| Disziplin-Check 2020

HOCHSPRUNG MÄNNER | Mateusz Przybylko weiter in der Pole Position

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: Männer-Hochsprung.
Martin Neumann

Fazit des Bundestrainers

Hans-Jörg Thomaskamp, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 als Bundestrainer und Heimtrainer zahlreicher Topathleten erlebt?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Dass 2020 ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Jahr war und aktuell noch ist, das uns alle vor vielfältige Herausforderungen gestellt hat, ist eine schöne Binse. Dennoch trifft es natürlich zu. Zusammengefasst war es spannend, kreativ und hatte viele neue Erfahrungen parat. Es war mental anstrengend für Athleten wie Trainer und hat eine „Ziel-Diffusität“ und motivationales „Achterbahnfahren“ geboten. Allerdings haben Athleten und Trainer in dieser extremen Situation auch tolle Moral gezeigt! Für alle gab es jede Menge organisatorische Arbeit, da wir teilweise unsere „Komfortzonen“ verlassen mussten.

Was waren in diesem Jahr die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Hochspringer?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Die größten Herausforderungen waren: das Sicherstellen des Trainings, das Beschreiben von (kleinteiligeren) Zielen, das Rückbesinnen auf das Wesentliche des Trainingsprozesses bzw. die Bedeutung der Basisarbeit. Spezifisches Training konnte zeitweise nur in signifikant geringerem Umfang absolviert werden. Dazu kamen die Absage der zielstiftenden Hauptwettkämpfe wie Olympische Spiele, EM und internationale Nachwuchshöhepunkte. Diese Ungewissheit bezüglich einer Wettkampfsaison führte in vielen Fällen zu einem deutlich längeren Grundlagenaufbau.

Es kam dann doch zu einer Wettkampfserie, nicht zuletzt durch engagierte Veranstalter realisiert, die trotz aller Auflagen den Athleten eine Bühne verschafft haben. Dafür müssen wir dankbar sein. Trotzdem: Eine nennenswerte Wettkampf-Kompetenz, die wir dringend für den Einsatz auf internationalem Parkett brauchen, ließ sich in diesem Jahr kaum aufbauen. Zu den großen Herausforderungen zählte auch die sehr besondere DM in Braunschweig. Sie vernünftig vorzubereiten und zu bewältigen – ohne die gewohnten Abläufe der Formvorbereitung – war schon eine ebenso spannende wie anspruchsvolle Geschichte, aber auch enorm wichtig in dieser Pandemie-Zeit.

Welche Athleten haben sich im Jahr 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Das gilt für eine Reihe jüngerer Athleten, die die Situation auch als Chance für sich gesehen haben. Beispielsweise Florian Hornig und auch Philipp Heckmann, auch wenn es für ihn nicht zur Kadernorm gereicht hat. Aber generell kann ich konstatieren, dass keiner unserer Leistungsträger – sofern nicht langfristig von Verletzungen geplagt – sich von der zeitweise sehr unklaren Situation dauerhaft negativ hat beeinflussen lassen.

In Bayern musste länger als anderswo alternativ trainiert werden, trotzdem haben wir ein paar sehr gute Leistungen von Tobias Potye gesehen. Falk Wendrich musste den Lockdown, einen Trainerwechsel und einige gesundheitliche Probleme bewältigen. Dennoch gelangen ein paar Wettkämpfe mit Leistungen, die wieder vielversprechend sind. Und Mateusz Pryzybylko, der schon das eine oder andere motivatorische Tief überwinden musste, zeigte einen tollen Wettkampf bei der DM und bei den #TrueAthletes Classics in Leverkusen bei einem tollen Duell mit Gianmarco Tamberi. Last but not least – Raúl Spank als Altmeister und Freizeit-Athlet mit 2,25 Meter. Die Leistung war für mich sehr beeindruckend und bemerkenswert.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Zunächst gilt auch hier wieder: Das Sicherstellen des Trainings an den Standorten, die Gewährleistung des leistungsbestimmenden Umfelds mit Zugang zu den Trainingsstätten, die Sicherstellung der medizinischen Betreuung usw. müssen im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen. Auch müssen wir damit rechnen, dass unsere gewohnten lehrgangsbasierten Leistungsdiagnostiken nur eingeschränkt möglich sein werden. Zudem ist unklar, ob (und wie) wir die normalen Planabläufe mit Klima-Trainingslagern etc. jetzt in den Vorbereitungsperioden umsetzen können.

