| Interview der Woche

Gina Lückenkemper und Rebekka Haase: „Wir profitieren voneinander“

Normalerweise würde Gina Lückenkemper (SCC Berlin) jetzt unter der Sonne Floridas trainieren. Doch was heißt in Zeiten von Corona schon normal? Weil der Sprinterin die Einreise in die USA verwehrt bleibt, hat sie ihre Zelte kurzerhand bei Staffel-Kollegin und Freundin Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) in Chemnitz aufgeschlagen. Im Doppelinterview erzählen die beiden gut gelaunt vom aktuellen Training, dem Zusammenleben in der Sprinter-WG und blicken zurück auf 2020 sowie voraus auf 2021.
Jane Sichting

Gina Lückenkemper, Rebekka Haase, Sie stehen beide voll im Training. In welcher Woche befinden Sie sich aktuell?

Gina Lückenkemper:

Ich bin gerade in Woche vier. Bei Rebekka dürfte es die sechste Woche sein.

Gibt es entsprechend Unterschiede in der Schwerpunktsetzung Ihrer Trainingsinhalte oder sind diese einander sehr ähnlich?

Gina Lückenkemper:

Bei mir liegt der Fokus nach wie vor noch darauf, Grundlagen aufzubauen.

Rebekka Haase:

Wir sind schon in Spikes unterwegs und sehr fix.

Gina Lückenkemper:

Es gibt aber schon jetzt die ein oder andere Überschneidung. Zum Beispiel das Warm-Up beginnen wir zusammen. Danach ist es bei jedem individuell. Am Ende sitzen wir dann wieder zusammen im Kraftraum und absolvieren unser Krafttraining. In den kommenden Wochen werden wir auch Läufe zusammen absolvieren können, wenn ich die Geschwindigkeiten laufe, die Bekki schon jetzt regelmäßig im Training rennt.

Können Sie dennoch schon jetzt voneinander profitieren und sich gegenseitig unterstützen?

Gina Lückenkemper:

(lacht) Aktuell ist meine Primäraufgabe, um Bekki zu unterstützen, sie bei ihren Tempoläufen ins Ziel zu schreien. Also ähnlich wie sonst in den Wettkämpfen. Auch der Austausch über das Training ist da, gerade auf technische Aspekte bezogen. Da schaut jede einmal beim anderen und fragt: ‚Hey warum machst du das denn so?‘. Das finde ich ganz cool, denn somit hinterfragt man sich selbst noch mal und lernt etwas dazu. Von daher profitieren wir auch aktuell schon ganz gut voneinander.

Planen Sie mit einer Hallensaison oder richtet sich Ihr Fokus bereits auf den Sommer und die Olympischen Spiele in Tokio?

Rebekka Haase:

Das ist sehr unterschiedlich. Ich plane mit einer vollen Hallensaison. Deshalb ist unser Training auch so ausgelegt, dass wir jetzt schon fixer unterwegs sind. Wir brauchen aber auch die Rennen. Dadurch, dass ich 2019 gar nicht am Start war und die letzte Hallensaison eher suboptimal lief, brauchen wir da wieder unsere Routine und im Idealfall auch ein paar Rennen, die in die Weltrangliste eingehen. Weil eine Olympia-Quali auch erstmal gelaufen werden muss. Bei Gina sieht das ein bisschen anders aus.

Gina Lückenkemper:

Meine Gruppe in Florida und mein Trainer Lance Brauman planen weniger mit einer Halle. Wenn sich am Ende der ein oder andere Hallen-Wettkampf ergibt, um die Form zu überprüfen oder das Training so bombastisch gut läuft, dass man sagt: ‚Komm, wir laufen doch das ein oder Mal in der Halle‘, dann wird das auch gemacht. Da sind wir flexibel. Aber wir bereiten nicht explizit eine Halle so konzentriert vor, wie das beispielsweise bei Bekki der Fall ist.

Wenn Sie auf das Jahr 2020 zurückblicken, war es für Sie, Gina, sicherlich nicht das einfachste. Sie hatten mit schwierigen Trainingsbedingungen zu kämpfen und konnten kaum Wettkämpfe bestreiten, mussten unter anderem Ihren Start beim ISTAF in Berlin absagen. Konnten Sie die Saison schon aufarbeiten und abhaken?

Gina Lückenkemper:

Ich habe die Saison 2020 für mich schon aufgearbeitet und abgehakt. Ich habe den Fokus jetzt schon voll und ganz auf 2021 gelegt und bereite mich auf die Saison entsprechend vor. Ich bin am Ende auch in Chemnitz gelandet, um mich bestmöglich auf das kommende Jahr vorzubereiten und das Beste aus allem, wie es momentan ist, herauszuholen.

