und der Zeit überhaupt nicht zufrieden. Dass ich gewonnen hatte, war im ersten Moment nebensächlich“, erzählt die Mannheimerin. „Bewusst wurde mir das erst nach und nach, als mir einer nach dem anderen gratuliert hat. Jetzt im Nachhinein zählt auch für mich vor allem der Titel, und der ist unheimlich motivierend für die Zukunft.“

Nach Jahren des kontinuierlichen Aufstiegs hatte 2019 der Beuger des Nachziehbeins immer wieder gezwickt, ohne dass eine konkrete Ursache oder Verletzung diagnostiziert werden konnte. Im DM-Finale von Berlin hatte sich die Sportsoldatin dann an der letzten Hürde einen Muskelfaserriss zugezogen, Bronze ins Ziel gerettet, die Hoffnung auf die zweite WM-Teilnahme in Doha (Katar) allerdings aufgeben müssen. Das zurückliegende Jahr stand deshalb im Zeichen, möglichst zurück zur Bestform zu finden. Dass Olympia auf 2021 verschoben wurde, kam nicht ungelegen.

Unbeschwert zu frühen Spitzen-Zeiten

Dass die heutige Leistungssportlerin aus Landau in der Pfalz überhaupt den Weg in die Leichtathletik gefunden hat, begann mit einer Freundin. Die nahm die damalige Grundschülerin, die schon im Turnverein sportlich aktiv war, mit zum Training beim TV Nussdorf. Der Spaß an beiden Sportarten war so groß, dass Ricarda Lobe über Jahre beide parallel betrieb. Im Turnen bestritt sie ebenfalls auf regionaler Ebene Wettkämpfe, bis sie sich im Alter von etwa 15 Jahren ganz auf die Leichtathletik konzentrierte.

Dort offenbarte sich schnell ihr Talent, das nach ersten eher spielerischen Jahren von Trainer Lothar Grimmeißen erkannt und gefördert wurde. „Mir hat es vor allem großen Spaß gemacht, als mir mein Trainer zum ersten Mal Hürden aufgestellt hat“, erinnert sich die EM-Fünfte. „Dass ich mit den zum Teil Älteren in meiner Gruppe mithalten konnte, habe ich eher nebenbei mitbekommen.“

Dass sie schon als W13-Athletin in 11,68 Sekunden die 2007 deutschlandweit schnellste Zeit der W14 über 80 Meter Hürden lief und im Jahr darauf in 11,31 Sekunden sogar die bis heute gültige DLV-Bestleistung dieser Altersklasse aufstellte, erfuhr die völlig unbeschwerte Athletin ebenfalls durch Lothar Grimmeißen. „Mir war nicht so klar, wie die Leistung einzuordnen ist“, so die Schüler-Rekordlerin, die in der Altersklasse W15 trotz des Rekordlaufs im Jahr davor auf Starts über 80 Meter Hürden verzichtete. Die Hürdenabstände waren zu kurz geworden, und so ging die damals 15-Jährige in der höheren Altersklasse der weiblichen Jugend B über 100 Meter Hürden an den Start.

„Mit dem was mir Spaß macht, kann ich auch was erreichen“

Mit der neuen Strecke kam Ricarda Lobe 2009 auf Anhieb gut zurecht, qualifizierte sich für ihre ersten Deutschen Jugendmeisterschaften und fuhr ohne große Erwartungen zu ihrem bis dahin größten Wettkampf nach Rhede. Dort behielt sie trotz des noch unbekannt größeren Rahmens der Meisterschaft ihren Fokus, lief nicht nur ins Finale sondern in 14,01 Sekunden auch zur Silbermedaille der heutigen Altersklasse U18. „Das war ein Schlüsselmoment, der mir gezeigt hat: Du kannst damit, woran du Spaß hast, auch richtig was erreichen.“

Ehrgeiz und Bewusstsein für das eigene Potenzial waren geweckt, und mit der Aufnahme in den Kader wurde auch der Gedanke an internationale Nachwuchsmeisterschaften ein Thema. Allerdings ging der Start in Richtung Leistungssport nicht ganz so senkrecht weiter. Die junge Athletin musste auch erkennen, dass der Sport neben Talent harte Arbeit erfordert. Mit drei weiteren Bronze-Medaillen bei Deutschen Jugendmeisterschaften etablierte sich die Hürdensprinterin im Trikot des TV Nussdorf in der nationalen Nachwuchsspitze, scheiterte aber mehrfach knapp an der Qualifikation für internationale Meisterschaften der U18 oder U20. „Das war schon etwas frustrierend.“

Wechsel zu Rüdiger Harksen führt in die erweiterte internationale Spitze

Nach dem Abitur stand Ricarda Lobe wie viele junge Athleten vor der Frage: Mache ich weiter? Auch um dafür den Kopf frei zu bekommen und einfach mal Abstand zu gewinnen, verbrachte die damals 20-Jährige mit einer Freundin vier Monate in Neuseeland. Dort reifte die Entscheidung, auf die Karte Sport zu setzen. „Ich habe dann bei Rüdiger Harksen angefragt, ob ich einmal pro Woche bei ihm trainieren kann.“ Da die Zusammenarbeit passte, zog die Athletin ein halbes Jahr später in das nur rund 50 Kilometer von ihrer Heimat entfernte Mannheim, wechselte endgültig den Trainer und auch den Verein. Um Freiraum fürs Training zu haben, schrieb sie sich für ein Fernstudium im Fach Internationales Management ein, das sie 2018 mit dem Bachelor abschloss.

