| Interview der Woche

Dr. Nkechi Madubuko: „Sensibilität ist der Schlüssel“

Der Deutsche Leichtathletik-Verband will sich weiterhin klar im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung positionieren. Die Botschaft: Rassismus und Ausgrenzung in jeder Form darf in unserer Sportart keinen Platz haben. Aus diesem Grund ist Diversity-Trainerin Dr. Nkechi Madubuko ab dem 1. September feste Ansprechpartnerin im DLV für Athletinnen und Athleten. Im Interview spricht die 49-Jährige über ihre Zielsetzung, ihre persönlichen Erfahrungen und warum es so wichtig ist, sich dieser Thematik auch ohne akuten Auslöser anzunehmen.
Alexandra Dersch

Frau Dr. Madubuko, seit dem 1. September sind Sie nun feste Ansprechpartnerin für Athletinnen und Athleten in Diskriminierungsfragen im Deutschen Leichtathletik-Verband, mit dem Schwerpunkt Rassismus. Mit welcher Zielstellung treten Sie diesen Posten an?

Dr. Nkechi Madubuko:

Diskriminierung kann auf ganz vielen Ebenen stattfinden. Etwa in Bezug auf die Herkunft, das Alter, das Geschlecht, die Religion, die körperlichen Voraussetzungen usw. In Bezug auf den Deutschen Leichtathletik-Verband bewegen wir uns aber in einem Hochleistungssportsektor, in dem manche Bereiche naturgemäß eine eher untergeordnete Rolle spielen. Mein Schwerpunkt wird daher primär auf rassistischen Erfahrungen liegen. Das Ziel, warum der DLV diese Stelle geschaffen hat, die ich nun seit dem 1. September besetze, ist, dass die Verantwortlichen im DLV es als wichtig erachten, dass es eine neutrale Anlaufstelle für Athletinnen und Athleten gibt, an die sie sich vertrauensvoll wenden können, wenn sie sich im Sportkontext mit Rassismus konfrontiert fühlen. 

Ich bin zum einen Diversity-Trainerin, aber ich kenne auch die Gedanken, mit denen Athletinnen und Athleten zu kämpfen haben. Mit dem Leistungssport verbinde ich viele schöne Momente und Emotionen, den Umgang mit Frust, mit Misserfolgen, aber auch den Umgang mit Zuschreibungen aufgrund meiner eigenen Hautfarbe. Wenn man dann das Gefühl hat, dass man nicht so gesehen oder behandelt wird wie andere, dann ist es wichtig, dass man jemanden hat, der dieses Gefühl ernst nimmt, einem zuhört, der Verständnis hat. Wichtig ist, den Mut aufzubringen und keine Angst haben zu müssen, wenn man sagt: „Hier ist ein rassistischer Spruch geäußert worden.“ Das ist wichtig, damit Vorkommnisse nicht unter den Teppich gekehrt, sondern sichtbar werden. Die Sensibilität für rassistische Denkweisen ist oft unterschiedlich ausgeprägt, manchen Menschen ist auch schlicht nicht bewusst, wenn sie sich rassistisch äußern. Durch Sensibilisierung in Trainings kann man Unsicherheiten ansprechen und klären. Und Athletinnen und Athleten hilft es zu wissen, dass sie mit jemandem offen sprechen können, ohne negative Konsequenzen zu befürchten zu müssen oder als Störenfried gesehen zu werden.

Wenn sich nun ein Athlet oder eine Athletin an Sie wenden möchte, wie sieht der Weg konkret aus?

Dr. Nkechi Madubuko:

Meine Kontaktdaten werden über den DLV an die Kader-Athletinnen und -Athleten weitergegeben. Athletinnen und Athleten können sich dann per Mail mit mir in Verbindung setzen und erzählen, was ihr Anliegen ist. Danach vereinbaren wir einen Termin für ein Videogespräch, in dem wir ganzheitlich, aber auch speziell über die bestehende Problematik sprechen. Diese Gespräche werden natürlich ganz individuell sein, so individuell wie die Thematiken und Athletinnen und Athleten selber. Ich stelle mich da ganz auf die jeweilige Person ein und versuche zu empowern. Die Gespräche werden quantitativ erfasst, aber wenn jemand nicht will, dass dies an offizielle Personen im DLV weiterleitet und dem nachgegangen wird, dann werden wir das respektieren. Grundsätzlich ist es aber der Wunsch des DLV, von möglichen bestehenden Problematiken Kenntnis zu erhalten. Die Athleten und Athletinnen, die sich jedoch melden, sollen dies völlig angstfrei tun können. Sie können die Beratung als Beschwerdestelle für sich nutzen, wenn sie wollen, oder nur eine Erfahrung loswerden und reden.

