| Hinter den Kulissen

Mit Herzblut und Kompetenz: Das medizinische Team im DLV macht Top-Athleten fit

Aus Leidenschaft für den Sport, die Arbeit mit den Athletinnen und Athleten und mit viel Hingabe kümmern sich Ärzte, Physiotherapeuten und Chiropraktoren sowie Psychologen bei Meisterschaften, in Trainingslagern und während der Saison um die DLV-Asse. Mit Teamwork und geballter Expertise ist es ihnen eine Herzensangelegenheit, den Sportlerinnen und Sportlern die bestmögliche medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Dafür investieren die Fachkräfte neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit in Praxen oder in der Klinik viel Zeit und Engagement.
Svenja Sapper

Ein lautes „Hepp!“ schallt durch das Sepp-Brenninger-Stadion in Erding. An diesem Freitagvormittag, an dem die Sonne erbarmungslos vom Himmel brennt, sind die Sprinterinnen im Vorbereitungs-Camp auf die Europameisterschaften in München mit Staffeltraining beschäftigt. Nur wenige Meter von der blauen Laufbahn entfernt liegt unter einem roten Sonnenschirm, der den nötigen Schatten spendet, Kugelstoßerin Katharina Maisch (LV 90 Erzgebirge) auf der Physiobank.

Therapeut Martin Kober kümmert sich um die 25-Jährige, massiert, streicht glatt und hebt die Beine der Athletin vorsichtig an. „Ich habe seit ein paar Wochen etwas Probleme mit meinem Knie, deshalb hat er da noch mal draufgeguckt“, erläutert die U23-EM-Zweite von 2019. „Das ist auch für den Kopf wichtig, dass die Physios uns von Kopf bis Fuß durchchecken und ich weiß, dass alles in Ordnung ist.“

Ehemalige Athleten wollen dem Sport etwas zurückgeben

Die Beziehung zwischen den Athletinnen und Athleten und ihren Physiotherapeuten, sie ist eine besondere. Eine, die von beidseitigem Vertrauen geprägt ist. „Ich sage immer, ein Physio ist eigentlich auch wie ein Psychologe, man vertraut ihm viel an“, meint Katharina Maisch. Auch Psychologinnen und Psychologen stehen dem DLV-Team zur Seite. „Wir schlagen auch die Brücke zu den Psychologen“, sagt Martin Kober. „Es macht unsere Arbeit aus, mit Ärzten, Psychologen, Chiropraktoren zusammenzuarbeiten, um nicht nur die beste Performance rauszuholen, sondern auch das Wohlbefinden zu gewährleisten. Wenn es dem Athleten psychisch gut geht und er gefestigt in den Wettkampf startet, haben alle was davon.“

Patrick Pfingsten bestätigt das. Seit diesem Jahr hat er gemeinsam mit Susanne Hentsch und Rainer Schubert die Leitung des physiotherapeutischen Teams im Deutschen Leichtathletik-Verband inne. Viele Physiotherapeutinnen und -therapeuten, ebenso wie die Ärzte, seien selbst ehemalige Sportler, die ihre eigenen Erfahrungswerte auch an die Athletinnen und Athleten weitergeben können. „Rainer Schubert und ich waren Zehnkämpfer. Dann will man den Sport in der Zukunft weiter unterstützen. Wenn man die Chance dazu hat, den Beruf damit zu verbinden, dann passt das“, berichtet er.

Fast 100 Physiotherapeuten zählen gemeinsam mit 35 Ärzten und rund zehn Chiropraktoren zum medizinischen Team des DLV. Hauptberuflich sind sie in Praxen oder Kliniken tätig. Die Aufgaben gestalten sich vielfältig: Vor allem Chirurgen, Orthopäden und Allgemeinmediziner werden ständig gebraucht, die Physiotherapeuten massieren, analysieren Funktionsstörungen im Bewegungsapparat und behandeln diese. Präventive Maßnahmen und die Behandlung von körperlichen Beschwerden halten sich die Waage. Acht Physiotherapeuten und zwei Ärzte sind bereits im Vorbereitungs-Camp in Erding vor Ort, zwölf beziehungsweise fünf sind es in München.

