| Disziplin-Check 2020

DISKUSWURF FRAUEN | Kristin Pudenz unbeirrt, Julia Harting auf dem Weg zurück

Abgebrochene Trainingslager, phasenweise sportlicher Stillstand, die Olympia-Absage, eine zaghafte Rückkehr ins Training, erste Wettkämpfe und dann doch noch eine Late Season mit einigen bemerkenswerten Leistungen: Die Saison 2020 im Jahr der Corona-Pandemie war eine ganz besondere, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Wir blicken mit den Disziplinverantwortlichen im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) zurück auf die vergangenen Monate, ziehen Bilanz und wagen einen Ausblick auf die Olympia-Saison 2021. Heute: der Diskuswurf der Frauen.
Jan-Henner Reitze

Fazit des Bundestrainers

René Sack, wie haben Sie persönlich das Corona-Jahr 2020 erlebt  – als Bundestrainer und als Heimtrainer?

René Sack:

Es war beruflich sehr fordernd. Es hat sicher eine Weile gedauert, bis alle den Ernst der Lage und deren Folgen halbwegs ernsthaft realisiert hatten. Plötzlich war nichts mehr wirklich längerfristig planbar – etwas, von dem wir ja sonst in unserem Beruf leben und profitieren. Es konnte anfangs erstmal nur von Woche zu Woche gedacht werden. Nach und nach kamen die Absagen von Wettkämpfen, Trainingslagern und dann den beiden Saisonhöhepunkten – das Ganze war anfangs sicher schwer zu verarbeiten und zu bewältigen.

Was privat eine positive Abwechslung war – viel zu Hause, wenig unterwegs und viel Zeit mit der Familie, war auf der sportliche Seite eine riesige Aufgabe. Es taten sich viele Fragen auf. Das ging bei kleineren Dingen wie der Sicherheit beim Training und des Trainings an sich los und hat bei einigen auch bei existentiellen Fragen nicht aufgehört.

Was waren die größten Herausforderungen für Sie und die deutschen Diskuswerferinnen?

René Sack:

Die größte Herausforderung war sicher, nach der Absage von Olympischen Spielen und EM sowie der anfänglichen Unklarheit, ob überhaupt eine Wettkampfsaison stattfindet, die Trainingsmotivation hoch zu halten und neue Ziele für 2020 zu stecken. Einige Werferinnen haben gezielt auf Wettkämpfe im Herbst hintrainiert, andere wiederum haben die Zeit genutzt, um an ihren Reserven zu arbeiten, ihrem Körper nach vielen Jahren im Hochleistungssport eine Regenerationsmöglichkeit zu geben oder schon länger bestehende körperliche Probleme zu beseitigen. All dies auch noch vor der immer im Hinterkopf sitzenden Unsicherheit, wie es ab Herbst und 2021 weiter gehen könnte.

Das Gute war, dass eigentlich alle Kaderathletinnen, die Chancen auf Olympia hatten, mehr oder weniger durchgängig an den jeweiligen Bundesstützpunkten trainieren konnten. Die U23-Werferinnen hatten da leider nicht ganz so viel Glück und mussten einige Woche kreativ im Heimtraining sein.

Als Trainer mussten wir Pläne entwerfen, die auf viele Eventualitäten hinzielen und gemeinsam mit den Athletinnen Entscheidungen treffen, wie das Jahr sinnvoll gestaltet und genutzt werden kann. 2020 war sicher ein mental stark forderndes Jahre für alle.

Welche Athletinnen haben sich 2020 trotz der veränderten Rahmenbedingungen am positivsten entwickelt?

René Sack:

Allen voran sicher Kristin Pudenz. Sie hat ihre Bestleistung dieses Jahr zum ersten Mal auf über 65 Meter geschraubt. Trotz aller widrigen Umstände hat sie dieses Jahr auf einem sehr guten Niveau geworfen. In der U23 hat Antonia Kinzel trotz mehrerer Wochen stark eingeschränkter Trainingsmöglichkeiten einen Riesensprung nach vorn gemacht.

Wie wollen und können Sie die Kader-Arbeit in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in den kommenden Monaten gestalten?