Gleich im ersten Jahr brachte die Umstellung einen Leistungsschub. Jetzt im Trikot der MTG Mannheim gelang eine Steigerung der Bestzeit von 13,70 Sekunden auf 13,22 Sekunden. Mit dieser Zeit holte die Studentin auch endlich ihre erste Goldmedaille auf nationaler Ebene bei der U23-DM in Wetzlar, qualifizierte sich mit der U23-EM für ihren ersten internationalen Start, der in Tallinn (Estland) mit dem Finaleinzug und Rang sieben von Erfolg gekrönt war.

Nachdem es wegen der starken nationalen Konkurrenz mit der Olympia-Teilnahme in Rio de Janeiro (Brasilien) noch nicht klappte, folgten 2017 Rang sechs bei der Hallen-EM, die WM-Premiere inklusive Halbfinal-Einzug in London (Großbritannien) und 2018 als bisheriger Karriere-Höhepunkt Rang fünf bei der Heim-EM in Berlin. „Das war etwas ganz Besonderes. Es fällt mir noch immer schwer, die Stimmung dort im Berliner Olympiastadion zu beschreiben und die damit verbundenen Emotionen.“ Die Bestzeit von 12,90 Sekunden im Halbfinale, dem bisher wichtigsten Rennen der Karriere, hatte die Finalteilnahme ermöglicht.

Technik als Schlüssel für Gesundheit und weitere Steigerung

An diese Leistungen möchte die Deutsche Meisterin anknüpfen und möglichst noch etwas draufpacken. Um neuen Beugerproblemen, Stressreaktionen und Fehlbelastungen vorzubeugen, soll die Muskulatur in diesem Bereich verstärkt trainiert werden.  Die schon hochgefahrene Begleitung des Trainings durch Ärzte, Physiotherapie und Chiropraktiker soll beibehalten sowie im Trainingsprozess längere Regenerationsphasen eingeplant werden.

Ein weiterer Ansatz ist, Schwächen bei der Hürdenüberquerung auszumerzen. Auch das soll den Körper schonen und gleichzeitig noch schnellere Zeiten möglich machen. „Ich treffe mich einfach zu oft nicht präzise genug. Das fängt schon beim letzten Schritt vor der Hürde an, den ich unter den Körper setzen muss, anstatt zu stemmen und mich auszubremsen“, analysiert Ricarda Lobe. „Dadurch kann ich nicht nur an jeder Hürde die ein oder andere Hundertstel an Zeit gut machen, sondern auch falsche oder unnötige Belastungen des Beugers vermeiden.“

Sechs Hundertstel fehlen zur Olympia-Norm

Geht der gerade anlaufende Aufbauplan in Richtung 2021 auf, sollen viele Hürdeneinheiten nicht nur die nötige Routine für eine perfektionierte Technik bringen, sondern auch das nötige Vertrauen, um mit ausbaufähigem Risiko die Hürden zu attackieren. Großes Ziel ist Olympia. Um sich über die Norm dafür zu qualifizieren sind 12,84 Sekunden gefordert. Dazu fehlen auf dem Papier also gerade einmal sechs Hundertstel.

Eine Veränderung des Alltags ist neben dem Training gerade angelaufen: Nach dem Bachelor-Abschluss ihres Fernstudiums hat Ricarda Lobe ein Master-Studium in Ludwigshafen begonnen, mit Präsenzpflichten. Allerdings ist mit der Uni schon abgesprochen, dass sich eine Leistungssportlerin eingeschrieben hat, deren Terminplanung vor allem der Hürdensprint bestimmt.

Video: Premieren-Gold für Ricarda Lobe über 100 Meter Hürden

Das sagt Bundestrainer Rüdiger Harksen:

Über den Nachwuchskader kenne ich Ricarda mittlerweile seit zehn Jahren. Seit ich 2014 auch die Arbeit als Heimtrainer übernommen habe, ist unsere Zusammenarbeit immer weiter gewachsen und  Ricarda bis 2018 jedes Jahr ein Stück schneller geworden. Dass danach Beugerprobleme aufgetreten sind ist schade, allerdings gehören auch solche Phasen zu einer Karriere dazu. Die Hürdenüberquerung ist eine sehr komplexe und auch belastende Bewegung. Ricardas Rennen sind seitdem eher von Vorsicht geprägt. Auf dem langen Weg zurück muss man sich allerdings auch mal mit einer geringeren Leistung zufrieden geben. Genauso verständlich ist es auch, dass sich eine Athletin an ihrer Bestzeit orientiert und Ricarda in Braunschweig mit ihrer Zeit weniger glücklich war. Am Ende freuen wir uns beide über den ersten Titel. Jetzt wird alles auf Olympia ausgerichtet. Dazu ist eine 12,80er-Zeit nötig, die ich ihr zutraue.

An ihr als Hürdensprinterin schätze ich vor allem ihre Schnelligkeit, die sie auch in unserer Vereinsstaffel immer wieder unter Beweis gestellt und in den Jahren 2015 bis 2018 zur Siegesserie der MTG Mannheim bei den Deutschen Meisterschaften über 4x100 Meter beigetragen hat. Sie ist ein absolut herzlicher Mensch. Das ist wunderbar, im Hürdensprint aber nicht immer hilfreich. Da wünsche ich mir an der einen oder anderen Stelle mehr Aggressivität. Aber auch daran arbeiten wir.

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