Der unsichtbare Aufwand

„Der Aufwand, den man nicht sieht und auch nicht beziffern kann, ist schon relativ groß“, sagt Andrew Lichtenthal, Leitender DLV-Team-Arzt. Der Chirurg, der als Geschäftsführender Oberarzt im St. Vinzenz-Krankenhaus in Hanau tätig ist, betont: „Wir haben alle Vollzeitjobs, ich arbeite ganz normal meine Stunden ab. In meiner Funktion als Leitender Verbandsarzt kommen dazu noch Telefonate, E-Mails, Konzepte, die erstellt werden müssen. Das beläuft sich sicher auf zehn Stunden in der Woche – auch ganz ohne Wettkampf- und Trainingslagerbetreuung.“

Während die Physios auch während der Wettkämpfe omnipräsent sind und die Athletinnen und Athleten auch auf die Aufwärm- und Wurfplätze begleiten, halten sich die Ärzte eher zurück. „Wenn wir offensichtlich sehen, dass irgendwas nicht stimmt, gehe ich schon auf die Person zu. Ansonsten ist unsere Aufgabe, abzuwarten, ob es Notfälle gibt. Als Leiter führe ich viele Gespräche und kümmere mich darum, Störungsfaktoren vom Team abzuwenden“, berichtet Andrew Lichtenthal. In Trainingslagern und Pre-Camps werden hingegen alle Athletinnen und Athleten durchgecheckt.

Gerade im Vorfeld ist im medizinischen Team besonders viel Abstimmung notwendig. In Corona-Zeiten müssen Hygienekonzepte erstellt werden. So wird beispielsweise in Erding jeder Neuankömmling direkt bei seiner Ankunft von den Ärzten zum Corona-Test gebeten. Außerdem eine große Herausforderung: die Prävention von Verletzungen. „Und wir erkennen, dass möglicherweise Erkrankungen kommen könnten, die sich ausbreiten können, ist es unser Hauptanliegen, das zu verhindern“, meint Lichtenthal. Bereits vor der Pandemie mussten die Mediziner diese Erfahrung machen. Bei den Weltmeisterschaften 2017 in London (Großbritannien) hatte sich im Mannschaftshotel ein Norovirus ausgebreitet, Athletinnen und Athleten verschiedener Nationen waren betroffen: „Das hat uns sehr belastet.“  

Aufteilung nach Disziplingruppen

Im Mannschaftshotel in Erding werden die Termine im Physioraum im Halbstundentakt vergeben, manche DLV-Asse nehmen auch zwei Termine direkt hintereinander und damit eine ganze Stunde in Anspruch. Das Physio-Team teilt sich auf: Einige von ihnen behandeln im Hotel, wo als physikalische Unterstützung die Gerätschaften der Firma Zimmer aufgebaut sind, die im Kälte- und Wärmebereich sowie in der Elektro-, Ultraschall-, Laser- und Stoßwellentherapie zum Einsatz kommen. Viele Athletinnen und Athleten erscheinen direkt nach ihrer Anreise zur Behandlung, nach dem langen Sitzen im Zug oder Auto sind regenerative Maßnahmen nötig. Andere Physios begleiten die Sportlerinnen und Sportler ins Stadion, um sie mit Bandagen und Eis versorgen und auf akute gesundheitliche Probleme reagieren zu können.

Nach dem Staffeltraining kommt Sprinterin Gina Lückenkemper (SCC Berlin) zur Physiobank. Es bedarf lediglich eines Blickkontakts mit Physiotherapeut Raffael Rabe, dann breitet die Vize-Europameisterin über 100 Meter von 2018 schon ihr Handtuch auf der Liege aus und beginnt direkt eine Unterhaltung. Ganz anders Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo (LG Kurpfalz), die sich im Physioraum des deutschen Teamhotels mit geschlossenen Augen auf dem Bauch liegend von Ben Wijkel behandeln lässt. „Malaika und Ben kennen sich seit Ewigkeiten und verstehen sich auch ganz ohne Worte“, erklärt Physio-Kollege Martin Kober.

