| Interview der Woche

Katharina Steinruck: „Hamburg wird ein heißes Rennen“

Katharina Steinruck bestimmt seit Jahren die deutsche Marathon-Szene der Frauen mit. Bei Europa- und Weltmeisterschaften war die Frankfurterin bereits am Start, in diesem Sommer soll sich der Traum von den Olympischen Spielen erfüllen. Ein Traum, der bereits im vergangenen Jahr zum Greifen nah war. Im Interview spricht die 31-Jährige über ein herausforderndes Jahr 2020, die neue Dichte im Frauen-Marathon in Deutschland und den Kampf um die Olympia-Tickets beim NN Mission Marathon in Hamburg (11. April).
Alexandra Dersch

Am vergangenen Sonntag haben Sie Ihr erstes Rennen im Olympia-Jahr 2021 absolviert. Ein Start nach Wunsch, denn in Dresden konnten Sie über 10 Kilometer direkt eine neue Bestzeit aufstellen und sind mit 31:59 Minuten erstmals unter der 32-Minuten-Marke geblieben. Ein Start, den Sie sich auch genauso ausgemalt hatten?

Katharina Steinruck:

Ich war im Training bereits unter meiner bisherigen Bestleistung geblieben, daher hatte ich mit dieser Zeit geliebäugelt. Aber Dresden war mein erster Wettkampf nach über einem halben Jahr. Nach so einer langen Wettkampfpause ist das mit Plänen immer so eine Sache. Da kommt es auch darauf an: Wie komme ich rein in den Wettkampfmodus? Wie aufgeregt bin ich? Daher war ich umso glücklicher, dass in Dresden trotz der schwierigen Bedingungen, es war so unfassbar kalt und windig, alles so gut geklappt hat. Vor einem Marathon brauche ich im Vorfeld einen Wettkampf, das ist ganz wichtig für mich.

Was macht einen Wettkampf im Vorfeld so wichtig? Geht es da um die Simulation der Wettkampfsituation, oder geht die Bedeutung noch darüber hinaus?

Katharina Steinruck:

Die Simulation ist der eine Aspekt, ja. Denn auch wenn ich schon so lange Wettkämpfe laufe, es ist doch immer wieder neu und ungewohnt, nach einer langen Pause, in der ich nur für mich trainiert habe, mich wieder mit Konkurrenz unter ernsthaften Bedingungen zu testen. Ich muss da wieder reinfinden in diese Abläufe, muss den Fokus finden und die Aufregung kanalisieren können. Das geht nur über Wettkämpfe. Der andere wichtige Punkt ist, dass ein Wettkampf mir einen ganz anderen Anhaltspunkt gibt, wo ich im Training stehe. Und im besten Fall gibt der Wettkampf mir dann auch Selbstbewusstsein und Sicherheit – so wie das jetzt in Dresden auch der Fall war. Darüber hinaus ist aber auch die finanzielle Seite nicht zu unterschätzen. Aktuell verdienen wir mit unseren Wettkämpfen zwar nicht, aber dennoch ist es wichtig für meine Sponsoren, dass ich mich zeige und ihnen so etwas zurückgeben kann.

Die Grundlage für dieses tolle Rennen in Dresden haben Sie unter anderem im vergangenen Jahr gelegt. Einem verrückten Jahr auf unterschiedlichsten Ebenen. Was war für Sie im Rückblick die größte Herausforderung?

Katharina Steinruck:

Die größte Schwierigkeit bestand für mich darin, dass ich mich neu motivieren und fokussieren musste. Ich hatte die Norm für die Olympischen Spiele bereits 2019 abgehakt, im Frühjahr in Osaka konnte ich sie noch einmal bestätigen. Mein Fokus lag schon ganz klar auf Tokio, auf dem olympischen Marathon. Dann kam Corona und damit auch die Verschiebung der Olympischen Spiele. Mein Ziel war plötzlich weg, meine Aufgabe. Das war schwierig. Ich habe zwei Wochen nicht trainiert, mich nur zum Spaß bewegt, bin Inliner gefahren oder Fahrrad. Ich musste mich sammeln. Und auch danach gab es einfach das ganze Jahr über so viele Fragezeichen. Es war ein herausforderndes Jahr.