Die hochgradig volatile Pandemie-Situation verlangt nach Zugeständnissen. Wir können und werden die Beschränkungen durch Variationen im gewohnten Aufbau und durch „musterbrechende“ Maßnahmen auffangen. Konkret wird das bedeuten: häufigere Variationen des üblichen Trainingsablaufs, des Umfelds (Halle, Sportplatz, Wald, Rasen, Hügel, Sand, Treppen, Beläge, etc.); „Tapetenwechsel“ durch Trainingsstandortvariation (sofern trotz Corona-Beschränkungen überhaupt umsetzbar) und Veränderungen der gewohnten Trainingsregime (Trainingslager-Simulation am Standort, Trainings-Challenges, trainings- und disziplinübergreifendes Arbeiten usw.). Dazu kommt häufigerer Einsatz des feedbackbasierten Messplatztrainings in Leverkusen oder in Stuttgart. Sowie verstärkt mentale Trainingsansätze wie der Einsatz sportpsychologischer Methoden, beispielsweise Mentalcoaching, intensive Beschäftigung mit Fragen der Motivation usw.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Hochspringern?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Ich bin da sehr optimistisch und hoffe auf zwei Starter in Tokio. Davon sollte es einer ins Finale schaffen mit dem Potenzial Richtung Medaille.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Aufgrund der Corona-Problematik hat sich im Männer-Hochsprung in diesem Jahr wenig getan, d. h. die Weltspitze ist uns nicht enteilt. Gleichzeitig haben wir weltweit deutlich weniger Wettkämpfe auf entsprechendem Niveau. Beides bedingt einander, denn weniger Angebot an qualifizierten Wettkämpfen führt zu weniger Wettkampfkompetenz im Allgemeinen. Weniger Wettkampfkompetenz und damit auch das besondere motivatorische Mobilisierungspotenzial relativiert ein mögliches überlegenes physisches Potential etwas. Überspitzt gesagt: Vor Kraft nicht vernünftig Springen können – das ist das Szenario.

Das kann aber auch eine Chance für unsere Athleten bedeuten, denn mentale Stärke kann hier entscheidend sein. Das Spiel ist offener, der Ausgang volatiler, je weniger technische Sicherheit im Vorfeld erarbeitet werden kann. Bezogen auf Olympia – aber auch die anderen internationalen Wettkampfhöhepunkte –  bedeutet dies, dass überraschende Ergebnisse wahrscheinlicher werden! Diese Situation für uns positiv zu nutzen, ist Antrieb für unsere Arbeit.
 

Unser "Ass des Jahres"

Mateusz Przybylko (TSV Bayer 04 Leverkusen)

Deutscher Meister im Freien und in der Halle
Nummer zehn in der Weltjahresbestenliste
Zum vierten Mal in Folge Deutschlands Nummer eins

Unser "Talent des Jahres"

Jonas Pomsel (SC Potsdam)

Deutscher U20-Meister im Freien und der Halle
Steigerung der Bestleistung um acht Zentimeter auf 2,13 Meter innerhalb eines Jahres
Auch 2021 noch in der U20-Klasse startberechtigt
 

Die deutschen Top Ten 2020

Höhe Name Jahrgang Verein
2,28 m Mateusz Przybylko 1992 TSV Bayer 04 Leverkusen
2,25 m Raúl Spank 1988 LG Nord Berlin
2,25 m Tobias Potye 1995 LG Stadtwerke München
2,21 m Falk Wendrich 1995 LAZ Soest
2,20 m Jonas Wagner 1997 Dresdner SC 1898
2,16 m Florian Hornig 2000 TSV Bayer 04 Leverkusen
2,16 m Finn Drümmer 1996 Kaltenkirchener TS
2,15 m Benno Freitag 1995 SSV Ulm 1846
2,14 m Philipp Heckmann 1999 LG Eintracht Frankfurt
2,13 m Jonas Pomsel 2002 SC Potsdam

