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Prof. Dr. Rainer Knöller: „Wir wollen ein Team ums Team bilden“

Der Verzahnung aus Wissenschaft und Praxis kommt im Leistungssport mittlerweile ein hoher Stellenwert zu. Prof. Dr. Rainer Knöller, Head of Science im DLV, spricht im Interview über diese Bedeutung, den wissenschaftlichen Anteil im DLV sowie über die zukünftige wissenschaftliche Ausrichtung des Verbandes.
Peter Schmitt

Prof. Dr. Rainer Knöller, wie wichtig ist die Einbindung der Wissenschaft in den Leistungssport beim Deutschen Leichtathletik-Verband?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Wissenschaftlicher Input kann helfen, den Trainingsprozess zu optimieren. Richtig eingesetzt können so externe Impulse zur Befruchtung für die gute Arbeit der Trainerinnen und Trainer sowie Athletinnen und Athleten eingebracht werden. Neues Denken und neue Wege bilden sich selten von alleine. Wir wollen ein Team ums Team bilden und die Kerninhalte gemeinsam bearbeiten.

Wie wollen Sie den wissenschaftlichen Anteil beim DLV noch weiter erhöhen?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Ich denke, wir sind auf einem guten Weg zu noch professionellerem Arbeiten. Wir haben gute Trainerinnen und Trainer sowie Athletinnen und Athleten, generell gute Strukturen. Wir werden die vorher getrennten Bereiche Ausbildung, Wissenschaft und Training besser verschnüren, um mehr Transfer zu schaffen. Hier spielt die DLV-Akademie in Zukunft eine wichtige Rolle. Wir müssen interdisziplinärer und internationaler denken und arbeiten, und haben dies bereits angefangen. Unsere neuen Ausbildungsformate, zum Beispiel mit der Deutschen Triathlon Union im Ausdauerbereich, aber auch unter Einbringung internationaler Experten im Sprint, sind mit je über 100 Teilnehmern besetzt. Qualität findet Anklang. Wir möchten herausfinden, welche Bausteinchen fehlen und diese mit den Besten zusammen bearbeiten. So wird ein Schuh daraus, der uns passt.

Wie können wissenschaftliche Analysen aussehen und was können sie in Bezug auf die Leistung bewirken?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Klassisch ist, dass man Leistung misst, Training ermittelt und Beziehungen herstellt. Lineare Zusammenhänge ohne reproduzierbare Erkenntnisse zur Belastung und Erholung sind fraglich, zumindest fragil. Daher wollen wir den Prozess möglichst engmaschig kennenlernen und begleiten. Wo sind die Knackpunkte? Es geht nicht nur ums Trainieren und Erbsen zählen, sondern auch ums Sehen, wie der Sportler regeneriert. „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ war gestern, unser Auftrag ist es, mit individuellen Lösungen den uns anvertrauten Sportlern zu helfen. So stehen am Ende zwei Strategien, die zusammenfinden: Einerseits Big Data, um möglichst viele Daten aus dem Prozess zu nutzen, um übergeordnete Zusammenhänge herauszukristallisieren. Andererseits Small Data, um in individuellen Längsschnittanalysen des Einzelnen personalisiert den geeignetsten Prozess zu finden. Ziel aller ist das individuelle Drehmoment im Training für den Einzelnen zu finden.

Welchen Platz nehmen Monitoring-Systeme ein?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Indem der einzelne Sportler seine individuelle Anpassungsreaktion spiegelt, haben die legitimierten Trainer ein genaueres Abbild der Belastungsreaktion. Man denkt immer nur an Training. Hier können die modulierenden Hintergrundfaktoren wie Schlaf, Stress, Verletzungsproblematiken in-time mitberücksichtigt werden. Im Übrigen tun wir uns nur schwer damit, weil das hier in Deutschland so noch keiner macht. In den USA, England, Norwegen, um nur einige Mitbewerber zu nennen, ist das schon länger Routine, in den Profiligen im Basketball, Baseball, American Football ohnehin. Warum sich nicht dort inspirieren lassen? Der DLV ist mit seiner komplexen Struktur und den vielen Disziplinen wohl der anspruchsvollste Verband, um umfassend wissenschaftliches Arbeiten einzuführen. Das Monitoren in einem System hilft, die vielen Player um den Sportler schneller zu informieren, wenn der Trainings- und Anpassungsprozess suboptimal verläuft.

Wie wird dieses System in Zukunft ausgebaut?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Wir werden für den neuen Olympia-Zyklus die Nachwuchssportler NK1 einbeziehen, allerdings mit einer abgespeckten Version, da diese zum Teil nicht täglich trainieren.

