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Amelie-Sophie Lederer – Ein Tag, der zeigt, was möglich ist

Sieben DLV-Athletinnen und Athleten haben bei der Hallen-DM in Dortmund ihre ersten Titel auf nationaler Ebene gewonnen, einige von ihnen überraschten damit sich, favorisierte Konkurrenz und die Zuschauer, die coronabedingt wieder „nur“ per Livestream dabei sein konnten. Wir stellen sie vor, heute Sprinterin Amelie-Sophie Lederer (LG Stadtwerke München).
Jan-Henner Reitze

Amelie-Sophie Lederer
LG Stadtwerke München

Bestleistungen:

60 Meter: 7,12 sec (2021)
100 Meter: 11,28 sec (2017)
200 Meter: 23,43 sec (2020)

Erfolge:

U23-Europameisterin 2015 (Staffel)
Deutsche Hallenmeisterin 2021

Ihr Leben ist voll auf den Sport ausgerichtet. Seit Jahren arbeitet Amelie-Sophie Lederer akribisch an ihrer Sprintfähigkeit. Erste internationale Luft durfte sie auch in der A-Nationalmannschaft schon schnuppern. Vor dieser Hallensaison lag das aber schon dreieinhalb Jahre zurück. Verletzungen hatten die Entwicklung aufgehalten. Diese Hallensaison brachte einen lang angestrebten Aufwärtstrend. Doch was sich dann bei der Hallen-DM in Dortmund abspielte, war nicht nur für die Leichtathletik-Fan eine Überraschung, sondern auch für die 26-jährige Athletin selbst.

Das Feld war ausgeglichen, mit Athletinnen, die ebenfalls um den ersehnten (Wieder)-Durchbruch in die DLV-Spitze kämpfen, wie Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar), Jennifer Montag (TV Bayer 04 Leverkusen) oder Yasmin Kwadwo (LC Paderborn). Aber es war die Münchnerin, die regelrecht explodierte, schon als Vorlaufschnellste zu 7,20 Sekunden stürmte, um ihre Vorleistung als Siegerin im Finale dann nochmal auf 7,12 Sekunden zu pulverisieren. Die Konkurrenz, die ihr in den vergangenen Jahren immer noch ein Stück voraus war, sah jetzt nur noch ihre Hacken.

„Das waren zwei Läufe, in denen einfach von vorne bis hinten alles gut funktioniert hat“, sagt Amelie-Sophie Lederer mit etwas Abstand zum bisherigen Wettkampf ihres Lebens. „Ich hatte eine gute Beschleunigungsphase, bin gut ins Laufen gekommen und konnte das Rennen hinten raus gut durchziehen.“ Mit einem Schlag war sie plötzlich nicht nur die nationale Nummer eins, sondern trat zwei Wochen später sogar als Jahresschnellste der Teilnehmerinnen bei der Hallen-EM in Torun (Polen) an. Dort gelang es nicht ganz, in der neuen Rolle befreit aufzulaufen. Drei Hundertstel fehlten zum Finaleinzug. Dennoch hat die Hallensaison gezeigt, dass mehr als in den Jahren zuvor in der Deutschen Hallenmeisterin steckt. Wenn alles stimmt – wie in Dortmund – sogar viel mehr.

Laufbahn startet mit Hürden

Regelmäßig auf der Tartanbahn steht Amelie-Sophie Lederer seit ihrem zwölften Lebensjahr. „Ich war im Sportunterricht immer relativ schnell. Da wurde ich gefragt, ob ich mit zum Leichtathletik-Training kommen möchte. Daran habe ich dann Spaß gefunden“, erzählt die Bayerin über ihre sportlichen Anfänge in ihrer Heimat bei der LG Kreis Ansbach. Unter Heidi Straub entdeckte die sprintschnelle Athletin die Hürden für sich.

In dieser Disziplin zählte die heutige Leistungssportlerin früh zu den Besten ihres Jahrgangs. Im Jahr 2009 belegte sie zum Beispiel mit einer Zeit von 11,47 Sekunden Rang vier in der DLV-Bestenliste der W15 über 80 Meter Hürden. Als U18-Athletin sprintete sie bei ihrer ersten Jugend-DM in Ulm in 13,78 Sekunden gleich zu Bronze über 100 Meter Hürden, ein Jahr später in Jena lief es mit Rang fünf (14,05 sec) nicht ganz so gut. Knieprobleme machten weitere Steigerungen schwierig. „Ich musste mich 2012 einer Operation unterziehen“, so die Sprinterin. „Danach haben wir uns auf die Flachstrecken konzentriert. Ich hatte nicht mehr das Bedürfnis, Hürden zu laufen.“

