| Road to Tokyo

Carolin Schäfer – Olympiamedaille im Kopf, harmonisches Team im Rücken

Ende 2019 hat Carolin Schäfer neue Wege eingeschlagen: Deutschlands beste Siebenkämpferin schloss sich für eine optimale Olympiavorbereitung der Trainingsgruppe rund um Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul in Mainz an. Eine Konstellation, von der alle Beteiligten profitieren. Die Vizeweltmeisterin von 2017, die bereits im Jahr 2019 die Olympianorm erbracht hat, strebt nun einen reibungslosen und sicheren Aufbau in Richtung Tokio an.
Svenja Sapper

Die Zielsetzung hat sich nicht geändert für Carolin Schäfer. „In meinem Kopf finden die Spiele statt“, sagt die Vizeweltmeisterin von 2017. Trotz der Unsicherheit, die sie wie viele andere Athleten durch die Olympiavorbereitung begleitet. Denn die Corona-Pandemie wird auch die Umsetzung der ursprünglich für 2020 geplanten Olympischen Spiele in Tokio (Japan; 23. Juli bis 8. August) beeinträchtigen.

„Ich behalte die Vorstellung bei, dass die Olympischen Spiele stattfinden. Das ist für mich absolut wichtig, um mit dieser hohen Motivation ins Training zu gehen“, sagt Carolin Schäfer. Die gebürtige Bad Wildungerin, die in Mainz trainiert und für Frankfurt startet, braucht das große Ziel Olympia vor Augen, um im Training bis an ihre Grenzen zu gehen. Dass die Spiele in Tokio ganz anders ablaufen werden als Olympia 2016 in Rio (Brasilien), wo die 29-Jährige den fünften Platz belegte, ist ihr bewusst. Die Entscheidung gegen ausländische Helfer und Fans in Tokio findet sie nachvollziehbar und richtig.

Darüber hinaus ist es für Carolin Schäfer wichtig, dass Sportler gegen das Coronavirus geimpft werden. „Wir wollen uns nicht vordrängeln“, sagt sie, „aber wir müssen uns dessen bewusst sein, dass wir das Virus aus Tokio mitbringen könnten. Es geht in erster Linie darum, dass wir geimpft werden möchten, um im Anschluss daran wieder nach Hause zurückzukehren und kein Risiko für die Gesellschaft zu sein.“ Damit die Spiele stattfinden können, müsse Sicherheit gewährleistet sein: „Wir leben für diesen olympischen Traum, wir richten das Training danach aus und ich wünsche mir, dass diese Olympischen Spiele stattfinden.“

Mainzer Trainingsgruppe als „Lokomotive“

Für ihren olympischen Traum ist Carolin Schäfer Ende 2019 neue Wege gegangen. Die EM-Dritte von 2018 schloss sich in Mainz der Trainingsgruppe um Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul (USC Mainz) an. Dessen Eltern Stefanie und Michael Kaul sind seither auch für das Training von Carolin Schäfer zuständig. Sie setzen auf einen ganzheitlichen Ansatz, der für die beste deutsche Siebenkämpferin der letzten Jahre eine große Umstellung bedeutet: „Es ist eine komplett andere Grundphilosophie.“

Das Trainerehepaar lege viel Wert auf allgemeine Athletik und auf Techniktraining, berichtet Carolin Schäfer. Für eine gute allgemeine Ausdauer muss sie viele Kilometer absolvieren und sich insbesondere in den Tempoläufen verausgaben. „Zweimal die Woche muss ich mich für die 200, aber auch für die 800 Meter quälen und Tempohärte entwickeln. Da musste ich mich wirklich reinknien. Vorher war ich es nicht ganz gewohnt, mich so abzuschießen“, erzählt die 29 Jahre alte Athletin. Dass die Olympischen Spiele vom vergangenen aufs aktuelle Jahr verschoben wurden, verschaffte Carolin Schäfer und ihrem neuen Umfeld mehr Zeit für die Neugestaltung des Trainings: „Wir konnten uns besser aufeinander abstimmen, ich konnte das Training anpassen lassen. Und wir sind zusammengewachsen als Team.“

Das gemeinsame Training in der Gruppe tut allen Beteiligten gut. „Wir profitieren ungemein voneinander und jeder ist wichtig in dieser Gruppe“, sagt Carolin Schäfer. „Ich stelle mir unsere Trainingsgruppe immer als Lokomotive vor. Für mich ist es natürlich absolut hilfreich, mit Niklas Kaul und den anderen Jungs zu trainieren. Als Frau sowieso: Ein männliches Zugpferd vor sich zu haben macht vieles einfacher, was gerade die Tempoläufe und Sprints angeht.“ Zur Trainingsgruppe gehört auch Siebenkämpferin Mareike Rösing (USC Mainz), die im Jahr 2020 Deutsche U23-Meisterin im Siebenkampf wurde. „Vielleicht kann ich im Gegenzug dieses Zugpferd für sie sein“, meint die Weltklasseathletin.