René Sack:

Leider mussten wir die erste Maßnahme im November absagen. Eine Anreise nach Leipzig wäre unter den aktuellen Umständen nicht sinnvoll gewesen. Für die nächsten Monate sind Maßnahmen in Kienbaum geplant, wo man halbwegs sicher arbeiten und trainieren kann. Leider lassen die durch die Hygienemaßnahmen eingeschränkten Kapazitäten und die Größe des Kaders nicht zu, dass sich der komplette Kader hier trifft. Ich werde versuchen, mit den Damen, die Olympiachancen haben, in Kienbaum zu arbeiten. Mit allen werden wir andere Wege finden, nutzen und ausbauen. So wird die Trainingsdatendokumentation des IAT eine wichtige Stütze der „Fernarbeit“ werden. Über dieses Planungs- und Protokollierungstool können wir mit den Heimtrainern und Athletinnen über Trainingsmittel und -inhalte diskutieren.

Sobald es natürlich wieder möglich ist, dass alle zusammen trainieren, wird es diese Möglichkeit natürlich auch wieder geben. So kann jeder von dem anderen bei diesen Maßnahmen profitieren.

Welche Präsenz und Leistung erhoffen Sie sich in Tokio von den deutschen Diskuswerferinnen?

René Sack:

Ich schiele natürlich schon ein wenig auf eine Medaille in Tokio. Das Potential im Kader ist auf jeden Fall da. Zudem wäre es mal wieder gut und wichtig, wie bei der WM in Peking 2015 drei deutsche Werferinnen im Finale zu sehen.

Mit welchen Hoffnungen und Erwartungen blicken Sie aufs Leichtathletik-Jahr 2021?

René Sack:

Ich würde mir ein halbwegs „normales“ Wettkampfjahr wünschen, in dem sich unsere Sportlerinnen und Sportler über alle Altersklassen hinweg miteinander messen und aneinander wachsen können. Nur so kann die Motivation hochgehalten werden, dabei zu bleiben und hart zu trainieren. Wenn dann auch noch ein paar Zuschauer dabei sind, wäre es natürlich noch viel besser.

Auch wenn man das Trainingsergebnis sicher nicht vom Ort abhängig machen kann, so wäre es doch für den Zusammenhalt und die Entwicklung der Sportler auch sehr förderlich, wieder größere gemeinsame Lehrgänge zu haben.
 

Unser "Ass des Jahres"

Kristin Pudenz (SC Potsdam)

Deutsche Meisterin 2020

Unser "Talent des Jahres"

Jule Gipmann (SV Viktoria Goch)

Deutsche U20-Meisterin 2020
 

Die deutschen Top Ten 2020*

Weite Name Jahrgang Verein
65,58 m Kristin Pudenz 1993 SC Potsdam
63,21 m Claudine Vita 1996 SC Neubrandenburg
61,17 m Julia Harting 1990 SCC Berlin
59,75 m Marike Steinacker 1992 TSV Bayer Leverkusen
59,64 m Julia Ritter 1998 TV Wattenscheid 01
57,08 m Anna Rüh 1993 SC Magdeburg
55,12 m Antonia Kinzel 2000 SSV Ulm 1846
53,27 m Leia Braunagel 2000 SCL Heel Baden-Baden
52,48 m Sandy Uhlig 2000 SV Halle
51,62 m Jule Gipmann 2001 SV Viktoria Goch

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau: Diskuswurf Frauen

Jahr > 61,20** Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005  1 62,65 61,52 58,67
2006  1 62,63 60,81 58,50
2007  3 64,43 62,06 58,90
2008  1 61,16 60,27 58,31
2009  2 62,06 61,04 58,36
2010  2 62,87 61,01 58,12
2011  1 62,54 61,41 59,36
2012  4 65,50 64,12 61,73
2013  3 65,69 63,55 60,96
2014  4 66,55 64,94 61,55
2015  6 65,95 65,05 61,66
2016  5 66,65 65,36 61,23
2017  6 64,70 64,18 60,95
2018  5 63,69 63,07 60,04
2019  6 65,18 64,40 60,81
2020  2 63,32 61,87 57,89

