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Neue Wege in der Leichtathletik – „Yoga ist kein Frauending!“

In wenigen Jahren hat sich Yoga von einer esoterischen Mode-Erscheinung voller Vorurteile zu einer vielversprechenden Trainingsmethode – ja, fast schon Therapieform – entwickelt, die vielseitig zum Einsatz kommt. Warum ist Yoga eigentlich auch im Leistungssport unverzichtbar? Darüber berichten unter anderem Colette Altwasser, Sportpsychologin des DLV und Yoga-Lehrerin, sowie die Athletinnen Lisa Mayer und Ricarda Lobe.
Stefanie Naumann

Yoga hat in erster Linie nichts mit asiatischer Gymnastik zu tun, bei der spirituelle Menschen im Kreis sitzen und unter dem Einfluss von Räucherstäbchen fleißig „Ommmm“ vor sich her summen. Und auch wenn sich die Yogapraxis in Deutschland erst in den letzten Jahren einer immer größeren Bekanntheit erfreut, so ist sie eigentlich eine Technik, die vor mehr als 2.000 Jahren in Indien entwickelt wurde, um Körper und Geist in Einklang zu bringen. Ein klarer Geist und ein kräftiger Körper sowie der Weg zu diesem Ziel liegen der Lebensphilosophie des Yoga zugrunde.

Yoga ist dabei so viel mehr als die mit dieser Praxis oft verbundenen Klischees. Das weiß auch Lisa Mayer, eine der besten deutschen Sprinterinnen aus dem Sprintteam Wetzlar: „Gerade bei dem männlichen Geschlecht, das ist so mein Gefühl, ist oft noch verankert, dass das bisschen Yoga so ein Frauending ist. Und das ist eigentlich schade, weil Yoga kein Frauending ist, das ist eigentlich für Jedermann etwas!“

"Perfekte Verbindung von Kopf und Körper"

Besonders für Leistungssportlerinnen und Leistungssportler ist die Lehre geistiger und körperlicher Praktiken eine äußerst sinnvolle Ergänzung zum eigentlichen Training. Sie verbringen viele Stunden diszipliniert auf der Tartanbahn, im Kraftraum oder in der Leichtathletikhalle. Doch oft kommt es durch einseitige Belastungen und antrainierte Bewegungsautomatismen zu einem Verlust der ganzheitlichen Mobilität, Flexibilität und Beweglichkeit. Das Integrieren von regelmäßigen Yogastunden kann dem effektiv entgegenwirken.

„Für mich ist Yoga auch aus sportpsychologischer Sicht einfach die perfekte Verbindung von Kopf und Körper“, erzählt Colette Altwasser, Sportpsychologin des DLV und Yogaverantwortliche des Sportpsychologen-Teams. Für sie stehe dabei ganz klar der mentale Bereich und die Frage im Fokus: „Wie werden meine Athletinnen und Athleten mit dem Yogaangebot mental noch stärker?“

Tagesstruktur mit Yoga-Einheiten etablieren

Die studierte Pädagogin und Psychologin Colette Altwasser war schon oft bei verschiedenen Kadermaßnahmen dabei, zum Beispiel in Kienbaum. Dort bot sie den Athleten neben der mentalen Unterstützung auch regelmäßig Yogaflows an. Seit etwas mehr als einem Jahr hat sich nun ein regelmäßiges Online-Angebot etabliert. Die Corona-Pandemie brachte also in dieser Hinsicht auch positive Entwicklungen mit sich.

Gerade in dieser Zeit sei es unheimlich wichtig gewesen, den Alltag der Athletinnen und Athleten ein wenig abzufangen und ihnen eine Tagesstruktur zurückzugeben. „Einen festen Termin zu haben, war letztes Jahr sehr wichtig. Und das ist super angekommen“, unterstreicht Colette Altwasser und ergänzt: „Die täglichen Yogastunden am Morgen und das Mentaltraining am Abend waren sehr wichtig auch für den Austausch der Athleten!“

Jede Stunde hat bei Colette Altwasser außerdem ein Thema oder ein Tagesmotto, wie zum Beispiel innere Stärke oder die eigenen Erfolge zu feiern. Diese positive Manifestation trägt einerseits zu einem optimalen Start in den Tag oder in die Woche bei. Zum anderen wird so allgemein ein liebevoller und wertschätzender Umgang mit dem eigenen Körper gefördert.

Problem: Unbeweglichkeit

Auch Nachwuchsathletinnen und -athleten haben während der Pandemie die vielen Vorteile regelmäßiger Yogastunden für sich entdeckt, erzählt Jens Hoyer, Landestrainer Sprung am Bundesstützpunkt Chemnitz und Nachwuchsbundestrainer Dreisprung weiblich. Ab November 2020 gab es für die jungen Sportler ein Onlineangebot von Yogalehrerin Barbara Plaza, die unter anderem auch für den Olympiastützpunkt Rheinland tätig ist und bereits seit 2014 mit den Athleten von Bayer 04 Leverkusen regelmäßig Yoga-Einheiten absolviert. Die ehemalige Sportlerin, Trainerin und Dozentin leitete via Videokonferenzen die Teilnehmer durch die Übungen und gab hilfreiche Hinweise für die individuelle Yogapraxis.

Für Jens Hoyer stand klar die Beweglichkeit der Jugendlichen im Mittelpunkt, gerade im männlichen Bereich, denn „acht von zehn Sportler sind definitiv zu unbeweglich“, schätzt er. Das Angebot wurde in den vergangenen Monaten sehr gut angenommen, aber gerade im Nachwuchsbereich hänge noch viel davon ab, wie sehr die Trainer dahinter stehen. Ziel sei es gewesen, dass sich die Sportlerinnen und Sportler schon in jungen Jahren eine gewisse Routine aneignen und diese zukünftig in ihren Trainingsalltag integrieren.

