| Museum of World Athletics

Annegret Richter übergibt Jacket der Europa-Auswahl 1977

Erinnerungsstück einer einzigartigen Karriere: Die einstige Weltklasse-Sprinterin Annegret Richter, 1976 Olympiasiegerin über 100 Meter, hat dem Museum des Weltverbands World Athletics das Jacket ihres Einsatzes in der Europa-Auswahl 1977 in Düsseldorf übergeben.
Olaf Brockmann / Peter Middel

Annegret Richter, eine der erfolgreichsten deutschen Sprinterinnen aller Zeiten, hatte die Qual der Wahl. Die Frage war, welches Erinnerungsstück sie dem „Museum of World Athletics“ (MoWA) vermachen sollte. Die Dortmunderin, die zwei Goldene und zwei Silberne bei Olympischen Spielen gewonnen hatte, dreimal Europameisterin war und beim Weltcup zwei Siege errungen hatte, stand vor ihrem Kleiderschrank, in dem sie auch historische Kleidungsstücke ihrer Karriere aufbewahrt. Schließlich entschied sich die heute 70-Jährige, ihr Jackett der Europa-Mannschaft des 1. IAAF Weltcups von Düsseldorf 1977 der World Athletics Heritage zur Verfügung zu stellen.

„Es ist für mich eine große Ehre und eine hohe Wertschätzung meiner erbrachten Leistungen, unter so vielen Top-Athletinnen und -Athleten der Welt im MoWA gewürdigt zu werden“, sagt Annegret Richter, die sich nach kurzer Bedenkzeit von diesem schmucken Jackett mit dem großen „E“ auf der linken Brust getrennt hat. Der Weltcup, Vorläufer der erstmals in Helsinki (Finnland) 1983 ausgetragenen Weltmeisterschaften, war im Düsseldorfer Rheinstadion vor insgesamt 140.000 Zuschauern ein durchschlagender Erfolg. Annegret Richter lief in der 4x100-Meter-Staffel der Europa-Auswahl, die sogar die DDR bezwang.

Zwei Staffel-Siege für das Europa-Team

Sie erinnert sich: „Es herrschte an allen drei Tagen eine großartige Atmosphäre im Rheinstadion. Ich hatte die große Ehre, die Europa-Auswahl erfolgreich vertreten zu dürfen. Mit einem deutsch-britischen Quartett konnten wir die favorisierte Staffel der DDR bezwingen und verfehlten mit 42,51 Sekunden den damaligen Weltrekord nur um eine Hundertstelsekunde. Die Zuschauer dankten uns mit langanhaltendem Beifall. Das war schon beeindruckend.“

Zwei Jahre später wiederholte sich die Düsseldorfer Staffel-Sensation auch beim Weltcup in Montreal (Kanada). Erneut bezwang die Europa-Auswahl, für die Annegret Richter wieder in der zweiten Kurve lief, in 42,19 Sekunden die DDR (42,32 sec)

Neben Olympia war der Weltcup in den späten 70er-Jahren die zweitgrößte Leichtathletik-Veranstaltung der Welt. Und so war die Rückkehr nach Montreal auch eine emotionale Zeitreise für Annegret Richter. Zurück in die kanadische Olympia-Stadt, wo sie mit Gold und zweimal Silber den größten Erfolg ihrer Laufbahn gefeiert hatte.

Weltrekord im Halbfinale von Montreal

Die 100-Meter-Entscheidung an jenem 25. Juli 1976, einem schließlich goldenen Sonntag, zehrt bei Beobachtern von einst selbst heute noch an den Nerven. Welche Dramatik! Die erste Sensation bereits im Semifinale! Annegret Richter, die 1976 zuvor in Gelsenkirchen in 10,8 Sekunden den handgestoppten Weltrekord egalisiert hatte, verbesserte in der Vorentscheidung in 11,01 Sekunden den Weltrekord, den ihre Trainingskameradin Inge Helten gut einen Monat zuvor in Fürth mit 11,04 gelaufen war, um drei Hundertstel.

