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Leistungssprung und EM-Finale: Das Jahr des Joshua Abuaku

Am Freitagabend wurde für 400-Meter-Hürden-Spezialist Joshua Abuaku ein Traum wahr: Er durfte vor Heimpublikum im EM-Finale von München laufen. Mit neuer persönlicher Bestzeit schrammte er gar nur hauchdünn an einer Medaille vorbei. Damit steht nun endgültig fest: Nach Verletzungsproblemen am Anfang der Saison ist 2022 sein Jahr.
Svenja Sapper

Es war ein Finaleinzug mit Ansage. „Ich komme ins Finale, weil ich eine sehr gute Vorleistung und Form mitbringe. Wenn man so weit vorne steht, will man das auch in einem EM-Halbfinale abrufen“, hatte Joshua Abuaku (Eintracht Frankfurt), Fünfter der Meldeliste, bereits eine Woche vor seinem EM-Auftritt im Vorbereitungstrainingslager im bayerischen Erding angekündigt. Und bereits am Donnerstagabend bewies der 400-Meter-Hürden-Läufer, dass er nicht zu viel versprochen hatte: In 49,05 Sekunden zog er als Zweiter seines Halbfinals direkt in den Endlauf ein.

Einen Tag später setzte er dann noch sein zweites Ziel in die Tat um: „Ich will im Finale auf jeden Fall unter 49 Sekunden laufen“, lautete Abuakus Kommentar nach dem Halbfinale. Und wieder hielt er Wort: In 48,79 Sekunden blieb er nicht nur deutlich unter der 49-Sekunden-Marke, sondern verfehlte beim Sieg des Weltrekordlers Karsten Warholm (Norwegen) die Bronzemedaille als Fünfter nur um eine Hundertstel. Auch wenn es in München haarscharf noch nicht zu Edelmetall reichte, bewies der 26-Jährige: Seine Zeit ist jetzt.

„Good things take time“

Dabei hatte das Jahr alles andere als vielversprechend für den Langhürdler begonnen. Nachdem er im Mai beim Meeting der krummen Strecken in Pliezhausen mit guten Tests über 150 und 300 Meter eingestiegen war, zog er sich im Trainingslager einen Muskelabriss im Adduktorenbereich zu. Ein erstes 400-Meter-Hürden-Rennen Ende Mai in Frankreich konnte er nicht zu Ende bringen und musste einige Starts, darunter auch den bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin Ende Juni, absagen.

Für Joshua Abuaku jedoch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Denn der 26-Jährige wusste, welches Potenzial in ihm schlummerte. „Good things take time“ (Gute Dinge brauchen Zeit) war in den vergangenen Monaten immer wieder auf seinem Instagram-Account zu lesen. „Gerade in diesem Jahr haben bis zu einem gewissen Punkt sehr viele Sachen sehr gut funktioniert. Vieles ist genau so gelaufen, wie wir es im Vorfeld geplant hatten. Dann kam leider die Verletzung dazu“, reflektiert Joshua Abuaku und fügt hinzu: „Genau an dem Punkt setzt das Motto an. Man hat das Ganze ja nicht umsonst gemacht und muss in solchen Momenten weiterhin dran bleiben.“

Anfang Juli zahlte sich diese Geduld schließlich aus. In La-Chaux-de-Fonds in der Schweiz, wo er 2019 mit 49,49 Sekunden seinen Hausrekord aufgestellt hatte, durchbrach er nach drei Jahren ohne Bestleistung die 49-Sekunden-Schallmauer und kam in 48,80 Sekunden ins Ziel. Um gleich sieben Zehntel schraubte er seine Bestzeit nach unten. Ein Leistungssprung, auf den der 26-Jährige lange hingearbeitet hatte.

Aufschwung auf der 400-Meter-Hürden-Strecke

Vergangenes Jahr waren es noch andere Athleten, die unter 49 Sekunden blieben. Namentlich: der Sindelfinger Constantin Preis (48,60 sec), Abuakus Trainingskollege Luke Campbell (Sprintteam Wetzlar; 48,62 sec) und der Berliner Emil Agyekum (48,96 sec). Für Abuaku war klar: Derartige Ergebnisse sind auch für ihn keine Utopie. „Seit letztem Jahr war das schon auf meiner Agenda, weil meine drei Disziplinkollegen auch unter 49 gelaufen sind“, erklärt er. „Ich habe mich schon auf einer Ebene mit ihnen gesehen, aber hatte eben die Zeit noch nicht stehen. Daher war das für diese Saison eines der Hauptziele, eine 48er Zeit stehen zu haben. Dass das gleich im ersten Rennen geklappt hat, war natürlich umso besser.“

Zu viert stehen die Langhürdler für den aktuellen deutschen Aufschwung über 400 Meter Hürden. Zuvor hatte fast sieben Jahre lang kein Deutscher mehr die 49 Sekunden geknackt, Felix Franz (LG Neckar-Enz) war im EM-Halbfinale von 2014 der Letzte gewesen. Zwar konnten Campbell und Agyekum in diesem Jahr verletzungsbedingt nicht ins Geschehen eingreifen, Constantin Preis wurde auch erst kurz vor den Europameisterschaften fit und erreichte dann immer noch das Halbfinale. Doch klar ist: Das Potenzial, die Entwicklung der Disziplin weiter voranzutreiben, haben sie alle – und spielen ihre Stärken auf unterschiedliche Art und Weise aus.