Staffel-Gold bei der U23-EM, Teil des Staffel-Teams bei der WM 2017

Mit dem Wechsel zur LAC Quelle Fürth und Trainer Helmut Vetter schritt die Professionalisierung voran und es gelang, die Verletzung zu überwinden. Im zweiten U20-Jahr unterbot die Athletin über 100 Meter erstmals die 12-Sekunden-Marke und wurde Fünfte im Finale der Deutschen Jugendmeisterschaften in Rostock. In den folgenden Jahren als Juniorin gab es nochmal ein Comeback über die Hürden (13,72 sec), es blieb aber bei wenigen Rennen.

Über 100 Meter flach waren nach einer Steigerung in den Bereich um 11,60 Sekunden zwar weiterhin einige wenige Konkurrentinnen schneller, aber für die DLV-Sprintstaffel konnte sich Amelie-Sophie Lederer 2015 empfehlen. Bei der U23-EM in Tallinn (Estland), bei der Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) auch die Einzeltitel über 100 Meter und 200 Meter abräumte, war die Bayerin Startläuferin der Goldstaffel über 4x100 Meter (43,47 sec). „Das war natürlich eine tolle Erfahrung, bei der ich auch viel über die Abläufe bei einer internationalen Meisterschaft lernen konnte.“ Das Ziel, es auch im Einzel national ganz nach vorn und zu internationalen Einsätzen zu bringen, war endgültig im Visier.

Das Jahr 2017 brachte den nächsten Leistungsschritt in diese Richtung. Die Verbesserung auf die bis heute gültige 100-Meter-Bestzeit von 11,28 Sekunden und Rang sechs bei den Deutschen Meisterschaften in Erfurt (11,47 sec) brachten die Nominierung für das DLV-Staffelteam bei der WM in London (Großbritannien). „Dort bin ich zwar nicht zum Einsatz gekommen. Dennoch habe ich viel mitnehmen können.“

Polizei-Ausbildung, Trainerwechsel, wieder Verletzungsprobleme

Die sportlichen Erfolge ermöglichten eine Ausbildung in der Sportfördergruppe der bayerischen Landespolizei. „Dafür bin ich sehr dankbar“, erzählt Amelie-Sophie Lederer, die ihren Trainingsschwerpunkt deshalb nach München verlagerte und dort von Volker Herrmann betreut wurde, die Ausbildung absolvierte sie in Dachau.

Die Polizei ist in beruflicher und finanzieller Hinsicht auch in sportlich schwierigen Zeiten ein verlässlicher Partner. 2018 waren es beide Achillessehnen, die schmerzten und keine schnellere Zeit als 11,65 Sekunden zuließen. Damit war auch der Verlust des DLV-Kaderstatus verbunden. Das Training in München übernahm Patrick Saile, die Achillessehnenprobleme besserten sich dank ärztlicher und physiotherapeutischer Betreuung. Es zwickte allerdings immer wieder auch an anderer Stelle.

Wieder an die besten Leistungen anzuknüpfen, schaffte das Duo im vergangenen Jahr mit dem Vize-Titel bei der Hallen-DM über 200 Meter in Leipzig (23,62 sec) und dem fünften Platz bei der Freiluft-DM über 100 Meter (11,43 sec) im Corona-Sommer in Braunschweig. Mit der Saisonbestzeit von 11,29 Sekunden aus Regensburg wackelte auch die Bestzeit. 2020 trug die Sprinterin das Trikot der LG Telis Finanz Regensburg, seit 2021 startet sie für die LG Stadtwerke München.

Vieles wie immer, Druck der Doppelbelastung abgefallen

Im dritten Jahr hat sich die Zusammenarbeit mit Patrick Saile gut eingespielt, der allerdings seit Herbst 2020 nicht mehr beim Training in München vor Ort ist, da er einen Posten als Sprintnationaltrainer in der Schweiz angenommen hat. Er betreut dort unter anderem den Schweizer Hallenrekordler Silvan Wicki. Viele Einheiten ohne ihn zu absolvieren, macht Amelie-Sophie Lederer aber nichts aus. „Sein Training macht mir einfach Spaß.“ Ab und zu fährt die Athletin zu ihm in die Schweiz.