Bei Ihnen, Rebekka, war es hingegen ganz anders. Nach zwei schwierigen Jahren mit viel Verletzungspech konnten Sie diese Saison wieder an Ihre Bestleistung heranlaufen und Erfolge feiern. Sie haben im Sommer einmal gesagt, dass die Saison sehr emotional für Sie sei. Wie blicken Sie auf 2020 zurück?

Rebekka Haase:

Ich muss zugeben, dass ich dieses Jahr wirklich sehr lange gebraucht habe, um es zu verarbeiten – dafür, dass kein Höhepunkt da war. Weil für mich so viel passiert ist – sowohl mit meinem Körper und meiner Leistung, aber auch mit dem Training. Am Ende blicke ich auf das Jahr unglaublich dankbar zurück. Weil wir die Chance hatten, mit einem großen Team meinen Körper in den Griff zu bekommen, das Training zu optimieren und jetzt richtig gut arbeiten können. Im Sommer haben wir gesehen, dass es in die richtige Richtung geht. Das war für mich in dem Ausmaß unvorstellbar.

Welche Rolle hat es für Sie gespielt, dass mit Gina in den zwei Problemjahren eine Freundin hinter Ihnen gestanden hat, die an Sie geglaubt hat?

Rebekka Haase:

Für mich ist das unglaublich wichtig. In den letzten zwei Jahren hatte ich in meinem Umfeld viele Menschen, die einfach da waren, als ich sie gebraucht habe. Und nur mit den Menschen konnte ich es schaffen, wieder auf der Bahn zu stehen. Davon ist Gina eine dieser Menschen. Weil sie einfach ganz nah dran steht und weiß, was es bedeutet, neben der Bahn zu sitzen und nicht rennen zu können. Das kostet im Kopf so viel Kraft, wenn man das, was man sieht, nicht machen kann.

Nun sind Sie wiederum für Gina da und haben sie in Ihren vier Wänden aufgenommen. Wie kam es denn überhaupt zu der Idee einer Sprinter-WG in Chemnitz?

Gina Lückenkemper:

Es ist nicht das erste Mal, dass wir in irgendeiner Form irgendwo zusammenwohnen. Auch haben wir uns vorher schon gegenseitig besucht. Aber als es für mich im Sommer immer mehr zum Thema wurde, was passiert, wenn ich im Oktober nicht nach Florida komme, hatte ich für mich die Überlegung, nach Chemnitz zu gehen. Da ich hier mit Jörg Möckel einen Trainer habe, der mir wahnsinnig weiterhelfen kann und mir noch einmal einen anderen Input gibt. Er ist jemand, den ich unheimlich wertschätze. Und als ich mit Bekki drüber gesprochen hatte, ob sie sich das vorstellen könne, hat sie sofort ja gesagt.

Welche Zwischenbilanz können Sie nach den ersten drei Wochen ziehen?

Gina Lückenkemper:

Wir sind ja nicht das erste Mal für mehrere Wochen zusammen und haben auch schon auf engstem Raum zusammen gehaust. Hier hat jetzt jeder sein Zimmerchen, in das man sich auch zurückziehen kann. Daher läuft das ganz entspannt. Und wir haben einen ähnlichen Tagesrhythmus, so dass es super passt.

Rebekka Haase:

Wir sind auch immer fast identisch mit dem Training fertig. Und organisieren vorab, dass beim nach Hause kommen das Essen schnell gemacht ist. Auch haben wir beide unseren täglichen Mittagsschlaf, der uns sehr wichtig ist und der ähnlich lang verläuft. Daher haben wir vom Tag her sehr ähnliche Rhythmen, die gut zusammenpassen.

Wie gestaltet sich der Alltag in der Sprinter-WG? Wer erledigt die Einkäufe, wer putzt und wer kocht für den anderen?

Gina Lückenkemper:

Den Großteil machen wir tatsächlich zusammen. Wobei Bekki eindeutig die bessere Köchin ist. (lachen beide)

Dafür aber auch die langsamere Esserin…

Gina Lückenkemper:

Das bin ich aus den Trainingslagern gewohnt und habe auch kein Problem damit, mit ihr länger am Tisch zu sitzen. Ich lasse sie nicht alleine, ich bin gut erzogen. (lacht)

Über was reden Sie dann? Geht es immer nur um den Sport oder haben Sie auch andere Themen, über die Sie sich unterhalten?

Gina Lückenkemper:

Das ist ziemlich ausgeglichen, bei uns landen sämtliche Themen quer Beet auf dem Tisch. Einfach alles.

Nun wohnt Rebekka nicht ganz alleine, sondern zusammen mit zwei Hasen. Wie vertragen Sie sich miteinander?

Gina Lückenkemper:

Ich kenne die zwei Kleinen schon seit Anfang an und habe sie bereits vorher bei Besuchen kennengelernt. Wir kommen gut miteinander klar und ich bringe ihnen immer ganz gerne was mit, wenn ich am Wochenende in Bamberg auf dem Markt war.