Entwicklung der internationalen Jahresbestleistungen

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 66,56 (F. Dietzsch) 66,81 (Cechlová/CZE) 0,25 66,81 (Cechlová/CZE) 0,25
2006 68,51 (F. Dietzsch) 68,51 (F. Dietzsch) 0,00 68,51 (F. Dietzsch) 0,00
2007 68,06 (F. Dietzsch) 68,06 (F. Dietzsch) 0,00 68,06 (F. Dietzsch) 0,00
2008 61,81 (S. Rumpf) 67,89 (Yatchenko/BLR) 6,08 67,89 (Yatchenko/BLR) 6,08
2009 63,43 (N. Müller) 65,40 (Sadova/RUS) 1,97 66,40 m (Li/CHN) 2,97
2010 67,78 (N. Müller) 67,78 (N. Müller) 0,00 67,78 (N. Müller) 0,00
2011 66,99 (N. Müller) 67,96 (Perković/CRO) 0,96 67,98 (Li/CHN) 0,98
2012 68,89 (N. Müller) 69,11 (Perković/CRO) 0,22 69,11 (Perković/CRO) 0,22
2013 66,69 (N. Müller) 68,96 (Perković/CRO) 2,30 68,96 (Perković/CRO) 2,30
2014 67,30 (N. Müller) 71,08 (Perković/CRO) 2,78 71,08 (Perković/CRO) 2,78
2015 66,14 (A. Rüh) 70,08 (Perković/CRO) 3,94 70,65 (Caballero/CUB) 4,51
2016 68,49 (J. Fischer) 70,88 (Perković/CRO) 2,39 70,88 (Perković/CRO) 2,39
2017 65,76 (N. Müller) 71,41 (Perković/CRO) 5,65 71,41 (Perković/CRO) 5,65
2018 65,15 (C. Vita) 71,38 (Perković/CRO) 6,23 71,38 (Perković/CRO) 6,23
2019 66,64 (C. Vita) 68,58 (Perković/CRO) 1,94 69,39 (Perez/CUB) 2,75
2020 65,58 (K. Pudenz) 65,93 (Perković/CRO) 0,36 70,15 (Allmann/USA) 4,57

Das fällt auf

  • Auch ohne die so starke nationale Konkurrenz der Vorjahre zog Kristin Pudenz das Jahr durch, steigerte ihre Bestleistung und gewann jeden ihrer sieben Freiluft-Wettkämpfe
  • Julia Harting hat sich nach der Geburt ihrer Zwillinge zurückgemeldet.
  • Anna Wierig hat nicht nur geheiratet, sondern erwartet auch ein Kind, statt Olympia-Vorbereitung steht also eine Babypause an.
  • Nadine Müller und Shanice Craft haben sich im Sommer eine Auszeit in Sachen Wettkämpfe genommen.
  • Im Winter hat Shanice Craft mit ihrem inoffiziellen Hallen-Weltrekord von 64,03 Metern beim ISTAF Indoor demonstriert, wozu sie fähig ist, wenn sie fit ist.
  • Vor allem in der Breite fehlt im Corona-Jahr die eigentlich so gewohnte Reihe von Weltklasse-Weiten der DLV-Athletinnen.
  • Der Weltverband führt neben den 64,03 Metern von Shanice Craft auch die 60,44 Meter von Nadine Müller vom ISTAF Indoor in seiner Weltjahresbestenliste. In der Berechnung unserer Durchschnittswerte wurden diese Weiten nicht mitgerechnet.
  • Bei den wenigen internationalen Meetings des Jahres hatten die Diskuswerferinnen kaum die Gelegenheit, sich zu präsentieren.

leichtathletik.TV-Clips

Diskuswerfen

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer
Mittelstrecke Frauen
Mittelstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Hürdensprint Frauen
Hürdensprint Männer
Langhürden Frauen
Langhürden Männer
Hindernis Frauen
Hindernis Männer
Hochsprung Frauen
Stabhochsprung Frauen
Stabhochsprung Männer
Weitsprung Frauen
Weitsprung Männer
Dreisprung Frauen
Dreisprung Männer
Kugelstoßen Frauen
Kugelstoßen Männer

* Die Hallen-Leistungen vom ISTAF Indoor, die teils deutlich über den Weiten der Top Ten lagen, wurden in dieser Freiluft-Auflistung nicht berücksichtigt.
** als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017

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