Drei abgebrochene Marathonvorbereitungen, auch das gehört zu Ihrer 2020er-Bilanz – wie zermürbend was das Ganze im Rückblick?

Katharina Steinruck:

Eine Marathonvorbereitung braucht Zeit. Nicht nur zwei Monate, sondern ein gutes halbes Jahr. Im vergangenen Jahr war aber einfach nichts wirklich planbar. Das war auch eine ganz schwierige Situation für die Veranstalter. Ich hatte ursprünglich einen Frühjahrsmarathon geplant. Daraus wurde aus den bekannten Gründen nichts. Für den Herbst war ich so ziemlich für jeden Marathon angemeldet, der geplant wurde. Nachdem zwei aber kurz vorher abgesagt wurden, war ich mental einfach nicht mehr bereit und habe mich schlussendlich aktiv gegen einen Start in Valencia entschieden. Heute wissen wir, dieser Marathon hat stattgefunden. Aber ich bin mit meinem Entschluss, dort nicht zu starten, dennoch im Reinen. Ich war nach dem Jahr einfach müde.

Dennoch war es ein erfolgreiches Jahr für Sie, wenn wir auf Ihre Zeiten von 10 Kilometer bis Marathon blicken. Sie konnten zwei Bestzeiten laufen (10 km: 32:16 min; Halbmarathon: 72:23 min) und in Osaka in 2:28:48 Stunden Ihre drittschnellste Zeit im Marathon. Was bleibt Ihnen positiv in Erinnerung?

Katharina Steinruck:

Ich konnte das Jahr in Berlin mit einer Bestzeit beenden und bin froh darüber, dass es einige Veranstalter uns Straßenläufern möglich gemacht haben, Wettkämpfe zu absolvieren. Das war wichtig für meinen Kopf. Das Jahr war aus sportlicher Sicht ein Leistungsfortschritt für mich.

Wie gestalten Sie Ihr Training aktuell?

Katharina Steinruck:

Von Oktober bis Dezember habe ich wetterbedingt fast ausschließlich zu Hause auf dem Laufband trainiert. Das habe ich dann aber in den Bändern und der Wade gemerkt. Ich bin zwar als Straßenläuferin Asphalt und harten Bodenbelag gewöhnt, aber ich laufe ansonsten im Training auch viel auf Waldboden. Das Laufband war auf die Dauer einfach zu hart für meine Bänder. Als Konsequenz haben meine Mutter und Trainerin (Anm. d. Red. Katrin Dörre-Heinig) und ich uns nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, im Januar für fünf Wochen nach Chiclana zu fahren. Wir haben dort in Spanien Freunde, die uns genau sagen konnten, wie die aktuelle Situation vor Ort ist. Wir hatten dort unsere eigene Wohnung und haben noch weniger Leute gesehen als hier zuhause. Mir hat es im Hinblick auf mein Training sehr gut getan und ich bin sehr froh, dass mein Arbeitgeber, die hessische Polizei und auch der Olympiastützpunkt Frankfurt ihr Okay gegeben haben.

Fünf DLV-Athletinnen haben bereits die Olympia-Norm von 2:29:30 Stunden unterboten. Sie haben die Norm bereits 2019 in Frankfurt mit 2:27:26 Stunden klar unterboten und im vergangenen Jahr in Osaka mit 2:28:48 Stunden bestätigt. Aktuell liegen Sie auf Platz drei des zwischenzeitlichen Olympia-Rankings. Der Platz ist jedoch bei Weitem noch nicht sicher. Wie erleben Sie die derzeitige Dichte im deutschen Marathonlauf der Frauen?