Und welche Rolle spielen die zwei Fellnasen für Sie, Rebekka?

Rebekka Haase:

Sie sind mir wirklich wichtig geworden und mein Ruhepol. Egal, ob ich mit ihnen spiele, kuschle, sie füttere oder mit ihnen spreche – worüber sich Gina immer lustig macht.

Gina Lückenkemper:

Ich wundere mich immer nur, mit wem sie da auf dem Balkon spricht. (lacht)

Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt und sind so gute Freunde geworden?

Rebekka Haase:

Kennengelernt haben wir uns im März 2012 bei einem U20-Länderkampf in Frankreich. Gina war noch sehr jung und ich Deutsche Jugendmeisterin und in meinem letzten U20-Jahr. Die kleine Gina wirkte so verloren, dass ich sie an die Hand genommen habe und mit ihr in der Halle ganz brav geguckt habe, wo die Staffelwechsel sind.

Gina Lückenkemper:

Zu meiner Verteidigung: Ich bin vorher noch nie Staffel gelaufen. (lacht)

Rebekka Haase:

Dennoch hat sich das positiv in ihr Gedächtnis eingebrannt. Als wir uns 2015 bei der U23-DM in Wetzlar wiedergesehen haben, sind wir beide WM-Norm gelaufen. Da haben wir uns so sehr miteinander und füreinander gefreut, dass Gina einfach festgelegt hat: So, du bist jetzt meine Freundin und Punkt. (lacht)

Und wie ist das heute – privat sind Sie Freundinnen, in der Staffel Kolleginnen und auf der Bahn Kontrahentinnen. Gibt es da Konflikte?

Gina Lückenkemper:

Wir begegnen uns immer auf Augenhöhe und haben einen offenen und ehrlichen Umgang miteinander. Und wenn es um Rennen geht, sind wir einfach – liebevoll ausgedrückt – Wettkampf-Biester. Wir wollen beide diejenige sein, die als erstes im Ziel ist. Das ist dann so, als ob im Ziel das letzte Stück Pizza liegen würde und jede will es haben, um jeden Preis. Nach dem Rennen können wir uns aber immer noch mit dem anderen mitfreuen. Wir pushen uns gegenseitig zu Höchstleistungen.

Rebekka Haase:

Das funktioniert auch so gut, weil wir einfach wissen – je nachdem, wer gerade die schnellere ist – wie viel Arbeit dahintersteckt. Und der gegenseitige Respekt vor dem Training, das die andere gemacht hat, um das leisten zu können, steht im Vordergrund.

Gina hat sich vor einem Jahr der Trainingsgruppe von Lance Brauman in Florida angeschlossen. Gab es für Sie, Rebekka, auch schon einmal die Überlegung, das gewohnte Terrain zu verlassen? Welche Rolle spielt Heimat für Sie?

Rebekka Haase:

Ich bin ein Heimatmensch. Ich komme aus dem Erzgebirge und mich bekommt man hier auch nicht weg. Auch dass ich regelmäßig zu meiner Familie fahren kann, ist mir wichtig. Und allein wegen meinem Trainer will ich hier nicht weg. Wir sind über die Jahre so eng zusammengewachsen, das gebe ich so schnell nicht mehr her.

Gibt es für Sie, Gina, etwas, das Sie hier in Chemnitz im Hinblick auf Florida vermissen?

Gina Lückenkemper:

Das Wetter! Über 20 Grad im Winter und viel mehr Sonnenstunden zu haben, das macht schon einen Unterschied. So gut, wie durch den letzten Winter, bin ich gesundheitstechnisch noch nie gekommen. Natürlich vermisse ich auch meine Trainingsgruppe und dass wir im Winter draußen trainieren konnten. Sobald ich die Möglichkeit bekomme, werde ich auch wieder nach Florida fliegen. Schließlich habe ich mich vor etwas über einem Jahr bewusst für Lance und die Trainingsgruppe entschieden.

Kommen wir zur letzten Frage: Was sind Ihre Ziele für 2021 und was wünschen Sie sich gegenseitig füreinander?

Gina Lückenkemper:

Ganz ehrlich? Ziele für 2021 habe ich mir noch gar nicht so fix vorformuliert. Dafür ist 2020 noch nicht ganz durch. Aktuell können wir alle nur darauf hoffen, dass wir gesund und verletzungsfrei bleiben. Wenn wir weiterhin ordentlich trainieren können, wird sich 2021 schon einiges ergeben.

Rebekka Haase:

Ich nehme mir die Olympianorm vor. Das funktioniert aber nur, wenn man gesund und verletzungsfrei bleibt und das ist nicht selbstverständlich. Und das ist auch das Größte, was man sich gegenseitig wünschen kann: Dass der Körper mitspielt.

Gina Lückenkemper:

Gesund und verletzungsfrei bleiben!

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024