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Gina Lückenkemper back on track: „Habe einfach wieder Bock, Wettkämpfe zu rennen“

Knapp drei Jahre hatte sie keine Hallen-Wettkämpfe bestritten, doch nun steht sie wieder auf der Bahn. Nach einem verletzungsbedingt schwierigen Jahr 2021 weiß Gina Lückenkemper nicht nur ihre Gesundheit neu zu schätzen, sondern ist bereits voller Vorfreude auf den Sommer. Dem Gefühl des Fliegens immer näherkommend, steckt sie bereits mitten in den Vorbereitungen auf die Freiluftsaison mit den Highlights aus WM und Heim-EM.
Jane Sichting

Lieblingsmeeting der Gina Lückenkemper? Was Kreuzworträtselfreunde wohl ins Grübeln bringen dürfte, ist für Leichtathletikfans schnell beantwortet: ISTAF! Umso erfreulicher, dass sie Deutschlands schnellste Sprinterin nach 1.099 Tagen ohne Hallen-Wettkampf beim ISTAF Indoor Berlin wieder über 60 Meter auf der blauen Bahn anfeuern durften. Am Ende standen für die Athletin vom SCC Berlin zum Saisonauftakt 7,33 Sekunden und Rang fünf im Protokoll.

„Ich habe den Wettkampf sehr genossen. Meine Vorfreude hat sich bis in den Wettkampf hinein durchgezogen und es war einfach schön, wieder vor Publikum zu laufen. Die 1.500 Leute in der Halle haben so gute Stimmung gemacht, dass man das Gefühl hatte, es war ausverkauft. Es war ein toller Wettkampf“, blickt sie zufrieden zurück. Wenngleich sie auch zugibt: „Natürlich hätte ich gern noch mehr gezeigt. Aber das kommt ganz bestimmt wieder und ich bin erstmal froh, nach so langer Zeit, gerade nach den letzten zwei für mich schwierigen Jahren, dass ich überhaupt wieder einen Wettkampf bestreiten konnte.“

"Vor Schönheit gestorben"

Als eine Kombination aus Standortbestimmung und Freude am Wettkampfgeschehen nutzt die Athletin, die bei Lance Brauman in Clermont, Florida (USA) trainiert, ihren Februaraufenthalt in Deutschland, um zu überprüfen, wie gut die in den vergangenen Monaten erlernten Dinge aus dem Training schon im Wettkampf greifen.

Denn: „Training und Wettkampf sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe, das musste ich auch in Berlin wieder feststellen“, erklärt Gina Lückenkemper. Zwar habe sie etwa im Vorlauf gut reagiert, sei danach aber „vor Schönheit gestorben“ – was so viel bedeutet wie, dass es technisch gut aussah, aber „nicht mit ordentlich Dampf nach vorne“ ging. Entsprechend gilt es für die anstehenden Meetings in Dortmund (12. Februar) und Düsseldorf (20. Februar) sowie bei der Hallen-DM in Leipzig (26./27. Februar) an den technischen Baustellen zu arbeiten.

Aha-Erlebnis im Techniktraining bringt richtiges Bewegungsgefühl

An den Start geht es dabei aber nur über die Kurzstrecke, denn „über die 60 Meter bin ich gezwungen zu agieren“. Zumal der Kurzsprint nicht etwa nur einfaches Geradeauslaufen sei, sondern ein hohes Maß an Technik erfordere. Und genau hierbei hatte Lückenkemper Anfang Januar Aha-Erlebnisse, welche es ihr seitdem ermöglichen, einfacher Korrekturen vorzunehmen.

„Das Problem war lange, das mir das Gefühl für die Bewegung gefehlt hatte, die von mir gefordert wurde. Zwar hatte ich das Verständnis in der Theorie, aber die Umsetzung in der Praxis hat lange auf sich warten lassen.“ Im Training sei es ihr nun immer besser gelungen, dieses Bewegungsgefühl zu verinnerlichen und abzurufen, doch im Wettkampf-Flow fehlte noch die nötige Routine, um das Bewegungsmuster technisch sauber auf die Bahn zu bringen.