Katharina Steinruck:

Die Konkurrenz tut uns als Sportart gut und bringt auch eine neue Öffentlichkeit mit sich. Der Kampf um die Tickets ist deutlich spannender und das bringt uns alle voran. Aber es ist natürlich auch so, dass ich mein Ticket für Tokio im vergangenen Frühjahr gefühlt schon sicher hatte. Das hat sich jetzt geändert und ich muss und will nachlegen.

Die Chance nachzulegen und das Ticket für Olympia zu sichern, wartet am übernächsten Wochenende in Hamburg. Ein reines Eliterennen. Was denken Sie: Mit welcher Taktik wird dieses Rennen gelaufen?

Katharina Steinruck:

Es wird ein heißes Rennen, keine Frage. Ich denke, dass wir deutschen Läuferinnen gemeinsam laufen werden und auf eine schnelle Zeit angehen. Als Orientierung werden sicherlich die 2:26:55 Stunden, sprich die Zeit, die Debbie (Anm. d. Red. Deborah Schöneborn) in Valencia gelaufen ist, herangezogen. Und dann werden wir sehen, wer zuerst die Nerven verliert und losstürmt, oder wen die Kräfte verlassen.

Das Rennen findet auf einem 10,5 Kilometer langen Rundkurs statt, natürlich unter besonderen Hygienerichtlinien – machen Sie sich über diese Besonderheiten Gedanken?

Katharina Steinruck:

Natürlich fehlen die Zuschauer und alles, was sonst die Faszination Straßenlauf ausmacht. Das Laufen in der Masse. Die Party am Straßenrand. Aber das ist jetzt gerade so. Damit beschäftige ich mich nicht weiter. An solchen Nebenschauplätzen will ich keine Kraft verschwenden. Dass wir auf einem Rundkurs laufen, das erinnert mich eigentlich mehr an internationale Meisterschaften, daher ist das für mich keine große Umstellung. Leicht wird die Strecke dennoch nicht, es gibt Brücken und Unterführungen, aber ich habe am Berg trainiert, daher macht mir das nichts aus.

Wie erleben Sie grundsätzlich die Diskussion um Corona und Olympia? Verfolgen Sie regelmäßig den aktuellen Stand?

Katharina Steinruck:

Ich verfolge das Ganze am Rande. Ich habe mir angewöhnt, dass ich mich nicht zu sehr in Dinge reinknie, die ich nicht beeinflussen kann. Das tut nicht gut. Da will ich keine Kraft vergeuden. Mein Ziel ist Hamburg. Darüber hinaus mache ich mir noch keine weiteren Gedanken um den Sommer.

World Athletics hat gerade eine Global Conversation ins Leben gerufen, in der alle Leichtathletik-Interessierten aufgerufen sind, in einer Online-Umfrage ihr persönliches Feedback zum aktuellen Stand der Leichtathletik zu geben. Wo sehen Sie Nachholbedarf, was die allgemeine Ausrichtung unserer Sportart angeht?

Katharina Steinruck:

Ich will diese Umfrage noch machen, bislang habe ich davon nur gelesen. Aber ich denke, dass wir gerade jetzt in Lockdown-Zeiten verstärkt an unserer Außenwirkung arbeiten müssen. Da denke ich konkret an Livestreams, Übertragungen auch von kleinen Wettkämpfen. Das wäre eine gute Möglichkeit, die Athleten verstärkt ins Rampenlicht zu stellen, um der Leichtathletik auch über diese Athleten hinaus Gesicht und Namen zu geben.

Wenn wir 2020 eins gelernt haben, dann ist es, dass wir nichts planen können: Was wünschen Sie sich dennoch aus rein sportlicher Sicht für dieses Jahr?

Katharina Steinruck:

Ich wünsche mir, dass ich aus den Möglichkeiten, die ich habe und die mir in diesem Jahr geboten werden, das für mich Bestmögliche herausholen kann. Und das auf allen Strecken, sprich von fünf Kilometer bis Marathon. Alles andere lasse ich auf mich zukommen. Denn eins habe ich gelernt: Kein Plan ist sicher.

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