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Christoph Harting: Neue Mission, neue Motivation und langfristige Ziele

Hinter Christoph Harting liegt „das mental schwerste Jahr“. Sowohl die Corona-Pandemie als auch die knapp verpasste Olympia-Teilnahme haben ihm zu schaffen gemacht. Diese Zeit will der Diskus-Olympiasieger von 2016 nun hinter sich lassen. Motivation gibt auch das Vertrauen, das ihm das Nationalteam schenkt: Als stellvertretender Athletensprecher setzt sich der Berliner an der Seite von Nadine Hildebrand für die Belange der Athletinnen und Athleten ein und hat in dieser Rolle auch einen neuen Blick auf das große Ganze gewonnen.
Silke Bernhart

Es ist früher Abend gegen Ende des DLV-Trainingslagers von Belek (Türkei). Und Christoph Harting (SCC Berlin) kann feststellen: „Heute war ein echt schöner Tag.“ Gerade ist er vom Teambuilding mit den weiteren Athletinnen und Athleten der DLV-Nationalmannschaft zurückgekehrt und hat in der „Putting-Challenge“ auf dem Golfplatz nebenan gemeinsam mit Dreispringerin Kristin Gierisch und Langsprinterin Alica Schmidt den ersten Preis abgeräumt.

Erster Platz und Teamspirit. Zwei Attribute, die zuletzt zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unbedingt häufig mit dem Diskuswerfer in Verbindung gebracht wurden. Sowohl körperlich und demzufolge sportlich musste er nach dem Olympiasieg 2016 einige Täler durchschreiten als auch emotional – stets unter intensiver Beobachtung der Medien, die spätestens seit seinem Erfolg in Rio jeden seiner Schritte verfolgten und jede seiner Aussagen unter die Lupe nahmen.

Zugegeben: Es gab in der Karriere von Christoph Harting nach unkonventionellem Verhalten und provokanten Statements einige Momente, die diesen Argwohn und ein bestimmtes Bild in der Öffentlichkeit hervorgerufen haben. Zugleich bringt der persönliche Umgang mit dem 2,07 Meter-Hünen aber regelmäßig auch eine ganz andere Seite zum Vorschein. Eine Seite, die auch viele Teamkolleginnen und -kollegen schätzen. Sie haben ihn Anfang 2020 zu ihrem stellvertretenden Athletensprecher gewählt.

„Man darf keine unangenehmen Gespräche fürchten“

„Wahrscheinlich haben sie mich gewählt, weil sie wissen, dass ich immer meine Klappe aufmache“, sagt Christoph Harting lachend. Doch man merkt, dass diese Aufgabe kein Spaß für ihn ist, sondern dass er sie ernst nimmt. „Man darf keine unangenehmen Gespräche fürchten“, stellt er fest, und: „Man muss sich von vornherein einer gewissen Verantwortung bewusst sein.“

Die vergangenen Monate und Gespräche an der Seite von Athletensprecherin Nadine Hildebrand haben auch bei Christoph Harting selbst zu neuen Erkenntnissen geführt: „Ich kann nicht mehr sagen: ‚Der böse DLV – der Verband ist doof.‘ Im Gegenteil: Mittlerweile habe ich festgestellt, dass man es einfach mit verschiedenen Personen in verschiedenen Funktionen zu tun hat, die in ihrer Kommunikation Stärken und Schwächen aufweisen. Das führt in Summe gelegentlich zu fehlender Transparenz und Misskommunikation. Früher hat mich das aufgeregt und es ließ sich wunderbar pauschalisieren – das geht heute nicht mehr.“

Suche nach Mitstreiter:in

Das Trainingslager in Belek nutzte Christoph Harting auch dafür, den Austausch mit den weiteren Athletinnen und Athleten zu intensivieren. Und um für Unterstützung zu werben. Denn die Zeit von Nadine Hildebrand als Athletensprecherin des DLV-Nationalteams läuft aus, im kommenden Frühjahr werden die Posten der Athletensprecher neu besetzt. „Nadine kann niemand ersetzen“, betont ihr derzeitiger Stellvertreter, „in ihrer Funktion als Athletenvertretung ist sie stets hervorragend vorbereitet, als auch sehr versiert was Bedürfnisse und Lösungsfindungen angeht.“

