| Interview der Woche

Oleg Zernikel: „Die eigene Sprungtechnik ist wie eine Handschrift“

Gute Aussichten auf ein erfolgreiches Jahr: Mit der Steigerung seiner persönlichen Bestleistung beim ISTAF Indoor Berlin auf 5,81 Meter hat Oleg Zernikel (ASV Landau) bereits früh im Jahr an seine Topleistungen von 2021 anknüpfen können und erneut unter Beweis gestellt, der internationalen Spitze gewachsen zu sein. Im Interview spricht der 26-Jährige über seine Leistung, Ziele und die Rolle von Musik in Training und Wettkampf.
Jane Sichting

Oleg, was für ein Wettkampf beim ISTAF Indoor Berlin am Freitag! Herzlichen Glückwunsch zur neuen persönlichen Bestleistung.

Oleg Zernikel:

Dankeschön.

Sie haben alle Höhen im ersten Versuch geschafft. Hatte sich dieses Niveau bereits angedeutet? Noch in Karlsruhe Ende Januar hatten Sie gesagt, dass die 5,81 Meter bald fällig sind.

Oleg Zernikel:

Tatsächlich schon, ja. In Karlsruhe hatte mir für diese Höhe noch der richtige Stab gefehlt, den hatte ich in Berlin nun dabei. Und siehe da: es funktioniert. Selbst mit weichem Stab war es in Karlsruhe sehr knapp, mit einem härteren Stab hat es jetzt geklappt.

Das ISTAF Indoor scheint Ihnen zu liegen. Bereits 2021 hatten Sie hier eine Bestleistung aufgestellt, nun eine Steigerung um neun Zentimeter. Was macht diesen Wettkampf für Sie so besonders?

Oleg Zernikel:

Das ist ein großer und wichtiger Wettkampf, von dem ich früher immer geträumt habe, selbst dabei zu sein. Denn hier dürfen nur die Stars springen. Und ich sehe es für mich noch immer als große Ehre an, dass ich hier dabei sein darf. Das motiviert mich umso mehr, mit großen Athleten zu springen und entgegen der letzten zwei Jahre wieder Zuschauer zu haben. Das macht bei mir viel aus aktuell.

Sie sprechen es bereits an – wie war es für Sie, vor immerhin 1.500 Zuschauern zu springen?

Oleg Zernikel:

Das war wirklich schön. Man hat es vermisst, vor einer Menge von Leuten zu springen. Das motiviert, das pusht einen und macht deutlich mehr Spaß als ohne Publikum. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was los gewesen wäre, wenn die Halle voll gewesen wäre.

In knapp drei Wochen stehen die Deutschen Hallenmeisterschaften an. Silber und Bronze konnten Sie hier in den letzten Jahren bereits gewinnen. Ist in Leipzig dieses Jahr Zeit für Gold?

Oleg Zernikel:

Ich würde mich natürlich freuen, nach meinem deutschen Meistertitel 2021 draußen auch den Hallen-Meistertitel zu holen. Aber ich kann nicht in die Zukunft gucken. Es kann alles passieren, es ist alles möglich. Ich gebe mein Bestes, um Gold zu holen. Das wäre mein Ziel.

Wie sieht Ihre Planung für die Hallensaison noch aus? Mit der Hallen-WM-Norm könnten Sie jetzt nach Belgrad fahren – oder werden Sie zugunsten der Sommervorbereitung darauf verzichten?

Oleg Zernikel:

Nein, ich werde auf jeden Fall nach Belgrad fahren. Das wäre meine erste Hallen-WM – und man weiß nie, ob es vielleicht auch die letzte ist. Daher möchte alles mitnehmen, was geht. Ich bin fit und habe noch genug Vorbereitungszeit für den Sommer, zudem sind die beiden Höhepunkte recht spät in der Saison. Ich starte jetzt noch in Dortmund, beim ISTAF Indoor in Düsseldorf und bei der DM. Für Anfang März suchen wir auch noch einen Wettkampf, um die Pause bis zur Hallen-WM zu verkürzen und im Wettkampf-Modus zu bleiben.

Das Jahr ist noch jung und mit 5,81 Metern sind Sie jetzt in der Halle sogar einen Zentimeter höher als unter freiem Himmel gesprungen. Ist das ein gutes Omen für den Sommer, auch im Hinblick auf die Höhepunkte mit Heim-EM und WM?

Oleg Zernikel:

Auf jeden Fall. Ich war überrascht, dass ich die 5,81 Meter im ersten Versuch so einfach geschafft hatte. Es lief alles rund und ich glaube, wenn es so weitergeht und ich mit meinen Kräften sparend umgehe, dann kann es dieses Jahr öfters passieren, dass ich die 5,90 Meter angreife – oder sogar höher.

Wie ist es für Sie, zusammen mit Überflieger Armand Duplantis im Wettkampf zu stehen – macht Sie das nervös oder bleiben Sie ganz auf sich fokussiert? Sie hatten in der Jugend ja selbst den Ruf als Überflieger inne.