Jetzt mögen viele denken: Rassismus, das tritt vielleicht in anderen Sportarten auf. Sei es durch Rufe im Stadion, verletzende Kommentare auf den Tribünen oder Plakate. Aus den Leichtathletik-Arenen kennt man dieses Verhalten öffentlich nicht. Ein Denken oder eine Wahrnehmung, die wahrscheinlich vornehmlich durch die weiße Brille gesehen wird. Daher frage ich Sie: Warum ist es so wichtig, dass sich der Deutsche Leichtathletik-Verband mit dieser Thematik befasst?

Dr. Nkechi Madubuko:

Die Einschätzung „In der Leichtathletik gibt es keinen Rassismus“ ist eine Mischung aus Nichtbetroffenheit und Wunschdenken. Menschen, die es nicht wahrnehmen, schauen nur nicht genauer hin. Vieles an Rassismus wird als Normalität erlebt. Die Leichtathletik und der Sport allgemein sind Teil der Gesellschaft, und in allen Teilen der Gesellschaft sind rassistische Denkstrukturen vorhanden. Ob ich Strukturen oder Situationen als rassistisch erkenne, ist auch eine Frage der Sensibilität. Auch bei Betroffenen selber. Denn es gibt auch Menschen, die Rassismus erfahren, ihn aber nicht als solchen identifizieren und unsicher sind es zu äußern, wenn sie anders behandelt werden. Viele Erfahrungen sind „nett gemeinte“ Äußerungen, es gibt aber auch offene rassistische Abwertungen und Zuschreibungen. Ungleichbehandlung aufgrund der Herkunft, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit und „Kultur“ sind ein weiteres Spektrum, was erlebt, aber oft von Betroffenen hingenommen wird. Es ist daher wichtig, dass wir Dinge ansprechen, wenn sie vorkommen, und sich dazu zu positionieren. Es braucht dazu Mut bei den Betroffenen und kein Herunterspielen bei den Auslösenden. Denn das Bewusstsein innerhalb der DLV-Führung, dies nicht im Verband haben zu wollen, ist da. Nun soll das Thema ansprechbarer werden durch das neue Angebot und die Sensibilisierungstrainings.

Der Impuls, sich dieser Problematik anzunehmen, entwickelt sich zumeist aus einem akuten Auslöser. Im Falle des DLV war das anders. Hier ist Ralf Buckwitz als Vorstandsvorsitzender Sportentwicklung initiativ auf Sie zugekommen und hat Sie für die Zusammenarbeit angefragt. Ein ungewöhnlicher Vorgang?

Dr. Nkechi Madubuko:

Seit Sommer vergangenen Jahres ist eine verstärkte Beschäftigung in den Unternehmen, Organisationen, Verbänden aber auch institutionellen Einrichtungen wie etwa Schulen oder Kindergärten spürbar. Man geht stärker in die eigene Auseinandersetzung, will hinschauen und wissen: Wie läuft das eigentlich bei uns? Eine gute Entwicklung, weil so Dinge zutage kommen, die zuvor lange im Verborgenen geblieben sind. Entsprechend habe ich mich auch über die Anfrage des DLV gefreut.

In den vergangenen Monaten haben Sie schon einige Workshops geleitet. Etwa mit schwarzen Athleten, die sich Ihnen in einem geschützten Raum in kleinen Gruppen geöffnet und gemeinsam Vorschläge erarbeitet haben, wie der DLV noch besser werden kann in seinem Umgang mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung allgemein. Aber auch mit Trainern, die Sie für ihren Umgang mit Athleten geschult haben. Wie war das Feedback auf diese Sensibilisierungs-Workshops?

Dr. Nkechi Madubuko:

Soweit ich das einschätzen kann, war es positiv. Von Athletenseite war die Rückmeldung beispielsweise sehr wertschätzend und dankbar, dass es dieses Angebot des Austauschs nun gibt. Die Idee zu dieser Beratungsstelle ist streng genommen ja auch aus dem Workshop mit Kader-Athletinnen und -Athleten geboren worden. Ihr Wunsch war der nach einer neutralen Ansprechpartnerin oder einem Ansprechpartner, dem sie sich anvertrauen können.

