| Karriereende

Martin Grau sagt leise Servus

Ein Jahrzehnt Profi-Leistungssport liegt hinter Martin Grau, in dem er den Hindernislauf prägte. Nach der verpassten Olympia-Qualifikation 2016 schlug er einen neuen Weg ein, wechselte zum Hindernis-Bundestrainer Enrico Aßmus nach Erfurt. Die fleißige wie harte Arbeit wurde in diesem Jahr nicht belohnt. Das i-Tüpfelchen seiner Sportlerlaufbahn blieb ihm erneut verwehrt: die Olympia-Qualifikation. Nun sagt Martin Grau leise Servus. In Hamburg wagt er einen Neustart – als dualer Student der Angewandten Informatik.
Sandra Arm

Das LC Top Team Thüringen erlebt den nächsten Abschied: Nach Sprinter Julian Reus beendet nun auch Hindernisläufer Martin Grau seine Karriere und geht von Bord. Als Kapitän der Erfurter Trainingsgruppe um Hindernis-Bundestrainer Enrico Aßmus wie seinen Trainingspartnern Tim Stegemann und Patrick Karl (TV Ochsenfurt). Dieser Tage hat er sich von ihnen verabschiedet. Ihr gemeinsamer Weg begann vor vier Jahren. Damals nach seiner ersten verpassten Olympia-Qualifikation für Rio (2016) entschied sich Martin Grau bewusst für diesen Schritt. Er brauchte und wollte die Veränderung.

Er verließ seine fränkische Heimat, seinen Verein in Höchstadt. Er kam nach Erfurt. Zu Hindernis-Bundestrainer Enrico Aßmus. Er versprach sich neue Impulse, neue Reize auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio (Japan). Diesem Ziel war alles untergeordnet. Daran änderte auch die Verlegung der Spiele aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr nichts. „Ich hatte in Erfurt ein super Umfeld, da hat wirklich alles gepasst. Man hätte keine bessere Vorbereitung für die Olympischen Spiele haben können. Der Olympiastützpunkt Thüringen hat uns Athleten die Möglichkeit geschaffen, gut trainieren zu können“, sagt Martin Grau.

Training auf Augenhöhe

Gedreht wurde in der Vorbereitung an zwei, drei kleinen Stellschrauben. Auf den Wunsch von Martin Grau wurde ein wenig spezielle Kraft ins Trainingsprogramm aufgenommen. Die GA2-Dauerläufe wurden zu Tempowechselläufen. Das verlief auf einer sehr vernünftigen Geschwindigkeitsebene, alles in Absprache mit dem Institut für angewandte Trainingswissenschaften (IAT) in Leipzig. „Wir haben alles im Team gemacht – Martin habe ich in allem voll mitgenommen, alles geschah auf Augenhöhe“, sagt Enrico Aßmus. Die Rädchen griffen nicht. „Der Körper hat die kleinen Veränderungen nicht wirksam umgesetzt.“

Hinzu kam die Corona-Schutzimpfung direkt nach dem Saisonauftakt in Ostrava (Tschechische Republik). Er hatte zwei, drei Tage körperlich zu kämpfen. „In der Wettkampfphase war das einfach nicht optimal. Rein sportlich wäre Februar oder März die beste Zeit für eine Impfung gewesen“, meint Martin Grau. Nach Ostrava (8:34,25 min) setzte die erhoffte Steigerung in Richtung Olympia-Norm nicht ein. Der Hindernisläufer kam einfach nicht ins Rollen. „Ich habe gemerkt, dass mein Körper immer träger und müder wird.“ Ein herber Rückschlag für den 29-Jährigen, dem der DM-Start in Braunschweig einen weiteren „Nackenschlag“ versetzte. Er blieb als Siebter erstmals nach sieben Jahren ohne Medaille.

Nicht alle Puzzleteile passten

Ein stiller Moment, ein emotionaler Moment – es flossen Tränen, aus Enttäuschung, Wut und Verzweiflung. Die nationale Konkurrenz war ihm enteilt. Er haderte, er kämpfte – mit sich und seiner Form. Noch ein Versuch, er startete in Nizza. Der nächste Rückschlag: 8:48,75 Minuten. „Ich war einfach nur schockiert, erstaunt und überrascht über mich und meine Leistung. Nach Nizza habe ich mir Gedanken gemacht, in mich reingehört, dass es keinen Sinn mehr macht, der Norm hinterher zu jagen“, sagt Martin Grau, der in Rücksprache mit seinem Trainer die Saison beendete. Ebenso wie dann Ende Juni seine Laufbahn als Leistungssportler.

Dieser Schritt kam nicht unvermittelt. Er war ein langer Prozess, gut durchdacht und vorbereitet. Das Olympia-Jahr sollte definitiv sein letztes werden. Natürlich mit einem Erfolgserlebnis. So war der Plan. Es kam anders. „Ich habe die Olympischen Spiele 2020 für mich als Ziel gesehen. Darauf lag der Fokus. Es ist natürlich ein sehr bitteres Gefühl, ich hatte gute Chancen mich dafür zu qualifizieren. Es haben schlussendlich nicht alle Puzzleteile zusammengepasst“, blickt Martin Grau auf diesen schweren sportlichen Moment zurück.

