| Comeback

Lucie Kienast: „Ich habe mir den Hintern aufgerissen, um zurückzukommen“

Das Jahr 2020 schloss sie auf Platz eins der U20-Weltjahresbestenliste ab. Doch nur wenige Monate später folgte für Mehrkämpferin Lucie Kienast mit dem Riss des vorderen Kreuzbands der große Schock. Doch die 20-Jährige gab nicht auf. Am Wochenende, fast genau ein Jahr nach ihrer Verletzung, feierte die Athletin des SV Halle nun ein beachtenswertes Comeback. Wir haben mit ihr im Interview über den monatelangen Kampf zurück auf die Leichtathletik-Bühne gesprochen.
Nicolas Walter

Lucie Kienast, herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Comeback. Wie haben Sie das Wochenende erlebt?

Lucie Kienast:

Ich bin total happy. Das ist mit das schönste Comeback, was ich mir hätte vorstellen können. Nach der Verletzung habe ich ein Jahr lang daraufhin gearbeitet, aber letztlich wusste ich überhaupt nicht, wo ich stehe. Einen besseren Einstieg, vor allem im Weitsprung, hätte ich nicht finden können.

Hätten Sie gleich mit diesen starken Leistungen gerechnet?

Lucie Kienast:

Im Training hatte sich das schon ein bisschen angedeutet, vor allem im Weitsprung. Ich hatte deswegen ein super gutes Gefühl und Lust darauf, endlich wieder zu springen. Ich wusste schon beim Einlaufen, dass es gut werden wird. Wobei ich nach dem 6,54-Meter-Sprung nicht gedacht habe, dass ich damit meine Bestleistung einstelle. Ich hatte mich beim Absprung nicht optimal getroffen, deswegen war es dann sogar recht überraschend.  

Den Siebenkampf haben Sie letztlich nicht ganz beendet, sondern sind nach dem Speerwurf ausgestiegen. War das eine Vorsichtsmaßnahme?

Lucie Kienast:

Genau, die 800 Meter haben wir weggelassen, weil in den nächsten Wochen noch ein paar Wettkämpfe anstehen. Es ging erstmal nur darum zu testen, wo ich stehe.

Fast genau ein Jahr ist nun her, als Sie sich in Götzis das vordere Kreuzband im linken Knie gerissen haben. Was geht einem in den Tagen nach so einer Verletzung durch den Kopf?

Lucie Kienast:

Ich habe mich die ganze Rehazeit über gefragt, warum mir das passieren musste. Ich habe es irgendwie auch als unfair empfunden, weil ich zu dem Zeitpunkt sehr fit war. Aber ich habe es gleichzeitig auch relativ schnell akzeptiert und mir gesagt, dass das dann eben jetzt mein Weg ist, den ich gehen muss. Im Nachhinein würde ich sagen, dass mich die Verletzung vor allem mental weitergebracht hat. Ich habe mir den Hintern aufgerissen und habe alles gemacht, was man machen kann, um zurückzukommen. Deswegen fühle ich mich jetzt auch stärker als vorher.

Gedanken an ein Aufgeben gab es also nie?

Lucie Kienast:

Nein, nicht eine Sekunde.

Wie können wir uns die Zeit nach Ihrer Verletzung generell vorstellen?

Lucie Kienast:

Ich hatte ja nicht nur einen Kreuzbandriss, sondern mir im Beuger auch die Faszie eingerissen. Durch die Einblutung mussten wir erstmal ein paar Tage warten, bis wir das MRT machen konnten. Letztlich hatte ich Glück im Unglück, dass es "nur" das vordere Kreuzband war. Ende Juni wurde ich dann operiert, war anschließend vier Wochen lang zuhause und bin dann für drei Wochen in die Reha gegangen. Danach ging es step by step. Das Schwierige war, dass ich ab September bei der Bundespolizei angefangen habe und in Kienbaum vor Ort war. Dort war ich dann erstmal ziemlich auf mich alleine gestellt, ohne meinen Trainer Wolfgang Kühne, und habe viel alleine gearbeitet.

Wann standen Sie erstmals wieder auf dem Trainingsplatz?

Lucie Kienast:

Die ersten ganz lockeren Trainingsschritte habe ich im Oktober gemacht, aber das war schon noch sehr humpelnd (lacht). Mein Trainer und ich haben gesagt, dass wir uns Zeit nehmen und nichts überstürzen wollen. Wir wollten, dass die Verletzung komplett ausheilt. Dabei haben wir nicht nur auf den medizinischen Rat, sondern auch auf mein Körpergefühl gehört. Das habe ich von Anfang an klargemacht: Wenn der Arzt sagt, ich kann etwas machen, aber ich denke, dass es zu früh ist, dann mache ich das nicht. Und wenn ich aber das Gefühl habe, ich kann das machen und fühle mich gut dabei, dann mache ich es. Damit sind wir gut gefahren. Ende Januar habe ich das grüne Licht von meinem Arzt bekommen, dass ich wieder 100 Prozent geben kann. Erst im Februar habe ich dann die ersten Sprünge in die Grube gemacht.

Gab es etwas, was Ihnen in all den schwierigen Monaten geholfen hat?

Lucie Kienast:

Meine Familie, meine Freunde und mein Trainer. Wolfgang Kühne kann einen immer sehr gut aufbauen, das hat mir total geholfen. Und auch die Zeit bei der Bundespolizei, weil das dort ein echtes Teamgefüge ist. Es ging alles über die Menschen, die mich auf dem Weg begleitet haben.  

Richten wir den Blick nach vorne. Welche Ziele haben Sie sich für dieses Jahr gesetzt?

Lucie Kienast:

Nach meiner Geschichte ist es für mich erstmal das Wichtigste, dass ich gesund bleibe. Ich möchte mich nicht auf bestimmte Ziele festlegen. Grundsätzlich kann alles passieren, wenn ich denn gesund bleibe. Das ist mein höchstes Ziel für dieses Jahr. Ich nehme jetzt erstmal das gute Gefühl vom Wochenende mit, das war ja auch nur der Einstieg. Es sollte also noch Einiges gehen.

Wie sieht Ihr weiterer Fahrplan aus? Wo können wir Sie in den kommenden Wochen sehen?

Lucie Kienast:

Am Sonntag werde ich in Garbsen starten und die Woche darauf in Dessau. Viel mehr haben wir aktuell noch gar nicht geplant, weil wir nach der Verletzung erstmal von Wettkampf zu Wettkampf schauen wollen.

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