Lohnenswertes Angebot für alle Disziplingruppen

Das Yogaangebot von Colette Altwasser hatte bereits vor der Corona-Krise mit der Unterstützung im Hürden- und Sprintbereich begonnen. Inzwischen nutzen ganz verschiedene Disziplingruppen der Leichtathletik dieses Angebot, so zum Beispiel auch Langstreckenläufer. Sie profitieren besonders davon, wenn es um bestimmte Übungen für mehr Offenheit im Brustkorb geht, die ihnen dabei helfen, dass sie tiefer atmen können.

Dabei ist die Wahl der richtigen Yogahaltungen oder auch Asanas weniger abhängig von der Disziplin – Sprint, Wurf, oder Lauf – als viel mehr von den persönlichen Vorlieben und Bedürfnissen der Athletinnen und Athleten. Und das Wichtigste: „Es geht da nicht um Wettkampf oder darum, wie es aussieht oder wer in die schönste Pose kommt. Sondern darum, wie es sich anfühlt. Das ist superwichtig“, sagt Colette Altwasser mit ihrer Erfahrung aus mehr als 400 Yogastunden im vergangenen Jahr.

Besseres Körpergefühl entwickeln

Man könne sehen, dass sich mit der Teilnahme an den Yogaeinheiten das Körpergefühl und die mentale Ausrichtung der Athletinnen und Athleten verbessert hat. Dazu zählt auch das "in sich selbst Hineinspüren" – die Athletinnen und Athleten lernen so zu erkennen, was sie wirklich brauchen und nicht nur das zu tun, was der Trainingsplan vorgibt.

Auch Lisa Mayer gehört zu Colette Altwassers Yogis der ersten Stunde und war zu Beginn des Angebots täglich dabei. Inzwischen integriert sie Yoga als festen Bestandteil ca. zwei Mal pro Woche in ihren Alltag, weil sie merkt, wie gut es ihr tut: „Ich spüre das vor allem, wenn wir am vorangegangenen Tag eine intensive Sprinteinheit hatten. Mit einer Stunde Yoga bekomme ich dann alles wieder geschmeidig“, erzählt sie und fügt hinzu: „Mir hilft es unglaublich dabei, etwas flexibler zu werden. Ich habe im letzten Jahr definitiv ein besseres Körpergefühl entwickeln können, weil man regelmäßig nochmal tiefer in sich hinein spürt und sich damit auseinandersetzt“.

„Stretch and Relax“ mit Fokus

Für die Geschmeidigkeit des Körpers bietet Colette Altwasser gern „Stretch and Relax“-Einheiten an. Dies können zum Beispiel verschiedene Asanas aus dem Yin Yoga sein, bei dem die Entspannung und das Herunterfahren der beanspruchten Systeme im Vordergrund stehen. „Das lieben die Athleten total, weil das im Training definitiv zu kurz kommt“, erklärt sie.

Dabei geht es gar nicht ausschließlich um das reine Dehnen, wofür sich manche Sportlerinnen und Sportler hin und wieder ein wenig aufraffen müssen. „Yoga ist hochkonzentrativ mit sehr viel Fokus und Aufmerksamkeit. Du musst völlig dabei sein, sonst bist du raus oder fällst um. Das brauchen die Athleten – dieses ganz bei sich sein, ihre Kräfte zu bündeln und einen Tunnelblick entwickeln zu können“, hebt Colette Altwasser hervor.

Die mentale Stärke wird dadurch enorm geschult, weil man für 60 Minuten nur bei sich ist und sich auf eine Sache fokussiert. Es kann helfen die eigenen Gedanken zu sortieren und Konzentrationsmangel vorzubeugen, der sonst zu einem erhöhten Verletzungsrisiko im Training beitragen kann.

Yoga kann auch bei Heilungsprozessen unterstützend sein

Die Inhalte der „Stretch and Relax“-Stunden triggern den Parasympathikus, der für das Entspannungssystem verantwortlich ist, und das kann langfristig auch bei bestimmten Heilungsprozessen helfen. Davon könnten besonders Sportlerinnen und Sportler profitieren, die eigentlich ständig unter Spannung stehen, welche sich kontraproduktiv auf die Heilung auswirken kann. Auch bei Muskelkater kann Yoga zur Linderung eingesetzt werden, weil die unterschiedlichen Übungen den Stoffwechsel anregen und so die Blut- und Lymphzirkulation verbessern können.

Einen weiteren Vorteil, den die regelmäßigen Yogastunden mit sich bringen, hebt Ricarda Lobe, Hürdensprinterin von der MTG Mannheim, hervor: „Vor allem ein bis zwei Stunden vor dem eigentlichen Training praktiziere ich es als eine Art erste Aktivierung für den Körper, sodass ich dann einfach mit einer anderen Basis ins Training starte. Gerade bei Einheiten am Vormittag ist es so, dass man noch ein bisschen steif ist, und da hilft so eine Yogaeinheit morgens. Sie ist unheimlich viel wert, weil man einfach viel besser vorbereitet ins Training geht“, erklärt die 27-Jährige.

Für die Zukunft würde sie sich wünschen, dass das Yogaangebot während der Trainingslehrgänge auch weiterhin bestehen bleibt. „Das wäre einfach ein Mehrwert für alle, wenn das weiter genutzt werden kann! Das sind Sachen, die wir Sportler sehr, sehr gern annehmen, weil das eine super Form von Regeneration ist“, sagt sie, und außerdem: „Nur so kann dann im Anschluss eine Eigeninitiative entstehen, auch bei Athletinnen und Athleten, die Yoga bisher vielleicht noch ein bisschen unterschätzen.“

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