Oleg Zernikel:

Für mich ist es ein Kampf mit mir selbst und nicht gegen die anderen. Zwar kann man sich von Duplantis besonders im Mentalen vieles abschauen, aber jeder hat seine eigene Technik und man kann sich nichts bei anderen abgucken und sagen: Das mache ich jetzt genauso. Mit Duplantis macht es immer Spaß zu springen, er ist locker drauf und ein ganz normaler Mensch wie jeder andere, überhaupt nicht abgehoben und arrogant. Schön ist es, in seinen Höhen eine Weile mitzuspringen.

Haben Sie bestimmte Rituale vor einem Wettkampf? Wie bringen Sie sich in Stimmung?

Oleg Zernikel:

Ein paar Tage vorher esse ich einen Döner.(lacht). Manchmal gehe ich vorher eine Runde Golf spielen oder ziehe bestimmte Socken an – meist sind da Metalbands drauf gedruckt, wie beim ISTAF, da war es Rammstein. Sonst mache ich vorher meinen Routine-Abend und packe meine Sachen in Ruhe, damit ich sie dann nicht unter Stress suchen muss.

Angesprochen auf die Metal-Bands: Spielt Musik für Sie eine besondere Rolle? Im Training wie aber auch im Wettkampf?

Oleg Zernikel:

Auf jeden Fall, klar. Ich höre viel unterschiedliche Musik, aber mein Herz hängt am Metal. Ich spiele auch selbst Gitarre, hauptsächlich die harten Klänge. Das motiviert mich, pusht mich und der Puls steigt – gerade wenn der Rhythmus schneller wird.

Wenn Sie am Anlauf stehen, haben Sie immer ein Lächeln auf den Lippen. Was ist für Sie das Besondere am Stabhochsprung, was lieben Sie so sehr an Ihrer Disziplin?

Oleg Zernikel:

Für mich war es schon immer der Erfolg. Der Moment, nach langer harter Arbeit und intensiven Trainingszeiten Bestleistung zu springen oder bei einem Wettkampf dabei zu sein, wo du noch nie warst – wie zum Beispiel letztes Jahr in Tokio. Es ist weniger das Gefühl des Fluges, sondern vielmehr der emotionale Moment nach Überquerung der Latte, vor allem nach großen Sprüngen. Stabhochsprung macht Vieles in meinem Leben aus, und ich möchte das so lange wie möglich beibehalten und fühlen wollen. Auch ist es schön, mit diesen emotionalen Momenten meiner Familie und engsten Vertrauten eine Freude zu machen. Stabhochsprung macht mich glücklich und all die guten Tage machen einfach Lust aufs Leben.

Die Stabhochspringer sind auch international ein eingeschworenes Team, man hilft sich gegenseitig und hat gemeinsam Spaß. Wie schwer fällt es, zwischen Freund und Kontrahent zu unterscheiden?

Oleg Zernikel:

Mir tatsächlich gar nicht. Klar möchte man selbst gewinnen, aber trotzdem fühlt man mit den anderen mit. Ich habe das Gefühl, jeder hat es verdient zu gewinnen. Weil ich weiß, was jeder Einzelne von uns dafür investiert.

Haben Sie Vorbilder, an denen Sie sich orientieren?

Oleg Zernikel:

Früher war Björn Otto lange Zeit mein Vorbild, aber auch Raphael Holzdeppe. Mittlerweile habe ich meine eigene Vorstellung vom Sprung und arbeite da mit Andrei [Bundestrainer Andrei Tivontchik, Anm.d. Red.] eng zusammen. Die eigene Sprungtechnik ist wie eine Handschrift. Jeder hat seine eigene, die so sitzen muss, dass sie jeder andere lesen kann. (lacht).

In einem Interview haben Sie jüngst gesagt, dass es Ihr Ziel sei, Stärken zu stärken und Schwächen zu mindern – was sind aktuell noch Schwächen, an denen Sie arbeiten wollen?

Oleg Zernikel:

Ich springe aktuell noch die 4,90 Meter langen Stäbe und laufe mit 16 Schritten an. Das ist zwar keine Schwäche, aber man kann das noch ausreizen und hat Potenzial. Ich kann auf 18 Anlaufschritte gehen und längere Stäbe springen. Dann ist es möglich, noch höher zu springen. Hinzu kommen kleine technische Fehler und die mentale Arbeit. Insgesamt ist es noch eine große Baustelle und es gibt Vieles zu verbessern. Man sieht ja anhand von Duplantis: Es geht immer weiter nach oben.

Apropos immer höher – sind die sechs Meter ein fixes Ziel von Ihnen oder gilt es eher, sich peu à peu zu steigern?

Oleg Zernikel:

Ich bin kein Typ, der eine bestimmte Höhe so fest im Blick hat. Mein Ziel für dieses Jahr ist es eher, die Sache zu stabilisieren und konstant 5,70 und 5,80 Meter zu springen und dann so oft es geht die 5,90 Meter zu springen – also Schritt für Schritt nach vorne. Und wenn dann mal die sechs Meter aufliegen, werde ich natürlich probieren, auch die zu springen.

Mehr:

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