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Jackie Baumann: Pacing oder Coaching? Coaching und Pacing!

Und sie läuft doch noch. Die ehemalige 400 Meter-Hürdenläuferin Jackie Baumann setzt knapp zwei Jahre nach ihrem Karriereende auf zwei Karten: Die eigenen Erfahrungen an den Nachwuchs weiterzugeben und Weltklasseathletinnen als Pacemakerin zu schnellen Zeiten zu führen. So zuletzt geschehen in Pliezhausen. Auch in der Karriere nach der Karriere setzt die inzwischen 26-jährige Tübingerin also voll auf Geschwindigkeit. Aber: „Ein Comeback über die 800 Meter ist momentan nicht geplant.“
David Köndgen

Wer Jackie Baumann am vergangenen Sonntag beim 31. Internationalen thallos Läufermeeting im Schönbuchstadion von Pliezhausen zur Mittagszeit beobachtet hat, konnte feststellen, wie ernst sie ihre beiden Aufgaben nimmt. Zuerst bereitete sie ihre Schützlinge auf deren Wettkämpfe vor, ehe sie selbst die Spikes anzog, um in zwei Rennen zu starten. Ins Ziel kam sie in keinem davon. Und das mit voller Absicht. Als die Glocke für die letzte Runde läutete, trudelte sie neben der Bahn aus.

Rückblick: Über ihr überraschendes Karriereende im Sommer 2020 mit nur 24 Jahren ist vieles gesagt und geschrieben worden. Nur das noch: Sie weiß, was sie kann. Sie wollte aber nicht alles dafür opfern. Das Wichtigste: Sie hat den Spaß am Sport nicht verloren. Eine der Befürchtungen und einer der Gründe für den Rückzug vom Leistungssport.

Rollenbezeichnung gesucht

„Was bist du jetzt eigentlich?“ Diese Frage hört sie öfter. Auch in Pliezhausen. Antwort: „Ich bin einfach noch nicht bereit meine Trainerrolle nur am Rand als Beobachter auszuführen. Im Fußball nennt man das Spielertrainer.“ Ein Pendant für die Leichtathletik muss erst noch erfunden werden. Jackie Baumann arbeitet daran. Karriere beendet könne man den aktuellen Status ohnehin nicht nennen. „Ich trainiere genau so viel wie davor.“ Das Pacing empfinde sie als neue Seite des Leistungssports. Eine, auf der es weniger Gegeneinander und stattdessen viel mehr Herzlichkeit gebe.

Oder anders gesagt: „Ich mache das nicht für mich, sondern für andere Sportler. Auf diese Weise kann ich mein Verantwortungsbedürfnis, das ich als Coach und als Pacer habe, ausleben und es gibt mir sehr viel Freude zurück.“ Sie fügt hinzu: „Es ist der Versuch, mir so viele Wege wie möglich offen zu halten. Den Sport selbst mache ich vor allem deshalb, weil er mir wahnsinnig viel Spaß macht.“

Apropos: Sportlich hat sich die Lehramtsstudentin der Sportwissenschaft und Geschichte ebenfalls weiterentwickelt. Die gewünschte Pace auf die Sekunde genau zu setzen war etwas komplett Neues für sie: „Frag mal eine Sprinterin nach Tempogefühl. – Was, Tempogefühl? Man geht halt all-out.“

Habitam Alemu zu schneller Zeit geführt

Dass sie nun richtig gut darin ist, bewies sie im Schönbuchstadion zweimal mehr. Erst über 600, anschließend über 1.000 Meter – als der 13 Jahre alte Stadionrekord fällt, ist Jackie Baumann längst raus; dennoch hat sie großen Anteil an der neuen Bestzeit der Äthiopierin Habitam Alemu. Die Uhr zeigt 2:34,11 Minuten – eine fantastische Zeit für die Olympia-Sechste. Der Plan ist voll aufgegangen. Auf Jackie Baumann war Verlass. Ein kleines, schwarzes Symbol auf ihrer Startnummer unterscheidet sie von allen anderen Läuferinnen. Es ist ein Hase. Denn: Sie ist die Pacemakerin.
 
In der Ergebnisliste steht hinter ihrem Namen zweimal lapidar: „aufg.“ – doch Jackie Baumann hat alles andere als aufgegeben, sie hat ihren Job erledigt. Eine Medaille wird sie dafür nicht bekommen, Lorbeeren auch nicht. Das will sie auch gar nicht. Sie ist zufrieden mit ihrer geleisteten Arbeit.

Stichwort Arbeit: Genau genommen ist auch die Trainertätigkeit mit viel Aufwand verbunden, auch wenn sie da vehement widerspricht, denn für Jackie Baumann steht auch hier der Spaß im Vordergrund. Und sowieso: Sie ist da irgendwie eher „reingerutscht“. Begonnen hatte sie mit dem Coaching bereits parallel zur eigenen Laufbahn. „Nachdem ich meine Karriere beendet habe, hat mich eine Athletin gefragt, ob ich sie trainieren könne“, erklärt sie. Ihre Antwort lautete: „Ich habe zwar keine Ahnung, aber wir können es gerne probieren.“

‚Next Coach Program‘ als Grundsteinlegung

Nach rund zwei Jahren ist sie in die neue Rolle „gut reingewachsen“. Sie will aber nicht nur auf eigene Erfahrungswerte setzen, sondern sich gezielt weiterbilden: „Ich hatte das große Glück, dass der DLV mich in sein ‚Next Coach Program‘ aufgenommen hat.“ Im Herbst sei der nächste Lehrgang, um den B-Trainerschein zu machen; ein Jahr später dann den A-Trainer: „Es ist wichtig, wenn man im Trainerbereich arbeiten will, so etwas zu haben. Und das eigene Know-how weiterzuentwickeln.“

Die Fußstapfen, in die sie treten könnte, sind groß: Vater Dieter Baumann ist Olympiasieger, Mutter Isabelle Trainerin. Ihre Trainerin. Aber: „Ich glaube, ich mache auch vieles anders als sie.“ Den Begriff Vorbild will sie daher lieber nicht verwenden. Inspiriert haben sie die Wege ihrer Eltern natürlich dennoch. Sie wolle Inspiration jedoch nicht ausschließlich auf die Eltern-Generation beziehen: „Diesen Spaß am Sport hat mir mein Bruder extrem vorgelebt.“

Ihre Mutter habe ihr gezeigt, dass es auch nach der eigenen sportlichen Karriere eine Möglichkeit gebe, im Sport zu bleiben. Auf der anderen Seite sei es „ein Weg, den wir wieder gemeinsam gehen“. „Die Pacing-Geschichte könnte ich ohne Isabell gar nicht machen, weil sie ja in dem Moment immer noch meine Trainerin ist“, erklärt Jackie Baumann. Dadurch entstehe ein neues Verhältnis zu ihrer Mutter.

„Ich gehe meinen eigenen Weg“

Dennoch betont sie: „Ich gehe meinen eigenen Weg.“ Dieser Weg führte sie zunächst bis zum ersten Staatsexamen in Sportwissenschaft und Geschichte. Für ihre Coaching-Karriere sei nach so kurzer Zeit noch kein Fazit möglich. Aber: „Irgendwann kommt glaube ich der Punkt, an dem der Plan aufgeht und man sich dann wahnsinnig darüber freut. Das ist, glaube ich, ein cooles Ding, auch als Trainer.“

„Ich habe eine Rolle gefunden, die mir Freude bereitet; wie lange das noch geht, weiß ich noch nicht“, sagt sie. Denn: Jackie Baumann will weiter an ihrer eigenen Geschichte schreiben.

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