So kann sich der Diskuswerfer auch nicht vorstellen, alleine als der Nachfolger von Nadine Hildebrand anzutreten. Er stellt sich eher ein Modell vor, in dem die Rollen von Sprecher:in und Stellvertreter:in gleichberechtigt sind, „da der administrative Aufwand unfassbar hoch ist.“ Auch um für diese Pläne die Weichen zu stellen, hat Christoph Harting in Belek Gespräche geführt und betont: „Die Athletenvertretung ist eine unglaublich wichtige Institution und schließlich die letzte Instanz, die für die Athletinnen und Athleten einsteht.“

2021 das „mental schwerste Jahr“

Mit dem Trainingslager läutete Christoph Harting zugleich einen sportlichen Neustart ein, nachdem ihn die vergangenen Jahre auf eine harte Probe gestellt hatten. Zwar konnte der Berliner auch nach dem Olympiasieg immer wieder seine Klasse aufblitzen lassen, die ganz großen Erfolge aber blieben aus. 2020 machte ihm die Corona-Pandemie schwer zu schaffen. 2021 kämpfte er in zehn Wettkämpfen in Serie fast im Vier-Tages-Takt bis zuletzt um den Olympia-Startplatz – vergeblich.

„Das war mental das schwerste Jahr für mich“, sagt Christoph Harting, der sowohl im März von einem doppelten Bänderriss als auch im Juni während der DM von einer Nierenbecken-Entzündung ausgebremst wurde. So wurde der Auftritt von Braunschweig zu einem äußerst frustrierenden Erlebnis, bei dem erst fünf ungültige Versuche in das Protokoll eingingen und Harting dann auch den letzten Wurf, der über die 63-Meter-Marke gesegelt war, ungültig machte.

„Es hätte einfach nicht gereicht“, erklärt Christoph Harting die Aktion. „Der Coach hat zu mir gesagt: Du musst 66 Meter werfen und eine Medaille machen.“ Denn neben dem Deutschen Meister Daniel Jasinski hatten früher in der Saison auch David Wrobel und Clemens Prüfer mit 67-Meter-Würfen vorgelegt. „Ich hatte von allen deutschen Athleten zwar den zweitbesten Fünfer-Schnitt. Aber die Peak Performance hat gefehlt“, stellt Harting fest und betont: „Mit der Nominierungsentscheidung bin ich völlig d’accord, auch wenn es für mich persönlich sehr unangenehm war. Die anderen Jungs haben es sich verdient.“

Sportliche Planung „mindestens bis 2028“

Als in Tokio die Olympischen Spiele ohne ihn eröffnet wurden, habe er einmal schlucken müssen. Und dann dennoch mit Interesse die Wettbewerbe verfolgt. Mit dem neuen Olympiasieger Daniel Stahl sowie Silbermedaillen-Gewinner Simon Pettersson (beide Schweden) verbindet ihn eine Athleten-Freundschaft, die im besten Fall noch in viele weitere gemeinsame sportliche Highlights münden soll. Denn Christoph Harting hat vom Diskuswurf noch lange nicht genug!

„Meine aktuelle Motivation reicht bis zu den Olympischen Spielen 2024 und 2028 – das sind noch ´entspannte´ sieben Jahre“, erklärt der Rio-Olympiasieger, der im Frühjahr 31 Jahre alt geworden ist. „Jede Disziplin hat ihre Zeit. Wir Diskuswerfer zählen zu den ältesten Athleten, man kann auch mit Mitte 30 noch richtig weit werfen. Und vor allem: Ich habe meine körperlichen Grenzen noch nicht erreicht.“

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