| World Athletics Relays

Staffel-Schachspiel für den Traum von Olympia

Für sechs deutsche Staffeln steht am Wochenende bei den World Athletics Relays in Chorzów (Polen) die erste internationale Standort-Bestimmung im Olympia-Sommer bevor. Mehr noch: Vier von ihnen wollen dort die Olympia-Qualifikation perfekt machen. Die Überlegungen für die erfolgversprechendsten Staffel-Besetzungen glichen einem Schachspiel – jetzt steht der Plan für die „Road to Tokyo“.
Silke Bernhart

Die Ausgangssituation der deutschen Staffeln vor den World Athletics Relays ist einfach und zugleich komplex. Sechs DLV-Staffeln gehen an den Start, vier davon in den olympischen Wettbewerben über 4x100 Meter der Männer sowie über 4x400 Meter der Männer, Frauen und im Mixed. Diese wollen sich in Chorzów (Polen) für den Olympia-Start in Tokio qualifizieren.

Wie das gelingen kann? Acht Startplätze für die Staffel-Wettbewerbe haben sich bereits die Top Acht der WM in Doha (Katar) geschnappt – darunter auch die DLV-Sprinterinnen, die ihren Start bei den World Relays zuletzt zurückzogen (wir berichteten). Weitere acht Startplätze stehen nun für die acht besten Staffeln der Meisterschaften in Polen zur Verfügung.

So weit, so gut. Doch: Sollten Nationen aus den Top Acht der WA Relays bereits über die WM qualifiziert sein, werden die verbliebenen Startplätze erst später in der Saison mit den nicht qualifizierten Nationen aufgefüllt, die bis zum 29. Juni die besten Zeiten aufweisen können. Und: Neben den Tickets nach Tokio locken in Chorzów auch die Startplätze für die WM 2022 in Eugene, Oregon (USA) – je zehn in den klassischen Staffeln über 4x100 und 4x400 Meter der Männer und Frauen und zwölf in der Mixed Staffel über 4x400 Meter.

Tests auf Gran Canaria und in Kienbaum

Die deutschen Sprinter rennen am Samstag um 20:39 Uhr um den Einzug ins Finale über 4x100 Meter – was 2019 bei der WM in Doha mit Platz sieben im Vorlauf noch nicht gelungen war. Damals waren jedoch Nationen wie die USA, Jamaika oder Kanada vor ihnen, die bei den World Relays nicht an den Start gehen werden. „Das dürfte es für uns etwas einfacher machen“, sagt der Leitende Bundestrainer Sprint/Staffeln Ronald Stein. Aber: „Andererseits wird’s dann, wenn es in Polen nicht klappt, über die Zeit umso schwieriger.“

Gute Staffel-Einheiten im Trainingslager auf Gran Canaria sowie zuletzt in Kienbaum sorgen für Optimismus: „Alle sind gesund, alle sind einsatzfähig und alle haben gut trainiert“, sagt Ronald Stein über die sechs nominierten Athleten, die vom Deutschen Rekordler Julian Reus (Top Team Thüringen) und vom Deutschen Meister Deniz Almas (VfL Wolfsburg) angeführt werden.

Über die nicht-olympischen 4x200 Meter sollen darüber hinaus auch einige Talente internationale Erfahrungen sammeln. Hier geht es ohne Vorlauf direkt ins Finale. „Da haben wir noch mal die Wechsel trainiert und werden uns vor Ort auch die Wechselzonen noch mal genauer ansehen – das ist ja doch was Anderes als die bekannten 4x100 Meter“, erklärt der Bundestrainer. „Das sieht aber alles schon sehr ordentlich aus, die Jungs können ein gutes Ergebnis erzielen.“

Staffel-Besetzung als Schachspiel

Die Besetzung der drei 400-Meter-Staffeln stellt die Bundestrainer dagegen vor eine Aufgabe, die einem Schachspiel gleicht. Es gilt, mit den zur Verfügung stehenden Athletinnen und Athleten unter Berücksichtigung der Ausgangslage die erfolgversprechendsten Staffel-Konstellationen festzulegen: Welche Nationen sind schon qualifiziert? Wer hat für die World Relays gemeldet? Welche Strategie verfolgen die Gegner? Und wie stehen die Chancen, auch ohne Top Acht-Platzierung später noch über die Zeit das Ticket nach Tokio zu lösen?

„Wir saßen im Trainerteam in den vergangenen Tagen mehrfach zusammen, um Chancen abzuwägen und Lösungen für die Qualifikationsproblematik der 4x400 Meter Staffeln zu entwickeln“, berichtet Edgar Eisenkolb, 400-Meter-Bundestrainer der Männer. Erschwert wurden die Überlegungen dadurch, dass nicht alle Starterinnen der Hallen-EM einsatzbereit sind, die Mannheimerin Hannah Mergenthaler rückte ins Team. Darüber hinaus finden alle Vorläufe der Staffeln innerhalb von kaum zweieinhalb Stunden statt – Doppelstarts sind daher ausgeschlossen.