Welche Physiotherapeutinnen und -therapeuten die Nationalmannschaft zu internationalen Einsätzen begleiten, stimmen Patrick Pfingsten, Susanne Hentsch und Rainer Schubert mit dem DLV-Teammanagement und den Bundestrainern ab. Die Einteilung wird in der Regel nach Disziplingruppen vorgenommen; so betreut etwa Patrick Pfingsten seit vielen Jahren hauptsächlich das Mehrkampfteam. „Meistens sind die Physiotherapeuten beim Großereignis dabei, die über das Jahr viele Wochen mit den Athleten verbringen“, sagt Patrick Pfingsten. Dadurch kennen die Physios ihre Patientinnen und Patienten und deren Körper ganz genau. Sie wissen, welcher Athlet besonders anfällig ist, und können abschätzen, welche Verletzungen in ihrer Disziplingruppe häufig vorkommen.

Ergänzende Angebote

Auf der blauen Bahn des Sepp-Brenninger-Stadions hat auch Chiropraktorin Katharina Karn ihr Equipment aufgebaut. Sie kümmert sich um Langhürdlerin Gisèle Wender (SV Preußen Berlin). „Der Fuß ist ein bisschen fest geworden“, meint sie. Die 21 Jahre alte Athletin, die in München ihre erste internationale Meisterschaft bestreiten wird, legt den Arm um die Chiropraktorin: „Über sie kann man nur Gutes sagen. Ich hatte zuvor leichte Probleme am Fuß, deshalb ist die Behandlung jetzt besonders wichtig.“ Mithilfe der Magnetfeldtherapie, die Katharina Karn angewandt hat, haben die Schmerzen nun nachgelassen.

Chiropraktik sei eine Ergänzung zur Physiotherapie, erklärt Katharina Karn. Es wirke speziell auf die Gelenke. „Außerdem achte ich darauf, dass das Nervensystem gut alle Muskeln ansteuern kann und man die Blockaden löst.“ Sie suche bei wiederkehrenden Beschwerden nach Ursachen, damit einer Heilung nichts im Wege stehe. Die Chiropraktorin, die seit 2018 immer wieder für den DLV im Einsatz ist, hat ein Set des DLV-Regenerationspartners Novafon dabei: „Das ist gut, um die Muskeln zu entspannen. Die Athleten können das auch selbst zu Wettkämpfen mitnehmen, wenn gerade niemand zur Behandlung vor Ort ist.“

Sportmediziner aus Leidenschaft

„Es ist der Sinn des Teams, dass man einen kontinuierlichen Bezug zu den Athleten hat“, sagt auch Heiko Kleemann, der in Erding zum physiotherapeutischen Team gehört. „Es gibt den Athletinnen und Athleten Sicherheit, dass ein Therapeut da ist, der sie kennt. In einem Wettkampf spielen Sicherheiten eine große Rolle, so auch die Kontinuität der medizinischen Versorgung.“

„Die DLV-Tätigkeit lässt sich nicht mit der Arbeit in der Praxis vergleichen“, meint Patrick Pfingsten. „Wir machen das aus Leidenschaft, aus Freude am Sport – nicht wegen des Honorars.“ Andrew Lichtenthal sieht das ähnlich: „Wir machen das, weil wir Freude daran haben, im Sport mit Menschen zusammenzuarbeiten. Viele von uns kommen aus dem Sport, ich war früher auch Mehrkämpfer und Hürdenläufer. Da ist die Passion einfach da.“

Kommunikation ist der Schlüssel

Gerade in einer Führungsposition ist besonders viel Organisationstalent vonnöten. Die Leiter des medizinischen Teams sind mit DLV-Cheftrainerin Annett Stein, dem DLV-Teammanagement und den Bundestrainerinnen und -trainern in permanentem Austausch. „In normalen Praxen, wo wir ja alle tätig sind, sind Termine Monate im Voraus ausgebucht, deshalb müssen wir rechtzeitig planen, sonst können wir die ganzen Wettkämpfe nicht besetzen“, erläutert Patrick Pfingsten. Mindestens ein halbes Jahr im Voraus müsse der Einsatzplan feststehen. Die schwierigste Aufgabe dabei: die Besetzung von Trainingslagern.

„Die Aufenthalte der Sprint-Gruppe der USA oder der Mehrkämpfer in Südafrika dauern häufig drei bis vier Wochen“, sagt Patrick Pfingsten. „Das ist ein großes Zeitfenster. Man kann ja nicht so lange aus der Praxis raus, deshalb muss man frühzeitig Therapeuten finden, die sich dann abwechseln. Das ist das Schwierigste.“ Die größte Herausforderung sei es, spontan zu agieren. „Es passiert immer wieder Unvorhergesehenes, da sind die Erfahrungswerte und die Expertise, die man sammelt, Gold wert.“ Am wichtigsten sei daher die Abstimmung im Team untereinander und auch mit den behandelnden Ärzten der Athletinnen und Athleten.

