| Interview der Woche

U23-Doppel-Europameisterin Lilly Kaden: „Bei der Hymne habe ich geweint“

Mit zwei Goldmedaillen plus einer 100-Meter-Bestzeit von 11,28 Sekunden und einem neuen Meisterschaftsrekord über 4x100 Meter (43,05 sec) ist Sprinterin Lilly Kaden mit einem nie erwarteten Ergebnis von der U23-EM zurückgekehrt. Im Interview spricht die 19 Jahre alte Sprinterin von der LG Olympia Dortmund über ihre überraschenden Erfolge in Tallinn, die emotionale Siegerehrung und ein schreckhaftes Pferd.
Martin Neumann

Lilly Kaden, herzlichen Glückwunsch zu Doppel-Gold bei der U23-EM in Tallinn über 100 Meter und mit der 4x100-Meter-Staffel.

Lilly Kaden:

Dankeschön!

Was hätten Sie Leuten vor der U23-EM entgegnet, die gesagt hätten, dass Sie in Tallinn den Titel über die prestigeträchtigen 100 Meter gewinnen würden?

Lilly Kaden:

Wahrscheinlich hätte ich gesagt, dass sie mal den Ball flach halten sollen. Das Finale war mein Ziel, dann müsse man weiter sehen.

Und wie hätte sich Ihre Einstellung dazu nach der Halbfinal-Bestzeit von 11,28 Sekunden geändert?

Lilly Kaden:

Da habe ich ordentlich Selbstbewusstsein getankt (lacht). Es war ein toller Lauf mit einem richtig guten Start. Ich wusste: Wenn ich das im Finale noch einmal hinkriege, dann müssen die anderen gucken. Es war eine gute und wichtige Etappe, denn da wusste ich, was ich drauf habe.

Wie haben Sie das Finale erlebt, wann wussten Sie, dass Sie das Rennen gewinnen würden?

Lilly Kaden:

In einem schnellen Rennen denkt man wenig nach. Aber ich habe schon beim Start gemerkt, dass ich gut dabei bin. Generell verfüge ich über eine sehr hohe Endgeschwindigkeit und kann das Tempo lange halten. Da wird’s für die Konkurrenz schwer. Ich dachte mir im Ziel, dass ich vorn war, obwohl ich die Britin noch in den Augenwinkeln gesehen habe.

Waren Sie eigentlich nervös vor der EM, schließlich war es Ihre erste internationale Meisterschaft überhaupt?

Lilly Kaden:

Wahrscheinlich war ich deswegen gerade nicht aufgeregt, denn die EM war ein Bonus für mich. Nervös war ich vor der U23-DM in Koblenz, denn da war der Druck da. Schließlich musste ich dort unter die ersten Drei laufen, um den Einzelstart für Tallinn perfekt zu machen.

Zum Anfang der Saison im Mai hatte noch nicht viel auf eine 100-Meter-Medaille bei der EM hingedeutet. Sie sind mit 11,60er-Zeiten eingestiegen. Wie erklären Sie sich die deutliche Steigerung?

Lilly Kaden:

Ich war nicht happy mit dem Einstieg, aber auch nicht unzufrieden. Ich brauche generell einige Wettkämpfe, um in die Saison reinzukommen. Das hat in den vergangenen Monaten super geklappt. Ich vertraue da voll und ganz meinen Trainern und wusste, dass die Form kommt.

Auf das 100-Meter-Finale am Freitag folgte am Samstagmittag dann der emotionale Höhepunkt mit der Siegerehrung. Wie haben Sie die Minuten mit Zeremonie und Hymne erlebt?

Lilly Kaden:

Ich bin generell nicht so ein emotionaler Mensch. Aber es war total schön. Ich wollte bei der Hymne mitsingen, habe aber keinen Ton rausgebracht. Ich habe auch einige Tränen vergossen, schließlich weiß ich nicht, ob irgendwann noch einmal die Hymne für mich gespielt wird.

Wurde sie dann aber schon am Tag darauf noch einmal. Welche Bedeutung hat der Sieg mit der 4x100-Meter-Staffel am Sonntag für Sie?

Lilly Kaden:

Mir bedeutet der Titel mit der Staffel mindestens genauso viel wie der im Einzel. Er war zwar vielleicht nicht so überraschend, aber dafür eine großartige Teamleistung. Wir sind in dieser Zeit unfassbar zusammengewachsen und haben das als Team gemeinsam erreicht.

Jetzt sind Sie in Tallinn zweimal zu Gold gelaufen. Dabei ging die Saisonvorbereitung gar nicht gut los. Im Herbst 2020 wurden Sie von einem Reit-Unfall ausgebremst. Wie ist das passiert?

Lilly Kaden:

Ich bin im Oktober ein schreckhaftes Pferd geritten, das ich nicht kannte. Das Pferd hat sich dann tatsächlich erschrocken und ist durchgegangen. Darum bin ich abgesprungen und aus etwa 1,70 Metern Höhe unglücklich auf dem Ellenbogen gelandet. Dabei ist ein Stück Knochen abgesplittert, das bei einer OP wieder verschraubt wurde. Im April folgte die zweite OP, da wurde die Schraube wieder entfernt.

Sie sind nicht die erste Goldmedaillengewinnerin der LG Olympia Dortmund bei U23-Europameisterschaften über 100 Meter. 2001 in Amsterdam – 55 Tage vor Ihrer Geburt – stand ebenfalls eine LGO-Sprinterin ganz oben auf dem Podest …

Lilly Kaden:

… ich komme gerade nicht drauf.

Sina Schielke.

Lilly Kaden:

Klar, das stimmt. Aber da ich gebürtig nicht aus dem Ruhrgebiet komme, sondern aus der Nähe von Stuttgart, möge man mir das bitte verzeihen. Außerdem war ihr Sieg – wie Sie richtig sagen – noch vor meiner Geburt.

Orientieren Sie sich denn an früheren oder aktuell aktiven Top-Läuferinnen?

Lilly Kaden:

Direkte Vorbilder habe ich nicht. Aber ich schaue mir natürlich die anderen Top-Läuferinnen an. Alexandra Burghardt ist gerade total stark in Form. Oder als Gina Lückenkemper erstmals unter elf Sekunden gelaufen ist, hatte ich mein Halbfinale bei der Jugend-DM. Solche Leistungen schaut man sich natürlich an. Aber wir schauen uns nichts ab. Meine Coaches wissen, was bei mir im Training funktioniert.

Mit 19 Jahren zählen Sie noch zum jüngsten U23-Jahrgang und haben in Tallinn nun den nächsten Leistungssprung hingelegt. Wie sehen Ihre Ziele für die kommenden Jahre aus?

Lilly Kaden:

Ich möchte gesund bleiben und konstant schneller werden, obwohl das natürlich Jahr für Jahr schwieriger wird. Außerdem habe ich in zwei Jahren noch einmal die Chance, bei der U23-EM um die Medaillen zu laufen.

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