Annegret Richter lief in diesem Semifinale noch nicht einmal voll durch, wäre sie nicht ein wenig ausgetrudelt, wäre sie (und nicht ein Jahr später Marlies Oelsner in 10,88 sec) als erste Frau der Welt elektronisch unter 11,00 Sekunden geblieben. Das spielte aber in diesem Moment nun wirklich keine Rolle…

Historisches 100-Meter-Gold

Das große Aufeinandertreffen der besten Sprinterinnen der Welt, Annegret Richter und Inge Helten aus der Bundesrepublik Deutschland sowie Renate Stecher aus der DDR, die in München 1972 100-Meter-Gold gewonnen hatte, stand bevor. Die Nerven lagen bei fast allen Sprinterinnen blank. Es gab drei Fehlstarts, doch Annegret Richter blieb cool.

„Beim ersten Versuch war die Zeitmessung ausgefallen. Man hat uns sehr spät zurückgeschossen. Da hatte ich einen Bilderbuchstart erwischt. Damit wäre ich wahrscheinlich unter elf Sekunden geblieben“, vermutet sie. Erst der vierte Start glückte. Bis 50 Meter war der Fight noch offen, dann löste sich Annegret Richter Schritt für Schritt von ihren Gegnerinnen und gewann in 11,08 Sekunden vor Renate Stecher (11,13 sec) und Inge Helten (11,17 sec).

„Revolutionärer Durchbruch“

Den für die Bundesrepublik historischen Olympiasieg bezeichnete der legendäre deutsche Leichtathletik-Journalist Heinz Vogel als „revolutionären Durchbruch“, der natürlich auch ein Erfolg des Sprinttrainers Wolfgang Thiele war. Und in der Tat sollte es in Montreal noch mehr werden: Drei Tage nach dem 100-Meter-Gold gewann Annegret Richter über 200 Meter die Silbermedaille, im Finale über 4x100 Meter-Finale gab es in 42,55 Sekunden ein weiteres Mal Silber – und Annegret Richter wurde zum Star der Spiele.

Daheim in Deutschland entfachte die damals 25-Jährige, die auch in ihrem größten Erfolg immer still und bescheiden blieb, eine wahre Woge der Begeisterung, die schon an die Leichtathletik-Euphorie von München 1972 erinnerte. Schon bei ihren ersten Spielen war sie ja Fünfte des 100-Meter-Endlaufs geworden und hatte mit der bundesdeutschen Staffel (Krause, Mickler-Becker, Richter, Rosendahl) in einem unvergessenen Finalkrimi in der Weltrekordzeit von 42,81 Sekunden Gold vor der DDR mit Schlussläuferin Renate Stecher (42,95 sec) gewonnen.

Schon 1971 das erste EM-Gold

Die Erfolge bei den Olympischen Spielen krönten ihre Karriere, die sie im Alter von 15 Jahren begonnen hatte. Bis Ende 1969 pendelte sie erfolgreich zwischen Sprint und Weitsprung. Danach lernte sie den Hürdensprinter Manfred Richter kennen, mit dem sie gelegentlich gemeinsam trainierte und so dem Sprint den Vorzug gab. Ihre internationale Laufbahn kam blitzschnell in Schwung.

Ihren ersten großen Titel sollte sie bereits 1971 bei der EM in Helsinki (Finnland) mit der deutschen Sprintstaffel gewinnen (nach dieser EM wurde geheiratet). Zwei weitere Goldene folgten schon bei der Hallen-EM in Rotterdam (Niederlande) 1973 über 60 Meter und in der 4x180-Meter-Staffel. Staffel-Silber bei der EM 1974 in Rom (Italien) sowie Silber und Bronze über 60 Meter bei den Hallen-Europameisterschaften 1971 und 1972 zählen ebenfalls zur großen Medaillensammlung. Von 1970 bis 1980 gewann Annegret Richter 28 Titel bei Deutschen Meisterschaften, darunter fünfmal das begehrte Triple über 100, 200 und 4x100 Meter.

Annegret Richter ist nicht nur eine Legende der deutschen Leichtathletik, sondern des deutschen Sports schlechthin. Aber längst steht für sie nicht mehr der Sport, sondern die Familie im Vordergrund. Sie ist stolz auf ihre beiden Kinder Daniela und Marcus und natürlich sehr stolz auf ihre beiden Enkel, die sie inzwischen ständig auf Trab halten. Ein Sprint der anderen Art. Die 100-Meter-Olympiasiegerin von 1976 ist wunschlos glücklich. Ihr fällt kein Traum mehr ein, weil sie schon so viel Traumhaftes erlebt hat: „So wie es jetzt ist, bin ich mit allem zufrieden, und ich hoffe, dass es so noch lange bleiben wird.“

Olaf Brockmann und Peter Middel für World Athletics

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