Völlig reibungslos lief die Vorbereitung auf die zurückliegende Wintersaison aber nicht. Zumal im Januar auch die Abschlussprüfung bei der Polizei anstand. „Natürlich wollte ich meine Ausbildung erfolgreich abschließen und auch im Training hundert Prozent geben. Das hat nicht immer funktioniert.“

Die Last der Doppelbelastung fiel pünktlich zum Start der Hallenwettkämpfe ab, mit der Ernennung zur Polizeimeisterin nach bestandenen Prüfungen. Der Beginn der Freistellungsphase ließ neben der großen Erleichterung für den Kopf auch zu, dass zwischen den Rennen mehr Zeit zur Regeneration blieb.

Gefühl der Rennen von Dortmund bewahrt, Olympia-Norm angepeilt

Die Saison über die 60 Meter lief von Anfang an besser denn je. In allen acht Rennen blieb die Uhr unter der Bestzeit von 7,35 Sekunden stehen, mit der Amelie-Sophie Lederer in den Winter gestartet war. Die unerwarteten Raketenrennen von Dortmund und den ersten Einzelstart im Nationaltrikot, gleich als gehandelte Favoritin, hat die Aufsteigerin inzwischen verdaut. Was bleibt sind nicht nur neue Motivation und die Zuversicht, die gesteckten Ziele erreichen zu können, sondern auch die Erinnerung an den Gala-Auftritt beim ersten nationalen Titelgewinn.

„Ich kann mir die Läufe aus Dortmund noch gut bildlich vorstellen und wie sich die Rennen angefühlt haben. Das möchte ich im Sommer auch auf die Bahn bringen.“ Und jetzt spricht die Perfektionistin, die immer noch ein bisschen mehr rausholen möchte: „Kleinigkeiten kann man immer noch besser machen.“

Dabei denkt die 26-Jährige vor allem an den Start. Auch daran hat sie schon im zweiwöchigen Trainingslager auf Teneriffa (Spanien) mit Patrick Saile gearbeitet, in dem etwa auch die 200-Meter-EM-Teilnehmerin von Berlin 2018 Cornelia Halbheer (Schweiz) dabei war. Im Moment geht die Sommervorbereitung im DLV-Trainingslager auf Gran Canaria (Spanien) weiter. Erstes Ziel in der Freiluftsaison ist die inzwischen knapp vier Jahre alte 100-Meter-Bestzeit (11,28 sec) zu knacken. „Ich peile auch die Olympianorm von 11,15 Sekunden an. Das ist nicht unrealistisch.“

Video: Amelie-Sophie Lederer mit enormer Steigerung zum Überraschungstitel
Video-Interview: Amelie-Sophie Lederer: "Ich wusste, dass ich sehr gut drauf bin"

Das sagt Bundestrainer Ronald Stein:

Amelie hat eine tolle Hallensaison absolviert. Nach ihren Vorleistungen war bei der Hallen-DM mit einer weiteren Steigerung zu rechnen, nicht aber mit einer solchen Leistungsexplosion. Die Auswertung der Läufe von Dortmund hat gezeigt, dass sich Amelie in allen Bereichen, vom Start über die Beschleunigung wie auch im fliegenden Bereich, verbessert hat. Es waren starke Auftritte. Eine Rolle für die Ergebnisse in diesem Winter hat sicherlich gespielt, dass nach erfolgreicher Abschlussprüfung der Druck ihrer Ausbildung bei der Polizei abgefallen ist.

2017 war Amelie schon als Ersatzfrau der Staffel bei der WM dabei. Danach konnte sie nie richtig durchtrainieren, hatte immer wieder Probleme muskulärer Art oder mit der Achillessehne. Die Leistung hat etwas stagniert. Dass sie ihr Ziel, in die deutsche Spitze zu laufen, dennoch nicht aus den Augen verloren hat, spricht für ihre Leidenschaft und ihren Glauben an sich selbst. Persönlich habe ich Amelie als sehr ruhigen, zurückhaltenden Menschen kennengelernt. Sie schätzt sich selbst realistisch ein, zieht die richtigen Schlüsse aus ihren Erfahrungen und will schlichtweg besser werden.

Die 7,12 Sekunden über 60 Meter sind natürlich auch als positiver Ausreißer zu bewerten. Für eine Prognose für den Sommer sollte man eher von stabilen Zeiten im 7,20er-Bereich ausgehen. Aber auch das verspricht einen Leistungssprung in der Freiluftsaison. Wenn sie gesund durch die Vorbereitung kommt und gute Bedingungen hat, ist Amelie eine Kandidatin für die Olympianorm von 11,15 Sekunden über 100 Meter oder auch die 22,80 Sekunden über 200 Meter. Auch die 200 Meter sind für sie durchaus ein Thema.

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