Expertise ist gefragt

„Man muss gemeinsam agieren, muss auch Experten dazuziehen. Es geht um den Athleten, nicht um das eigene Profil. Man muss einen Weg finden, dem Athleten zu helfen, und wenn man das nicht alleine schafft, muss man sich Hilfe von seinen Kollegen holen. Das läuft wunderbar. Über die letzten Jahre haben wir uns ein starkes Team aufgebaut“, betont Patrick Pfingsten. Am schönsten sei es, wenn sich ein Therapieerfolg abzeichne und beispielsweise ein Athlet doch an den Start gehen könne, dessen gesundheitlicher Zustand zuvor kritisch gewesen sei.

Auch für die klimatischen Bedingungen, die bei den Wettkämpfen herrschen, sorgt das Ärzteteam vor. Für Hitzemanagement setzt der DLV beispielsweise auf die Expertise von Professor Dr. Dr. Karsten Hollander und Dr. Paul Schmidt-Hellinger, die im Marathon und Gehen die deutschen Athletinnen und Athleten bestmöglich auf die Hitzethematik vorbereiten.

Ebenso verantwortet Andrew Lichtenthal die Weiterbildungen für junge Sportmediziner. Auch dies ist eine Gratwanderung: Aufgrund der Vollzeitjobs könnten nicht alle Ideen zeitnah umgesetzt werden. Konzeptionell werden junge Sportmedizinerinnen und -mediziner bei nationalen Wettkämpfen und in Trainingslagern an die Sportbetreuung herangeführt, indem sie einem erfahrenen Team helfen und von diesem lernen dürfen. Das alljährliche Medizinertreffen mit Fortbildungsangeboten wurde aufgrund der Corona-Pandemie zuletzt in ein Management-Meeting in kleinerer Runde umgewandelt, wird aber in Zukunft sicher wieder in großer Besetzung stattfinden können.

Enge Bindungen als Resultat der medizinischen Begleitung

Patrick Pfingstens persönliches Highlight aus 18 Jahren physiotherapeutischer Arbeit beim DLV ereignete sich 2018 bei den Heim-Europameisterschaften in Berlin: Arthur Abele (SSV Ulm 1846), den er 14 Jahre betreut und behandelt hat, wurde Europameister im Zehnkampf. „Es war so ein harter Kampf und er hat alles abgerufen, was er konnte, und den Titel geholt. Emotional war das das Schönste, was ich erlebt habe“, sagt der Therapeut.

Immer wieder kämen auch Athleten, die er im Rahmen der Mehrkampf-Woche kennenlernt, bei der sich jährlich das gesamte Team zusammenfindet und eine Eingangsuntersuchung durchgeführt wird, in seine Praxis in Wunstorf bei Hannover. Vor den U18-Europameisterschaften reiste etwa der spätere Zehnkampf-Sieger Amadeus Gräber aus Nauen an. Von ähnlichen Erlebnissen berichtet auch Andrew Lichtenthal, der seit knapp 20 Jahren in der sportmedizinischen Betreuung tätig und seit Ende 2016 Leitender DLV-Teamarzt ist. Häufig werden während der aktiven Zeit, aber auch nach dem Rücktritt von Athletinnen und Athleten, nicht nur diese, sondern auch ihre Familienmitglieder medizinisch begleitet und weiterbetreut.

Eine ehemalige Weltklasse-Athletin habe sich etwa mit ihrer ganzen Familie von ihm behandeln lassen. „Man hat dann auch eine Beraterfunktion“, sagt er. Auch traurige Erlebnisse sind ihm im Gedächtnis geblieben, wie etwa die Sprunggelenksverletzung von Zehnkämpfer Niklas Kaul (USC Mainz) bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan). „Patrick Pfingsten und ich haben es nicht geschafft, ihn in kurzer Zeit wieder fit zu kriegen. Auch das bleibt in Erinnerung, dass man versucht hat zu helfen. Da verdrückt man schon eine Träne.“

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