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau

Jahr ≥ 2,28 m* Schnitt Top 3 Schnitt Top 5 Schnitt Top 10
2005 1 2,27 2,25 2,19
2006 - 2,25 2,23 2,19
2007 1 2,28 2,25 2,21
2008 2 2,29 2,26 2,22
2009 1 2,28 2,26 2,22
2010 1 2,27 2,25 2,21
2011 2 2,30 2,26 2,22
2012 - 2,25 2,24 2,21
2013 - 2,23 2,22 2,18
2014 - 2,24 2,23 2,19
2015 2 2,29 2,27 2,20
2016 1 2,27 2,24 2,20
2017 1 2,31 2,28 2,22
2018 1 2,30 2,27 2,23
2019 1 2,27 2,25 2,17
2020 1 2,26 2,24 2,19

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 2,30 (Fricke) 2,38 (Sokolovskyy/UKR) 0,08 2,38 (Freitag/RSA; Sokolovskyy/UKR) 0,08
2006 2,28 (Onnen) 2,37 (Silnov/RUS) 0,09 2,37 (Silnov/RUS) 0,09
2007 2,34 (Onnen) 2,35 (Holm/SWE; Rybakov/RUS; Ioannou/CYP) 0,01 2,35 (Thomas/BAH; Holm/SWE; Rybakov/RUS; Ioannou/CYP) 0,01
2008 2,32 (Spank) 2,38 (Silnov/RUS) 0,06 2,38 (Silnov/RUS) 0,06
2009 2,33 (Spank) 2,35 (Ukhov/RUS; Rybakov/RUS) 0,02 2,35 (Manson/USA; Ukhov/RUS; Rybakov/RUS) 0,02
2010 2,30 (Spank) 2,36 (Ukhov/RUS) 0,06 2,36 (Ukhov/RUS) 0,06
2011 2,32 (Spank) 2,36 (Dmitrik/RUS; Shustov/RUS) 0,04 2,37 (Williams/USA) 0,05
2012 2,26 (Onnen) 2,39 (Ukhov/RUS) 0,13 2,39 (Ukhov/RUS; Barshim/QAT) 0,13
2013 2,24 (Günther; Przybylko) 2,41 (Bondarenko/UKR) 0,17 2,41 (Bondarenko/UKR) 0,17
2014 2,25 (Günther) 2,42 (Bondarenko/UKR) 0,17 2,43 (Barshim/KAT) 0,18
2015 2,32 (Onnen; Przybylko) 2,37 (Bondarenko/UKR) 0,05 2,41 (Barshim/KAT) 0,09
2016 2,32 (Onnen) 2,39 (Tamberi/ITA) 0,07 2,40 (Barshim/KAT) 0,08
2017 2,35 (Przybylko) 2,38 (Lysenko/ANA) 0,03 2,40 (Barshim/KAT) 0,05
2018 2,35 (Przybylko) 2,40 (Lysenko/ANA) 0,05 2,40 (Barshim/KAT; Lysenko; ANA) 0,05
2019 2,30 (Przybylko) 2,35 (Nedasekau/BLR; Akimenko &  Ivanyuk/ANA) 0,05 2,37 (Barshim/KAT) 0,07
2020 2,28 (Przybylko) 2,33 (Nedasekau/BLR) 0,05 2,33 (Nedasekau/BLR) 0,07

Das fällt auf

  • Zum vierten Mal in Folge führt Europameister Mateusz Przybylko zum Ende der Saison die deutsche Bestenliste an.
  • Allerdings gelang es seit 2014 erstmals keinem deutschen Hochspringer, die 2,30-Meter-Marke zu meistern.
  • Raúl Spank kann einfach nicht vom Hochsprung lassen. Der "Hobbysportler" springt Ende August über beachtliche 2,25 Meter und auf Platz zwei der deutschen Bestenliste. Bemerkenswert: Von seiner Anfangshöhe 1,91 Meter bis zu 2,25 Meter leistet sich der WM-Dritte von 2009 nur einen Fehlversuch. Erst 2,30 Meter sind zu hoch.
  • Die Durchschnittswerte der besten deutschen Hochspringer bleiben trotz der durch die Corona-Pandemie geprägten Saison stabil.
  • Die Höhenjäger haben im Sommer 2020 nur wenige hochkarätige Wettkämpfe. So steht die Weltjahresbestleistung zum Ende der Sommersaison lediglich bei 2,33 Metern. Es ist der schwächste Wert seit Beginn unserer Analysen im Jahr 2005.

leichtathletik.TV-Clips zum Hochsprung

 HOCHSPRUNG 

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen

* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017

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