| Interview der Woche

Chef-Bundestrainerin Annett Stein: "Das Ziel Olympische Spiele nicht aus den Augen verlieren"

Die erste Saison im Amt als Chef-Bundestrainerin der Leichtathleten hatte sich Annett Stein ganz anders vorgestellt. Und doch gelangt sie rückblickend zu einem positiven Fazit sowie der Erkenntnis, dass mit Flexibilität, Kreativität und Mut viele Herausforderungen gemeistert werden können. Wie sie die vergangenen Monate erlebt hat und wie sie mit ihrem Trainerteam an der Seite von U23- und U20-Bundestrainer Dietmar Chounard in Zeiten der Corona-Pandemie die Olympia-Vorbereitung gestalten will, berichtet sie in unserem "Interview der Woche".
Peter Schmitt

Annett Stein, seit 230 Tagen sind Sie als DLV-Chefbundestrainerin im Amt. Was waren die wichtigsten Erfahrungen, die Sie gesammelt haben?

Annett Stein:

Eigentlich hatte ich mich auf neue Erfahrungen im Bereich Nominierung, Klima-Anpassung im Pre-Camp und die Wettkämpfe bei den Olympischen Spielen eingerichtet. Aber sehr schnell war klar, dass ich meine Erfahrungen in anderen Bereichen sammeln werde. Die wichtigste Erfahrung war für mich, dass man flexibel, mutig, kreativ auf Veränderungen wie die Corona Pandemie reagieren muss, um die Gesundheit unserer Athleten, Trainer, Kampfrichten, Organisatoren, Zuschauer – also unserer gesamten Community – nicht aufs Spiel zu setzen und das Ziel mit den Olympischen Spielen im nächsten Jahr nicht aus den Augen zu verlieren.

Der Umgang mit Hygienerichtlinien und Länderverordnungen war ein ständiges Abwägen zwischen dem für unsere Sportart Erforderlichen und dem Umsetzbaren. Wie wichtig Kommunikation ist, habe ich in dieser Zeit besonders lernen dürfen.

Trotz der dynamischen Entwicklung der Corona-Pandemie hat es der DLV geschafft eine Late Season durchzuführen. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Annett Stein:

Mein Fazit ist: Es hat sich gelohnt und das in vielerlei Hinsicht. Mit den Wettkämpfen haben wir ein Stück Normalität zurück in unsere Sportart geholt und gleichzeitig Erfahrungen gesammelt, wie Wettkämpfe unter den herrschenden Corona-Einschränkungen sicher organisiert werden und stattfinden können. Ein großes Lob und großer Dank an alle Beteiligten, die bei der Umsetzung der Late Season geholfen haben. Die Anzahl an persönlichen Bestleistungen aus dieser Wettkampfsaison 2020 zeigt uns, wie wertvoll diese Late Season im Hinblick auf die folgenden internationalen Höhepunkte gewesen ist.

Bei der Spitzensporttagung in Kienbaum stand in der vergangenen Woche die Vorbereitung auf Olympia im Mittelpunkt. Ist es nicht angesichts der unsicherer Situation extrem schwierig, eine Olympiasaison zu planen?

Annett Stein:

Das empfinde ich nicht so, denn wir haben bereits Erfahrungen im letzten Jahr dazu sammeln dürfen. Wir haben mit dem Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum in Kienbaum eine hervorragende Trainingsstätte, die die meisten Anforderungen erfüllt. Natürlich werden die Klimatrainingslager fehlen und für unsere Läuferinnen und Läufer fehlen derzeit noch Alternativen für Höhentrainingslager. Aber gemeinsam arbeiten wir an Lösungen, damit wir Alternativen anbieten können.

Obwohl viele Veranstaltungen ausgefallen sind, war die Leichtathletik nicht nur sichtbar, sondern hat auch durch besondere Leistungen auf sich aufmerksam gemacht. Wie sieht Ihre Einschätzung bezüglich der Leistungsentwicklung aus?

Annett Stein:

Auf der Spitzensporttagung berichtete der Leitende Speerwurf-Bundestrainer Boris Obergföll im Plenum, wie fokussiert, motiviert und flexibel Johannes Vetter nach der Verschiebung der Olympischen Spiele die Saison angegangen ist. Er wollte das Jahr für seine Vorbereitung auf 2021 nutzen und hat seine Ziele verändert. Sie haben sich zum Beispiel extrem viel Zeit genommen, um die Technik zu vervollkommnen. Mit dem Ergebnis von 97,76 Metern beeindruckte er mich besonders. Aber auch im Sprintbereich war ich fasziniert von der Leistungsentwicklung der 400-Meter-Sprinterinnen und von Deniz Almas.

Nach der Verschiebung der Olympischen Spiele gab es erstmal ein Motivationsloch. Wie sind Sie, die Sportler und ihre Trainer mit der schwierigen Situation umgegangen?

Annett Stein:

Zunächst war es für alle ein Schock und auch kurzfristig etwas Innehalten. Danach konnten wir unterschiedliche Herangehensweisen an diese schwierige Situation beobachten. Teilweise wurde diese Zeit zum Ausheilen, zur Reha oder zu kleinen operativen Eingriffen bei Verletzungen genutzt. Andererseits wurden Stärken ausgebaut und Schwächen behoben.

Wie wichtig ist eine Hallensaison, die vermutlich wegen Corona auch wieder ohne Zuschauer stattfinden muss, im Hinblick auf den Weg nach Tokio?

Annett Stein:

Sehr wichtig. Die Nominierung für die Olympischen Spiele findet abschließend Ende Juni statt. Die Hallensaison wird eine wichtige Standortbestimmung in der Vorbereitungsphase darstellen. Gleichsam können wichtige Punkte für das World Ranking gesammelt werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es sehr schwierig Trainingslager zu planen. Wie sehen Ihre Überlegungen aus?

Annett Stein:

Zu einem ist festzuhalten, dass unsere Bundesstützpunkte hervorragend ausgestattet sind und wir aktuell in den meisten leichtathletischen Disziplinen nicht zwingend Trainingslager durchführen müssen. Unter der Berücksichtigung der Schwerpunktsetzung und für die motivationale Komponente sind Trainingslager sehr wichtig. Wir favorisieren derzeit Trainingslager in Deutschland, in gesichertem Hygieneumfeld und in kleineren Gruppen.

Dietmar Chounard hat zusammen mit Ihnen die Verantwortung in der sportlichen Leitung. Wie sieht die Arbeitsteilung aus?

Annett Stein:

Ich möchte hervorheben, dass die gemeinsame Leitung mit Dietmar Chounard ein Argument war, warum ich mich für die Übernahme der Position als Chef- Bundestrainerin entschieden habe. Wir ergänzen uns in unseren Erfahrungen und Kompetenzen. Dietmar Chounard kümmert sich um die Duale Karriere unserer Athletinnen und Athleten und besitzt einen großen Erfahrungsschatz hinsichtlich Nominierungen und der Erstellung von Nominierungs- und anderer Richtlinien. Ich setze die sportfachliche Leitung der Nationalmannschaft in Zusammenarbeit mit den Leitenden Bundestrainern um und begleite die Prozesse von der Vorbereitung bis zur Nominierung im Jahresverlauf.

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