| Interview der Woche

Sophia Junk: „Meine körperliche Grenze ist auf beiden Strecken noch nicht erreicht"

11,30 und 23,03 Sekunden. Das waren am vergangenen Wochenende die Zeiten von Sophia Junk (LG Rhein-Wied) bei den 78. Deutschen U23-Meisterschaften in Koblenz. Damit holte die 22-Jährige zweimal Gold in ihrer Heimat. Im Interview der Woche spricht die vierfache Medaillengewinnerin bei internationalen Meisterschaften über ihre Ambitionen bei der U23-EM in Tallinn (Estland; 8. bis 11. Juli), die besondere Beziehung zu ihrem Trainer und wie sie auf ihrem Weg in die nationale Spitze große Rückschläge wegsteckt hat.
Michael Wiener

Sophia Junk, herzlichen Glückwunsch zum Doppelsieg! War es das perfekte Wochenende für Sie?

Sophia Junk:

Ich habe zweimal Gold geholt und zwei neue Bestzeiten aufgestellt, mehr geht nicht! Von daher bin ich sehr zufrieden. Jeder Titel ist sehr wertvoll. Gerne wäre ich aber ein bisschen schneller gelaufen, insbesondere über die 200 Meter. Der starke Gegenwind hat dies verhindert. Insgesamt bin ich sehr zufrieden, weil Bestzeiten bei Meisterschaften nicht selbstverständlich sind. Dort geht es ja in erster Linie um den Titel.

Sie haben nach dem Zieleinlauf über 200 Meter etwas ungläubig Richtung Anzeigetafel geschaut. Warum?

Sophia Junk:

Ich war überrascht über die Bestzeit. Es war ein positives Erschrockensein, auch wenn ich mit der Bestzeit geliebäugelt habe.

Sie hatten im Vorhinein überlegt, auf die 100 Meter zu verzichten. Warum haben Sie sich anders entschieden?

Sophia Junk:

In Tallinn steht nächste Woche der Saisonhöhepunkt an. Dort möchte ich über 200 Meter und in der Staffel an den Start gehen. Im besten Fall habe ich dort fünf Rennen binnen weniger Tage. Das muss geübt sein. Daher der Doppelstart in Koblenz.

Warum laufen Sie die 200 Meter lieber als die 100?

Sophia Junk:

Es macht enorm viel Spaß, durch die Kurve zu laufen, auch wenn es doppelt so anstrengend ist. Aus irgendwelchen Gründen kann ich das auch ganz gut (lacht). Dieser Übergang von der Kurve auf die Gerade, diese Beschleunigung, diese Fliehkraft – das ist einfach ein cooles Gefühl. Mein Trainer sagt immer: Wer über 200 Meter schnell sein will, muss auch über 100 Meter schnell sein. Deswegen bin ich oft über beide Strecken dabei. Mit den 200 Metern bin ich groß geworden. Da war ich direkt beim ersten Mal gut, das hat Motivation gegeben.

In der europäischen Bestenliste stehen Sie über 100 und 200 Meter weit vorne, außerdem gehört die deutsche Staffel zum engsten Favoritenkreis. Das könnte doch Erinnerungen wecken an Rebekka Haase, die 2015 ebenso in Tallinn bei der U23-EM dreimal Gold gewann …

Sophia Junk:

Ja, durchaus. Für mich ist es aber sinnvoller, mich nur auf eine Einzelstrecke zu konzentrieren. Im besten Fall stehen fünf qualitativ sehr hochwertige Rennen vor mir. Das ist mental und körperlich sehr anstrengend. Mit der Staffel haben wir außerdem ein großes Ziel, und dafür sollte ich noch frisch sein. Drei Disziplinen traue ich mir nicht zu, weil mir die Erfahrung dazu fehlt.

Sie sprechen Ihre Ziele für die EM an. Wie sehen diese konkret aus?

Sophia Junk:

Die zwei Titel von Koblenz geben natürlich Rückenwind, die Form ist da. Jetzt gilt es, mit vollem Akku nach Tallinn zu fahren und sich auf das schöne Gefühl zu freuen, im Nationaltrikot zu starten. Über 200 Meter möchte ich natürlich ins Finale kommen, und dann kämpfen alle um die Medaillen. Eine gute Tagesform und ein lockerer Kopf werden entscheidend sein. Und natürlich sind die 23 Sekunden eine Schallmauer, die ich brechen möchte. Mit besseren Windverhältnissen als in Koblenz ist das sicher möglich. Mit der Staffel möchten wir ganz klar unseren Titel von 2019 verteidigen.

Mit ihren bereits erzielten 200-Meter-Zeiten haben Sie den Rheinland-Rekord von 1982 schon mehrfach verbessert. Was bedeutet es Ihnen, solche Rekorde zu knacken?

Sophia Junk:

Es ist faszinierend, wie lange manche Rekorde Bestand haben. Es ehrt mich, wenn ich sie dann brechen kann. Mein Trainer hält mich immer auf dem Laufenden, welcher Rekord gerade möglich ist (lacht).

Sie sprechen Martin Schmitz an, der bei der LG Rhein-Wied auch als Geschäftsführer tätig und ein Motor der Leichtathletik in der Region ist. Wie läuft Ihre Zusammenarbeit?