Deutscher Meistertitel

Selbst als klar war, dass sich die Spiele durch die Corona-Pandemie um ein Jahr verschieben, gab es keinen Grund dieses Ziel aus den Augen zu verlieren. Aber diese zwölf Monate hinterließen ihre Spuren. Tiefe Spuren. „Das zusätzliche Jahr hat mir unheimlich viel Kraft gekostet. Einen dritten Anlauf (Anmerk. Paris 2024) macht für mich keinen Sinn. Der Leistungssport kostet Kraft – körperlich wie mental. Ich merke, dass ich keine drei Jahre mehr durchstehen würde“, offenbart der zweifache deutsche Hindernis-Meister.  

Rückblickend hat ihn die Zeit persönlich wie menschlich geprägt. „Ich habe viele spannende Persönlichkeiten wie unterschiedliche Berufsgruppen kennenlernen dürfen.“ Was bleibt sind die Begegnungen, die Freundschaften und die wunderbaren Augenblicke. Das sind beispielsweise die Deutschen Meisterschaften in Nürnberg, die in ihm schöne Erinnerungen wecken. Krönte er sich doch vor Familie und Freunden im Max-Morlock-Stadion 2015 und 2018 jeweils zum Deutschen Meister.

Gold bei der Universiade

Dazu der internationale Titel bei der Universiade in Gwangju (Südkorea; 2015). In diesem Rennen überkam ihn ein Gefühl von Leichtigkeit. „Das Stadion war leer, es regnete – ich bin damals eine Zeit von 8:32 Minuten gerannt. Ich habe in dem Rennen nie gemerkt, dass es schwer wird. Es lief fast spielerisch, ich habe keinen Moment an mir gezweifelt“, blickt Martin Grau zurück. Die Goldmedaille hängt im Schrank – eine schöne wie bleibende Erinnerung.

Bleiben werden genauso seine jüngsten internationalen Starts bei der Heim-EM 2018 in Berlin, der WM 2019 in Doha (Katar) oder zuletzt bei der Team-EM in Chorzów (Polen). Mit dem Leistungssport hat er endgültig abgeschlossen und seinen Frieden gefunden. „Man wird mich auch nicht auf der Straße sehen, ich werde keine zweite Karriere als Marathonläufer starten. Davon bin ich weit entfernt“, sagt er mit klarer fester Stimme.

Zurück an die Tischtennisplatte

Martin Grau wird sportlich aktiv bleiben. Er wird und muss abtrainieren. Das ist klar. Momentan eher schwierig, weil er aus der Saison noch eine Sehnenplattenentzündung im rechten Fuß mitgenommen hat. Was geht sind Radfahren, Stabilisation und Schwimmen. Zurückkehren wird er stattdessen an die Tischtennisplatte. „Hobbymäßig“, wie er ausdrücklich betont. Er hat Tischtennis in der Jugendzeit gespielt. Tatsächlich im Ligasystem, bevor er es irgendwann für die Leichtathletik aufgeben musste. „Abends nach der Arbeit werde ich dann sicherlich mal ein paar Runden an der Platte spielen. Ich bin generell ein großer Fan von Ballsportarten wie Basketball“, verrät er im Gespräch.

Worauf er jetzt richtig große Lust hat, ist sein Bachelor-Studium der Angewandten Informatik. Darauf liegt nun sein Augenmerk, in welches er seinen ganzen Ehrgeiz und seine Ambitionen reinstecken möchte. Entschieden hat er sich für das duale System. Das bringt den Vorteil, dass er bei Workplace Solutions den praktischen Teil absolviert und den theoretischen an der Nordakademie in Elmshorn vermittelt bekommt. Los geht es am 1. September mit einer vierwöchigen Einführungszeit im Unternehmen. Man hört es ihm regelrecht an, er freut sich auf das Neue. „Für die nächsten sechs bis acht Jahre werde ich im hohen Norden bleiben“, erzählt Martin Grau über seinen Neustart in der Hansestadt.

Ganz neu ist Hamburg nicht für ihn, seine Freundin lebt und arbeitet schon dort. Der Umzug nach seinem sportlichen Karriereende eine fast schon logische Konsequenz. „Wir wohnen im Norden von Hamburg, die Gegend ist eher kleinstädtisch geprägt. So wie ich es auch aus meiner fränkischen Heimat kenne. Ich empfinde Hamburg als sehr vielschichtig, spannend und richtig schön mit dem Hafen und der Wasseranbindung. Mir gefällt es sehr gut.“ Auf ein leises Servus folgt nun ein lockeres Moin. Gelegentlich dann wieder ein Hallo, wenn er als Fan und Zuschauer nach Erfurt und eventuell zur Heim-EM nach München zurückkehrt.

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