Nun kommt bei Ihnen zu Ihrer Expertise als Diversity-Trainerin aber auch eine große Portion sportlichen Hintergrundwissens hinzu. Sie waren selber Dreispringerin, Mitglied der Nationalmannschaft, Ihre Bestleistung liegt bei 14,02 Metern. Wie blicken Sie persönlich auf Ihre Zeit im Leistungssport zurück?

Dr. Nkechi Madubuko:

Ich habe meine Zeit im DLV als immer sehr positiv erlebt. Ich hatte tolle Trainer, die sich für mich als Mensch und meine Biografie interessiert haben. Abseits vom Sport, außerhalb von Trainingszeiten. Wie etwa Eckhard Hutt in Düsseldorf. Er hat immer den ganzen Menschen gesehen, war sehr empathisch. Und hat so ein Gespür dafür entwickelt, wo Rat oder auch Hilfe nötig war. Unsere Trainingsgruppe war in Bezug auf die Herkunft divers aufgestellt, die Hautfarbe war kein Thema. Ich habe im Wettkampf ein großes Maß an Selbstbestätigung für mich erfahren. Aber auch Zuschreibungen in Bezug auf meine Hautfarbe von anderen Athletinnen und Athleten. Mein Schwarzsein wurde mit Erwartungen an meine Leistung verbunden, so nach dem Motto „sie ist schwarz, dann hat sie es drauf“. Das waren Zuschreibungen, für die ich nichts konnte. Rassismus hat viele Gesichter. Es können auch positive Zuschreibungen sein.

Gibt es Erinnerungen, die Sie für immer mit dieser Sportart verbinden?

Dr. Nkechi Madubuko:

Die Leichtathletik und der Leistungssport haben mich als Mensch nachhaltig geprägt, gar keine Frage. Ich habe erfahren, wie viel ich erreichen kann, wenn ich an mein Ziel glaube und diszipliniert dafür arbeite. Ich bin durch die Welt gereist als junger Mensch. Ich habe aber auch den Umgang mit Niederlagen erlebt, habe gelernt, damit zu leben und sie zu akzeptieren. Und ich habe erfahren, wie wichtig es ist, auf seinen Körper zu hören, die Signale nicht zu unterschätzen. Besonders schmerzhaft hat mir das mein Achillessehnenriss vor Augen geführt.

Wenn Sie Ihre Erfahrungen über die Jahre reflektieren, nicht nur im Sport, sondern allgemein in der Gesellschaft: Merken Sie, dass es einen Fortschritt in der Gesellschaft allgemein im Umgang mit Diversität gibt? Eben etwa weil verstärkt auch öffentlich darüber gesprochen wird?

Dr. Nkechi Madubuko:

Sagen wir es so: Wir sind auf einem guten Weg. Aber da sind insgesamt noch einige dicke Bretter zu bohren. Wir brauchen eine Bildungsreform in den Schulen, Diskriminierungsschutz in der Arbeitswelt und auf dem Wohnungsmarkt, Beratungsstellen wie diese hier sollten zum Standard werden. Bei Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sollte Diversitätssensibilität zur Ausbildung gehören. All das würde helfen, um nachhaltige Strukturen zu schaffen und langfristig etwas in der Gesellschaft zu verändern.

Auf Ihre neue Rolle im DLV bezogen: Was wäre für Sie ein nachhaltiger Erfolg?

Dr. Nkechi Madubuko:

Für mich ist es ein Erfolg, wenn das Beratungsangebot wahrgenommen wird, wenn wir heraustreten aus der Dunkelziffer und Athletinnen und Athleten sich öffnen, damit wir in den Austausch kommen können. Es wäre wichtig, rassistische Verhaltensweisen oder Ungleichbehandlung, egal ob von Trainerinnen und Trainern, unter Athletinnen und Athleten oder Teammitgliedern, abzubauen. Es gilt mehr Sensibilität untereinander herzustellen und damit Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen wir uns alle wohlfühlen. Schwarz und Deutsch sein ist normal. Schwarze Athletinnen und Athleten als Aushängeschilder des DLV zu zeigen, würde empowernd für schwarze Nachwuchsathletinnen wirken und zeigt, dass der DLV hinter ihnen steht. Sport kann ganz viel Verbindung und Miteinander schaffen. Daher dürfen wir nicht zulassen, dass uns etwas trennt.

Diversity-Expertin Dr. Nkechi Madubuko, ehemalige Dreispringerin, ist promovierte Soziologin, Buchautorin und hat einen Lehrauftrag an der FB Uni Kassel und Uni Koblenz. Als Referentin ist sie gefragt für Vorträge zu den Themen Rassismus, Empowerment und Diversitätssensibilität.

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