Saison-Einstieg über 4x400 Meter?

Bis zum Sommer sei sie aber zuversichtlich, dem Gefühl des Fliegens wieder ganz nahe zu kommen – auch über 200 Meter. Schließlich soll sich die Quälerei im Training mit vielen längeren Läufen auch gelohnt haben. Noch nicht ganz schlau geworden ist die mehrfache Deutsche Meisterin hingegen über die Ernsthaftigkeit der Ankündigung ihres Coaches, seine Trainingsgruppe mit einer 4x400 Meter-Staffel in die Freiluftsaison einsteigen zu lassen. Eine neue Herausforderung wäre es allemal, wenngleich sie ihrer Paradestrecke über 100 Meter treu bleiben wird und sich auch schon auf Starts über die doppelte Distanz freut.

Ohnehin ist die Vorfreude auf die Freiluftsaison bei Gina Lückenkemper groß. Nicht nur, dass sie bereits mitten in der langfristigen Vorbereitung steckt, auch sei alles, was sie jetzt schon gemacht habe, von Vornherein klar auf die beiden Höhepunkte mit den Weltmeisterschaften in Eugene (Oregon, USA; 15. bis 24. Juli) und der Heim-EM in München (15. bis 21. August) ausgerichtet.

„Das Hauptziel ist und war die Sommersaison. Für alle europäischen und vor allem deutschen Athleten ist die Besonderheit mit gleich zwei Highlights aktuell eine schwierige Situation. Auf der einen Seite ist eine WM auf einem anderen Niveau, schon allein weil hier mehr Nationen am Start sind als bei einer EM. Auf der anderen Seite muss man ganz klar sagen, dass eine EM im eigenen Land für uns deutschen Athleten auf der emotionalen Ebene ein ganz anderes Highlight ist“, verrät sie.

In Off-Season körperlich und mental neue Kraft geschöpft

Für Gina Lückenkemper wird es als Wahl-Bambergerin sogar ein doppeltes Heimspiel. Motivation kann sie dabei nicht nur aus den Erinnerungen an EM-Silber 2018 über 100 Meter im Berliner Olympiastadion ziehen, sondern auch „weil Familie und Freunde wieder mit dabei sein und das Ganze miterleben können“. Zudem konnte sie während ihrer langen Off-Season 2021 nicht nur körperlich regenerieren, sondern auch mental neue Kraft schöpfen. „Unsere Gesellschaft, aber auch unser Sport sind extrem schnelllebig. Ständig war irgendwas und es hat sich manchmal fast gehetzt angefühlt“, erzählt sie rückblickend.

Verbunden mit der zusätzlichen Erwartungshaltung, immer Leistung bringen zu müssen, sowie den Beschwerden in jüngster Vergangenheit habe das in den vergangenen Jahren sehr an ihr gezehrt. Bereit für neue Aufgaben, sei sie nun jedoch gespannt auf den Sommer: „Ich habe einfach wieder Bock, Wettkämpfe zu rennen“. Und das mit neuer Wertschätzung für die eigene Gesundheit. Denn während sie als junge Athletin immer „viel Glück hatte, gesund und munter durchzukommen“, waren die beiden zurückliegenden Verletzungen mit viel Pech verbunden. Entsprechend sei sie „unfassbar dankbar“ dafür, gesund auf dem Platz und auf der Bahn zu stehen.

Gleichermaßen empfinde sie große Dankbarkeit für die professionelle Arbeit ihres Trainers Lance Brauman – auch in schwierigen Zeiten. „Die Art und Weise, wie er mit der Verletzung umgegangen ist und wie gut er es geschafft hat, mich innerhalb eines relativ kurzen Zeitfensters aus der Ferne nach Tokio zu bringen und mich für die Staffel wirklich gut wieder auf die Bahn zu stellen, das hat mich sehr beeindruckt“, sagt Gina Lückenkemper. Die Zusammenarbeit mit ihm hat sie auf unbestimmte Zeit verlängert.

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