Verschiedene Erfolgsrezepte

„Jeder von uns hat sein eigenes Rezept, wir sind alle sehr unterschiedlich“, meint Joshua Abuaku. „Luke und ich, wir ähneln uns wahrscheinlich noch am ehesten, weil wir zusammen trainieren. Aber ich glaube, was wir alle gut können, ist, unsere eigenen Stärken einfach noch mal mehr zu verbessern. Jeder hat seine eigenen Qualitäten, das sieht man ja auch in den Rennen. Luke ist beispielsweise derjenige, der vorne sehr schnell ist und sich hinten durchkämpft. Constantin ist jemand, der vorne etwas gemächlicher angeht, aber dafür hintenraus noch viele Körner übrig hat.“

Sich selbst sieht der 26-Jährige „irgendwo dazwischen“: „Ich gehe nicht so schnell an wie Luke, kann aber hinten ein bisschen konstanter durchlaufen. Deswegen würde ich mich so einschätzen, dass ich da einen Mittelweg gehe.“ Mit Luke Campbell trainiert er gemeinsam in der Trainingsgruppe von Volker Beck in Frankfurt, aber auch mit Emil Agyekum und Constantin Preis hat er im Trainingslager häufig gemeinsame Einheiten absolviert. Das Quartett profitiert voneinander, der Konkurrenzdruck tue allen gut.

Mit Kamera bei Olympia

Am wichtigsten ist für Joshua Abuaku dabei sein Trainingskollege Luke Campbell, der aufgrund eines Bandscheibenvorfalls in diesem Jahr keine Wettkämpfe bestreiten kann. „Ich profitiere auch jetzt gerade von ihm. Er kann zwar viele Sachen im Training aktuell nicht mitmachen, aber er unterstützt mich trotzdem jedes Mal, ist bei jedem Training mit am Platz. Meistens steht er mit am Rand, wenn ich meine Läufe mache, und feuert an“, sagt er. 2017 kam Abuaku aus Oberhausen in die Trainingsgruppe von Volker Beck in Frankfurt. „Es ist ein langer Weg, den wir zusammen gehen, und gerade die Meilensteine, wie das erste Mal unter 50 Sekunden, das erste Mal unter 49 Sekunden, habe ich ihm zu verdanken“, meint der Athlet.

Ein weiterer Meilenstein: Sein Olympia-Start in Tokio (Japan) im vergangenen Jahr. Dort erreichte er das Halbfinale und fing darüber hinaus unvergessliche Momente mit seiner Kamera ein, die er als Vlogs für seinen Instagram-Account aufbereitete. Eine kreative Aktivität, die ihm Spaß macht. Auch vor den Europameisterschaften in München habe er überlegt, ob er seine Kamera einpacken solle. „Aber ich habe letzte Woche meine Bachelorarbeit abgegeben und bin jetzt ganz froh, dass ich einfach bis auf Training und Wettkampf nichts machen muss“, sagt er. Das Thema seiner Abschlussarbeit an der Deutschen Sporthochschule Köln im Übrigen: eine Evaluation des World Ranking Systems im Vorfeld der Olympischen Spiele in Tokio.

Dankbarkeit für eigene Chancen

Dass er, obwohl der Sport bei ihm „auf jeden Fall erste Priorität“ hat, parallel studieren konnte, verdankt Joshua Abuaku dem Sportförderprogramm der Bundeswehr. „Ich hatte an der ein oder anderen Stelle Glück. Mein Bundestrainer hat mich damals entdeckt, obwohl ich nicht Erster oder Zweiter in meiner Altersklasse war. Man braucht immer ein Quäntchen Glück und die richtige Unterstützung“, betont der Sportler.

Dabei wird er nicht müde, Werbung für die eigene Disziplin zu machen: „Die 400 Meter Hürden vereinen viele Aspekte. Selbst wenn man nicht die allerbesten Anlagen hat und nicht der oder die Allerschnellste ist, kann man trotzdem 400 Meter Hürden laufen, weil man viele andere Bereiche mit reinbringt. Man kann viel an der Schnelligkeitsausdauer machen, man kann viel an der Hürdentechnik arbeiten. So war es bei mir auch: Ich war nicht der Allerschnellste, aber ich war schnell. Ich konnte ganz gut 400 Meter laufen. Ich war ein ganz guter Hürdenläufer – und so habe ich verschiedene Aspekte miteinander kombiniert und letztlich sind es die 400 Meter Hürden geworden.“ Eine gute Entscheidung, wie sich allerspätestens am Freitag im EM-Finale herausstellte.

EM 2022 München

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