Gebündelte Kräfte für den Finalplatz

Die Hoffnung, alle 4x400 Meter Staffeln nach Tokio zu bringen, bestimmte die Entscheidung, in Chorzów die Kräfte zunächst in den klassischen Wettbewerben der Männer und Frauen zu bündeln. Die schwerste Aufgabe kommt dabei den 400-Meter-Sprintern zu, die über die Weltrangliste und die Zeit kaum eine Chance haben dürften auf einen Olympia-Startplatz. Es muss also mit vereinten Kräften das Finale bei den WA Relays her: „Die Athleten wollen in bester Besetzung die Chance nutzen sich zu qualifizieren“, sagt Edgar Eisenkolb.

Knapp einen Platz in den Top 16 der Welt nehmen derzeit im Qualifikationszeitraum die 400-Meter-Sprinterinnen ein – mit 3:30,32 Minuten von den vergangenen World Relays in Yokohama (Japan), was Platz elf im Vorlauf bedeutet hatte. Unter anderem mit Shooting-Star Corinna Schwab (LAC Erdgas Chemnitz) in seinen Reihen konnte das Quartett zuletzt bei der Hallen-EM mit einer Hallenzeit von 3:31,47 Minuten noch einmal ein gesteigertes Niveau unter Beweis stellen.

Strategie mit Hintertürchen

Dennoch ist in Chorzów bei angekündigtem Dauerregen und kühlen Temperaturen weniger eine Verbesserung der Zeit von Yokohama als vielmehr der Platz in den Top Acht das Ziel. „Die Mädels, die dabei sind, sind fit und haben das drauf“, versichert Bundestrainer Jörg Möckel. „Mit den Top Acht wollen sie sich den Olympia-Traum erfüllen. Damit würde sich auch der weitere Saisonverlauf deutlich leichter gestalten.“

Wenn rund zwei Stunden später die 4x400 Mixed Staffeln ihre Vorläufe bestreiten, müssen sie sich in einem großen Feld mit 22 Nationen behaupten. Keine leichte Aufgabe, aber in doppelter Hinsicht eine lohnenswerte, denn auch Platz zwölf würde schon einen wichtigen Schritt markieren: den zur WM 2022 in Eugene. Bei einem verpassten Finale könnte das Last-Minute-Ticket nach Tokio für die DLV-Staffel auch noch später in der Saison mit einem schnellen Rennen Wirklichkeit werden – wenn in Chorzów Plätze frei bleiben. Platz zwölf der Welt im aktuellen Qualifikations-Ranking deutet an, was über die Zeit möglich ist.

Premiere für die Hürden-Staffel

Diese Rechenspiele brauchen die Hürdensprinterinnen und -sprinter nicht zu machen. Dafür wartet eine ganz neue Rennsituation auf sie: In der Mixed-Pendelstaffel über 4x110 Meter Hürden geht es auf der Sprintgeraden hin und her. Den 1,22 Meter großen Wechselraum kennzeichnet ein Hütchen, die Frauen sprinten in Richtung Start und zehn Meter weiter als gewohnt, die Männer in Richtung Ziellinie. In einem überschaubaren Feld mit Konkurrenz aus Kenia und Polen könnte das deutsche Team mit Spaß, neuen Erfahrungen und einem Erfolg in den Olympia-Sommer starten.

"Wir freuen uns, dass wir trotz der schwierigen Rahmenbedingungen die Chance erhalten, uns als erste deutsche Staffel in diesem Format zu präsentieren", blickt der Hürden-Bundestrainer der Männer Alexander John voraus. "Die Wechsel haben wir das erste Mal in Kienbaum getestet, ich muss sagen, es haben sich alle extrem gut angestellt. Alle haben Spaß an der neuen Erfahrung, auch im Team, in dem sie viel mehr als sonst über die Hürden zwischen Risiko und Sicherheit abwägen müssen."

Um Athletinnen und Athleten sowie den Betreuerteams angesichts hoher Corona-Infektionszahlen maximalen Schutz zu garantieren, wurden im Vergleich zur Hallen-EM sowohl die Sicherheitsmaßnahmen der Veranstalter als auch die des deutschen Teams noch einmal intensiviert. Alle deutschen Teammitglieder sind in Einzelzimmern untergebracht, die Anreise folgt in zwei großen Reisebussen mit ausreichend Abstand zwischen den Reisenden, der Aufenthalt in Polen wird auf ein Minimum reduziert und vor Ort gelten umfassende Hygiene-Maßnahmen.

Ein Livestream der World Athletics Relays ist auf dem YouTube-Kanal von World Athletics angekündigt.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024