Der Verband hat sich im April 2021 eine neue Struktur mit einem Vorstandsmodell plus Präsidium und Mitgliederversammlung gegeben. In diesem Zusammenhang wurde auch eine neue Kommission Wissenschaft/Lehre gebildet. Könnten Sie diese näher erläutern?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Der DLV ist der Aufforderung des Deutschen Olympischen Sportbundes und des Bundesinnenministeriums nachgekommen, professionelle Strukturen mit hauptamtlicher Verantwortung zu implementieren. Dies ist intern sehr komplex und zeitaufwendig. So kann aber eine permanente, stringente Bearbeitung relevanter Sachfragen gewährleistet werden. Dies gilt auch für den wissenschaftlichen Bereich. In der Konstruktion ´Vorstand für Sportentwicklung´ und ´Head of Science´ haben wir eine tagesaktuelle, engmaschige Abstimmung über unsere relevanten Fragen. Für das Gremium Wissenschaft und Lehre konnten erstmals national hochrangige wissenschaftliche Experten als Backup gewonnen werden, die dem DLV in wissenschaftlichen Projekten und Gutachten nahestehen. So werden Neutralität und Wissenschaftlichkeit sowie Verbindlichkeit und Transferleistung von höchster Qualität möglich.  

Nach welchen Kriterien wurden die einzelnen Wissenschaftler ausgewählt?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Wir haben versucht, die Besten für den DLV zu verpflichten. Hierbei sollten die relevanten komplementären wissenschaftlichen Bereiche mit erstklassigen Vertretern von internationalem Rang und Namen besetzt werden, die Expertise, Erfahrung, Standing und dazu Verbindung zum DLV haben. Dies ist uns hervorragend gelungen. Da das für die Beteiligten eine ehrenamtliche Funktion ist, kann man als Verband ein wenig stolz sein.

Optimiert diese Kommission, die aus mehreren Wissenschaftlern besteht, letztlich den früheren Posten des Vizepräsidenten Lehre und Wissenschaft?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Vormals wurde Wissenschaft und Ausbildung ehrenamtlich koordiniert. Nun hat der DLV den Weg der Hauptamtlichkeit gewählt, was den Forderungen der Zuwendungsgeber nachkommt. Dazu haben wir den Weg gewählt, national exponierte Wissenschaftler, die mit uns inhaltlich verbunden sind, durch Forschung und Transfer als feste Ansprechpartner für ausgewählte erstrangige Fragen in einer Kommission zu verankern. Ich bin als Head of Science im DLV dankbar, dass die genannten Personen allesamt bereit waren, neben ihrer Haupttätigkeit, für uns aktiv zu werden. Wir freuen uns darauf, von hier aus definierten Input in den DLV generieren zu können.

In welcher Form sind die Athletinnen und Athleten sowie die Trainerinnen und Trainer eingebunden, wenn es um wissenschaftlichen Input geht?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Wir nehmen die Impulse aus der Praxis in unsere internen Schnittstellen in der Akademie auf und bei adäquater Substanz bearbeiten wir sie mit den besten Partnern, um einen stringenten Rückfluss an Input im DLV und zu den Trainern zu haben.

Lässt sich Erfolg durch wissenschaftliche Methoden evaluieren? Und wenn ja wie sieht so ein Prozess aus?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Erfolg lässt sich schwerlich wissenschaftlich prognostizieren. Man muss dafür die strukturellen Voraussetzungen eines Verbandes wissenschaftlich analysieren. Hierfür wurde seitens der Zuwendungsgeber eine unabhängige wissenschaftliche Kommission namhafter Experten beauftragt, die Verbände bezüglich ihrer Struktur analysieren und bewerten. Unser Bereich Wissenschaft und Ausbildung wurde hier mit nationalen Bestnoten ausgezeichnet. Um aber auf den Erfolg zurückzukommen: Dieser ist im Spitzensport das Produkt eines Wettkampfs, in dem das in der Vorbereitung Erarbeitete in Leistung umgesetzt werden muss. Ob das klappt oder nicht hängt erstens vom Training aller leistungsrelevanten Faktoren ab, aber auch davon, ob man es vor Ort umsetzen kann. Zur Absicherung versuchen wir engmaschig den Weg dorthin zu monitoren. Interessanterweise sind sich die internationalen Topsportler einig, dass 90 Prozent der Leistung „im Kopf“ gemacht wird. Der gewünschte „Modus Operandi“ dafür ist „perform in the zone“.

Welche Impulse wollen Sie für den wissenschaftlichen Bereich setzen?

Prof. Dr. Rainer Knöller:

Wir müssen internationaler und interdisziplinärer werden. Uns treffen, austauschen, anregen lassen, voneinander lernen, wo wir können. Der DOSB hat das erkannt und in seinen Analysen gefordert. Der DLV sollte weiter in eine noch bessere Zusammenarbeit der wichtigen Bereiche angewandte Wissenschaft, Training und Medizin investieren, um Zeit- und Reibungsverluste zu minimieren. Wir werden weiter zu wenig berücksichtigte Hintergrundfaktoren wie Zahnstatus, Menstruationszyklus oder Schlaf beleuchten und in den Prozess einbringen. Wir haben im DLV eine einzigartige Akademie. Diese wird gerade modernisiert und dann zur Basis der Verzahnung von Wissenschaft und Ausbildung dienen. Wir werden dort Bildungsinhalte online ablegen und abrufbar machen, größere Fortbildungen mit anderen Partnern zusammen durchführen und neue Formate für mehr Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis auflegen. „Primus inter pares“ muss hier der Anspruch für einen Spitzenverband wie den DLV sein.

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