Sportlich wie menschlich ein Gewinn

Auch menschlich passt es zwischen Carolin Schäfer und der Mainzer Mehrkampfgruppe. „Wir sind ein harmonisches Team, wir verstehen uns sehr gut und kommunizieren viel miteinander. Das macht es umso schöner, weil wir viel Spaß im Training haben und bereit sind, uns zu quälen, aber auch die gewisse Lockerheit mit ins Training bringen.“ Aktuell bereitet sich das Team in Mainz auf die Freiluftsaison vor. Auf ein Trainingslager hat Carolin Schäfer aus Sicherheitsgründen verzichtet.

„Ich möchte das Risiko nicht eingehen, mich jetzt im Aufbau mit dem Virus zu infizieren, und dadurch womöglich meine Olympiateilnahme aufs Spiel setzen“, sagt sie. Auch Hallenwettkämpfe hat sie in den vergangenen Monaten nur zur Standortbestimmung an ihrer Trainingsstätte absolviert. Den Verzicht auf ein Trainingslager empfindet Carolin Schäfer nicht als dramatisch: „Ich brauche nicht unbedingt die Wärme, ich habe 2017 schon die Erfahrung gemacht, nicht ins Ausland fliegen zu müssen, um eine gute Saison zu absolvieren.“

Beste Werbung für den Siebenkampf

Damals stellte sie Ende Mai in Götzis ihre bis heute gültige Bestleistung von 6.836 Punkten auf. Im österreichischen Mehrkampf-Mekka möchte sie auch in der kommenden Freiluftsaison wieder an den Start gehen. „Ich hoffe, dass Götzis stattfinden kann“, sagt die zweimalige Zweitplatzierte des dortigen Mehrkampf-Meetings. Die Olympianorm (6.420 Pkt) hat sie zwar bereits 2019 abgehakt. Dennoch möchte die frühere U20-Weltmeisterin vor den Olympischen Spielen einen kompletten Siebenkampf bestreiten. „Ich habe nicht den zeitlichen Druck, die Norm erfüllen zu müssen, aber es wäre für den normalen Wettkampfablauf schön, wenn ich zuvor zumindest einen Siebenkampf absolvieren könnte“, meint sie.

Bislang ist Carolin Schäfer die einzige deutsche Siebenkämpferin mit erfüllter Norm. Die Frankfurterin würde sich jedoch freuen, nicht alleine nach Tokio fahren zu müssen. 24 Starterinnen, die sich über den olympischen Richtwert oder die Weltrangliste qualifizieren können, sind bei Olympia zugelassen, davon maximal drei pro Nation. „Es ist immer schön, wenn man seine Kolleginnen dabei hat und in einer kleineren Gruppe oder zu dritt das Großereignis erleben kann“, sagt sie. Die besten Chancen auf ein Olympiaticket räumt Carolin Schäfer der Leverkusenerin Sophie Weißenberg ein: „Sie hat sich in eine gute Position gebracht. Ich denke, mit 6.300 Punkten ist man in Tokio dabei. Ich würde mich aber freuen, wenn das ein oder andere Mädel über sich hinauswächst und dann doch noch die Norm packt oder sich über die Weltrangliste qualifiziert.“

Die Vorbereitung auf die Wettkampfsaison verläuft bislang nach Plan. „Ich habe seit Oktober gut durchtrainieren können“, weiß Carolin Schäfer zu berichten. Bleibt das in den kommenden Monaten so, zählt die Medaillengewinnerin von Welt- und Europameisterschaften auch in Tokio zu den Kandidatinnen fürs Podium. Doch es gibt zahlreiche andere Athletinnen, die in den vergangenen Jahren in die Siebenkampf-Weltelite vorgestoßen sind. Für Carolin Schäfer ist das ein Gewinn: „Es ist schön für unsere Sportart, dass wir uns so gut entwickeln und viele Mädels auf einem Niveau sind. Ich würde es gar nicht als Konkurrenzkampf auslegen, sondern es spricht für unsere Disziplin.“

Die eine Medaille, die noch fehlt

Grundsätzlich gilt in den Mehrkämpfen: Es kann vieles passieren. „Siebenkampf ist tagesformabhängig, erst nach sieben Disziplinen wird abgerechnet“, gibt die Frankfurterin zu bedenken. In den letzten Jahren reichten 6.600 Punkte jedoch fast immer zu Edelmetall. „Die Olympiamedaille ist die eine internationale Medaille, die mir noch fehlt. Ich wünsche mir natürlich, dass ich mir diesen Traum erfüllen kann“, sagt Carolin Schäfer.

Besonders stark präsentierten sich international in den vergangenen Jahren Großbritanniens Weltmeisterin Katarina Johnson-Thompson und die Belgierin Nafissatou Thiam, die bei den Olympischen Spielen als Titelverteidigerin antreten wird. Mit beiden Athletinnen stand Carolin Schäfer zuletzt bei der EM in Berlin 2018 auf dem Podium und freut sich auf das erneute Kräftemessen. „Ich habe mit Nafi viele wunderbare Momente auf dem Podest teilen dürfen“, blickt sie zurück. „Man sieht, dass wir Mehrkämpferinnen auch zusammengewachsen sind, dass wir zwei Tage zusammen im Stadion stehen, viele Erinnerungen miteinander teilen, positive wie auch negative. Deswegen: Möge die Beste gewinnen und mögen die drei Besten am Ende in Tokio auf dem Podest stehen.“

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