| Interview der Woche

Gina Lückenkemper: „Ich habe das freie Laufgefühl einfach nur genossen“

Mit ihren besten 100-Meter-Zeiten seit dem EM-Finale 2018 in Berlin hat sich Gina Lückenkemper (SCC Berlin) am Samstag in Wetzlar mit 11,04 Sekunden in der europäischen Sprint-Elite eindrucksvoll zurückgemeldet. Im Interview spricht die 25-Jährige über die Rennen in Wetzlar, das Fern-Coaching von Lance Brauman und schwierige Jahre nach den EM-Erfolgen 2018.
Martin Neumann

Herzlichen Glückwunsch Gina Lückenkemper zu Ihren zwei Top-Zeiten am Samstag in Wetzlar!

Gina Lückenkemper:
Vielen Dank.

Haben Sie im Vorfeld denn gedacht, dass Sie schon wieder 11,04 und 11,07 Sekunden in den Beinen haben?

Gina Lückenkemper:
Es hatte sich bereits im Training in Florida mehrfach angedeutet. Allerdings sind es dann doch immer noch zwei verschiedene Paar Schuhe, etwas im Training zu laufen und es dann auch im Wettkampf auf die Bahn zu bringen.

Schon Ihr starker Vorlauf von 11,07 Sekunden sah richtig rund aus. Ich habe das Rennen in der Schlange beim Bäcker im Livestream verfolgt und ziemlich überrascht dreingeschaut, als die Zeit angezeigt wurde…

Gina Lückenkemper:
… ja, so kann man mittlerweile auch die Leichtathletik verfolgen (lacht). Der Vorlauf hat sich einfach gut angefühlt. Deshalb bin ich auch nicht früher auf die Bremse gegangen, sondern habe es einfach runter rollen lassen und habe versucht, technisch sauber zu laufen.

Sie wirken speziell beim Start deutlich explosiver als in den vergangenen beiden Jahren. Welche Rolle spielt die Umstellung beim Start? Zur Erklärung: Sie starten nun wieder mit dem linken Bein in der vorderen Startblock-Position. Wie ist es zu dieser Umstellung gekommen und wie fühlt sich diese an?

Gina Lückenkemper:
Bei unserem Wechseltraining in Florida mit einigen DLV-Staffelpartnerinnen ist mir bei der Auswertung der Biomechaniker aufgefallen, dass meine Ablaufzeiten mit dem linken Fuß vorn schneller waren als mit rechts vorn. Das habe ich natürlich direkt mit meinem Trainer Lance Brauman besprochen. Also haben wir es direkt im Training mit einer Umstellung versucht und waren sehr positiv überrascht. Wieso es mit links vorn aktuell so viel besser läuft als mit rechts wissen wir nicht genau. Aber am Ende lernt die andere Seite ja immer etwas mit und anscheinend ist da bereits ein Schalter gekippt, den ich mit der rechten Seite vorn noch nicht gefunden habe.

Bei welchen Einheiten spüren Sie, dass die Form so richtig gut ist?

Gina Lückenkemper:
Das waren zuletzt Einheiten mit schnellen Tempoläufen. Da spürt man, dass es besser und einfacher läuft als gewohnt.

Wie hat es sich in Wetzlar angefühlt, in beiden Rennen der starken Konkurrenz auf der zweiten Streckenhälfte auf und davon zu ziehen?

Gina Lückenkemper:
Das habe ich im Rennen gar nicht so sehr wahrgenommen. Ich habe dieses freie Laufgefühl einfach nur genossen. Ich war einfach richtig im Flow.

Sie stehen, auch wenn Sie in Deutschland sind, im engen Kontakt mit Ihrem Trainer Lance Brauman in Florida. Hat er die Rennen gesehen und wie war seine Reaktion?

Gina Lückenkemper:
Lance und ich standen am Samstag die ganze Zeit in Kontakt. Als ich ihm nach dem Vorlauf einen Screenshot der Live-Ergebnisse geschickt habe, kam von ihm als erste Reaktion, dass er genau diesen Screenshot von so ziemlich jedem Menschen aus Deutschland, den er kennt, gerade bekommen hat. Er hat sich sehr für mich mitgefreut, hat mir ein Feedback zum Vorlauf gegeben und ein paar Worte fürs Finale. Nach dem Finale haben wir dann direkt kurz telefoniert.

Die 11,04 Sekunden sind Sie bei Windstille gelaufen. Was ist für Sie in den kommenden Wochen und Monaten bei guten Bedingungen noch möglich?

Gina Lückenkemper:
Das ist eine gute Frage, die sich aktuell bestimmt viele stellen. Ich denke, dass da noch einiges geht, solange ich weiterhin fit und verletzungsfrei bleibe.

In Wetzlar haben Sie sich 2015 als 18-Jährige für den WM-Start in Peking empfohlen. Wenige Monate später haben Sie in einem vollen „Vogelnest“ der deutschen Schlussläuferin Verena Sailer im WM-Finale den Staffelstab in die Hand gedrückt. Nun haben Sie erneut in Wetzlar die WM-Norm abgehakt. Was bedeutet Ihnen diese Sprint-Bahn, dieses Meeting?

Gina Lückenkemper:
Wetzlar war und ist für mich bisher immer ein gutes Pflaster, ich laufe sehr gern dort. Die Stimmung ist immer gut und die Athleten werden wahnsinnig wertgeschätzt, sowohl von Publikum als auch von den Veranstaltern. Daraus ergibt sich ein einfach gutes Gesamtpaket.

Wie sieht Ihre weitere Saisonplanung aus?

Gina Lückenkemper:
Als Nächstes stehen erst mal die Finals in Berlin mit der DM im Olympiastadion auf dem Programm. Danach folgen die WM in Eugene und natürlich die EM in München. Also drei Meisterschaften in acht Wochen.

Sie sind 2017 und 2018 insgesamt dreimal unter elf Sekunden geblieben. Wie hat sich die Sprinterin Gina Lückenkemper seit diesen vier, fünf Jahren entwickelt?

Gina Lückenkemper:
Die Sprinterin Gina Lückenkemper wurde seitdem oft durch den Dreck gezogen. Aber dadurch durfte ich viel über mich und mein Umfeld lernen, auch wenn es teilweise echt nicht einfach war. Endlich sind mein Körper und mein Kopf uns wieder einig und können endlich wieder das zeigen, wofür ich die vergangenen Jahre hart gearbeitet habe.

Wann folgt die vierte „Sub 11“ Ihrer Karriere?

Gina Lückenkemper:
Hoffentlich möglichst bald!

Mehr:

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Top 10: Die schnellsten 100-m-Zeiten von Gina Lückenkemper

10,95 sec (+1,3) | 05.08.2017 | London
10,98 sec (+0,2) | 07.08 2018 | Berlin
10,98 sec (0,0) | 07.08 2018 | Berlin
11,01 sec (0,0) | 08.07.2018 | Erfurt
11,04 sec (+1,2) | 29.07. 2016 | Mannheim
11,04 sec (+1,8) | 25.05.2017 | Zeulenroda
11,04 sec (0,0) | 11.06.2022 | Wetzlar
11,07 sec (+0,3) | 05.07.2018 | Lausanne
11,07 sec (+1,2) | 11.06.2022 | Wetzlar
11,10 sec (-0,7) | 08.07.2018 | Erfurt

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