Sophia Junk:

Sehr gut, die Zusammenarbeit ist sehr eng. Das geht über das normale Trainer-Athleten-Dasein hinaus. Wir sind immer ehrlich und offen zueinander, reden über alles. Das macht uns aus. Martin ist immer nah dran und sehr bemüht, das Beste rauszuholen. Er engagiert sich neben seinem Beruf ungemein viel im Ehrenamt und opfert viel Zeit für die Leichtathletik und für mich. Beispielsweise hatten wir diesen Winter keine Halle, da sind wir zwei-, dreimal die Woche nach Frankfurt gefahren. Dafür muss er private Zeit hergeben. Ich schätze an ihm, dass er sich so reinhängt. Seit 2015 sind wir ein Dream-Team, alle Erfolge habe ich ihm zu verdanken. Meine Leistungen sprechen für Martin und unsere Zusammenarbeit.

Dabei ist die Geschichte keine schöne, warum Sie 2015 bei ihm gelandet sind.

Sophia Junk:

Ja. Mein ehemaliger Trainer hatte einen tragischen Unfall. Dann bin ich in den Landeskader von Martin gekommen. Er hat versucht, für mich eine Perspektive zu schaffen. Die einzige Option war für mich ein Wechsel zur LG Rhein-Wied.

Das bedeutete für Sie auch ein Umzug im noch jungen Alter.

Sophia Junk:

Ich bin mit 16 Jahren nach Koblenz gezogen und dort auf das Internat gegangen. Das war nicht einfach, weil ich noch keine Ahnung vom Leben hatte (lacht). Meine Eltern haben mir sehr viel Vertrauen geschenkt. Insgesamt hat das gut funktioniert, auch dank Martin und dem Internatsleiter, der uns unter seine Fittiche genommen hat. Diese Zeit hat mich total schnell erwachsen werden lassen. Es war der einzige mögliche Weg – und der richtige. Und die Strecke von Trier nach Koblenz ist auch keine Weltreise, ich bin schnell wieder zuhause. Ich fühle mich sehr wohl in Koblenz, wo ich wohne, und bei der LG Rhein-Wied. Ich bekomme beste Unterstützung. Durch die gerade fertiggestellte Leichtathletik-Halle in Neuwied haben wir auch wieder deutlich bessere Trainingsbedingungen. Auch hier war Martin übrigens die treibende Kraft, dass das realisiert wurde.

Privat hatten Sie in jungen Jahren auch einen großen Schicksalsschlag zu verkraften [Anm. d. Red.: Sophia Junks Vater starb 2015 überraschend und plötzlich]. Sie haben mal gesagt, dass der Sport Ihnen immer Halt gegeben hat. Wie haben Sie das gemeint, welche Rolle spielt der Sport für Sie?

Sophia Junk:

Im Sport habe ich immer Ziele. Diese kann man nur erreichen, wenn man täglich trainiert. Das ist eine Konstante im Leben, die nie wegbricht. Die Trainingsgruppe steht hinter einem, die Vereins- und Trainingskollegen, die Freunde und der Trainer halten einen über Wasser. Sie helfen, dass diese Schicksalsschläge für ein paar Stunden in den Hintergrund rücken. Diese Konstanz muss sein, um die Ziele zu erreichen. Und so gibt der Sport Halt im Leben.

Ihr Motto ist: Du kennst deine Grenze erst, wenn du darüber hinaus gewachsen bist. Können Sie uns das erklären?

Sophia Junk:

Ich möchte immer weiter kommen. Daher sage ich: Das Ziel ist das Ziel nach dem Ziel. Jetzt habe ich eine Bestzeit über 200 Meter erreicht. Das nächste Ziel ist, unter 23 Sekunden zu laufen. Ist das abgehakt, wird das nächste Ziel ausgerufen. Das macht den Sport aus. Es ist nie zu Ende. Jeden Tag, in jedem Training, in jedem Wettkampf möchte ich über mich hinauswachsen, um zu schauen, wo die körperliche Grenze ist. Ich glaube, dass ich sie über beide Strecken noch nicht erreicht habe. Ich bin auf dem richtigen Weg und sehr gespannt, wo es noch hingeht.

Halt im Leben gibt Ihnen sicherlich auch Ihre berufliche Situation. Wie bringen Sie das mit dem Leistungssport unter einen Hut?

Sophia Junk:

Seit September 2018 bin ich in der Sportfördergruppe der Landespolizei Rheinland-Pfalz und bin Polizeikommissar-Anwärterin. Das Studium kann ich von drei auf viereinhalb Jahre strecken. Damit sind Trainingslager und andere Fehlzeiten aufgrund des Leistungssports möglich. Wir erhalten eine optimale Förderung, die auf Sportler ausgelegt ist. Neben dem Sport möchte ich die berufliche Laufbahn nicht aus den Augen lassen und bei beidem voll dahinter sein. Die Arbeit bei der Polizei macht mir wahnsinnig viel Spaß. Das ist ein Beruf, in dem ich später voll aufgehen werde und der sehr viel zu bieten hat. Zudem ist die finanzielle Absicherung für mich gegeben. Das ist für Sportler sehr wichtig, das haben wir gerade in Coronazeiten gemerkt. Man weiß: Egal, was kommt, man hat einen Arbeitgeber und wird besoldet. So kann ich den Sport im Kopf freier gestalten. Dadurch fühle ich mich sehr wohl bei der Polizei und im Leistungssport, was der Grundstein dafür ist, diese Leistungen zu bringen.

Im Video:
200 Meter: Doppelpack – Auf 100-Meter-Titel folgt 200-Meter-Gold
100 Meter: Sophia Junk spurtet in eigener Dimension

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