| Interview der Woche

Rebekka Haase: „Früher wollte ich mich verstecken, heute genieße ich die Aufmerksamkeit“

Hinter ihr liegt ein Jahr, an das sie sich wohl ewig erinnern wird. Sprinterin Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) erlebte 2022 eine emotionale Achterbahn. Nach Depressionen, wegen denen sie auch die Hallensaison absagte, lief die 29-Jährige mit der DLV-Staffel im Sommer zu WM-Bronze und zum EM-Titel. Nach ihrem Auftritt bei den #TrueAthletes Classics in Leverkusen (Platz drei; 11,41 sec) sprach die Deutsche 200-Meter-Meisterin über den neuen Stellenwert ihrer Sportart, ihren jahrelangen Kampf mit Depressionen, wie sie ihre Angst vor der Öffentlichkeit überwinden konnte und damit auch anderen Mut machen möchte.
Alexandra Dersch

Herzlichen Glückwunsch zu dieser unglaublichen Saison und auch zum Rennen hier in Leverkusen. Wie hat sich das heute angefühlt, hier zu laufen?

Rebekka Haase:

Ich hatte einfach Spaß. Ich wollte nach der EM nochmal rennen, um genau das zu haben: Spaß. Und das hier hat richtig Spaß gemacht. Das Publikum macht richtig Bock. Es ist schön, dass so viele Menschen da sind. Es ist schön, dass die Menschen begeistert sind von der Leichtathletik und da freue ich mich jetzt auch noch auf zwei weitere schöne Wettkämpfe in diesem Sommer.

Merken Sie nach der EM eine andere Begeisterung als zuvor? Sie haben hier lange Autogramme geschrieben, Fotos gemacht und Interviews gegeben. Hat sich das verändert?

Rebekka Haase:

Dass ich in einer gewissen Art und Weise erkannt werde, das war schon vorher so. Aber die EM hat die Leichtathletik generell noch einmal in einen schönen Fokus gerückt. Die Begeisterung, die in München im Stadion zu fühlen war, die ist auch nach außen geschwappt. Denn so wie jetzt habe ich das noch nie erlebt. Ich werde erkannt, begrüßt, angefeuert – das ist definitiv anders geworden. Da ist ein Funke übergesprungen und ich freue mich auch für die ganze Sportart, dass sie die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient hat.

Ist das für Sie auch ein Stück weit Bestätigung und Lohn für die Täler, die Sie auf dem Weg durchschreiten mussten?

Rebekka Haase:

Ja, das habe ich immer im Hinterkopf. Als Leichtathletin weiß ich, dass ich von den Emotionen lebe. Und nicht von den schnellen Zeiten. Klar, schnelle Zeiten sind toll. Aber woran man sich erinnert, das sind die Emotionen. Die Energie, die so ein Stadion in sich hat. Für diese Momente lebe ich und die will ich immer öfter erleben. Und wenn man das genießen kann, dann ist das das Schönste als Sportler und als Sportlerin.

Jetzt liegt hinter Ihnen ja ein unglaubliches Jahr. Die Hallensaison haben Sie noch ausgelassen, sind dann im Sommer aber richtig durchgestartet. Bronze bei der WM, Gold bei der EM. Ist das schon so richtig angekommen?

Rebekka Haase:

Nein, noch so gar nicht. Ich hatte noch gar nicht die Zeit dazu. Nach der DM ist mir erstmal ein riesen Stein vom Herzen gefallen, dass ich überhaupt dabei bin bei den internationalen Großereignissen. Von dort ging es direkt zur WM. In Eugene haben wir so abgeräumt, uns den ersten kleinen Lebenstraum erfüllt und waren emotional auf Wolke Sieben. Dann kommen wir nach Hause, mit unglaublichem Jetlag und diesem Wow-Gefühl noch im Gepäck, versuchen uns dann aber schon wieder zu fokussieren, weil wir ja genau wussten, es kommt noch so ein emotionaler Höhepunkt. Da den Fokus zu finden, das war extrem hart. Der Körper kam schnell wieder an, erholte sich vom Jetlag, aber der Kopf, der braucht. Deshalb war es umso schöner, dass wir das letzte Rennen der EM in so einer Weise zu Ende bringen konnten. Das war alles andere als selbstverständlich. Ich bin da unglaublich stolz auf alle Mädels, die das Team da mitgetragen haben. Das war eines unserer Meisterstücke.

Gab es den einen Moment, von dem Sie heute sagen können: Das war magisch?

Rebekka Haase:

Eigentlich die ganze EM. Ich habe ja auch schon Berlin mitgemacht, das war schon besonders, emotional und aufregend. Aber München war für mich persönlich noch mal ein anderes Level. Wie wir gefeiert wurden. Jeder Schritt wurde gefeiert, vom ganzen Stadion – ich bekomme da heute noch Gänsehaut. Einen Moment, den ich aber definitiv nicht vergessen werde, war der Speerwurf von Niklas Kaul. Dabei waren wir da gar nicht selber im Stadion. Aber außen auf dem Aufwärmplatz haben wir das Stadion regelrecht beben gefühlt. Das war so eine Verbindung zu dem Publikum und der Energie – das habe ich in dieser Form tatsächlich noch nie erlebt.

Ein paar Monate zuvor war für Sie an solche Emotionen noch nicht zu denken. Die Hallensaison haben Sie aufgrund von „Post-Olympia-Depressionen“ abgesagt, so wurden Sie zumindest nach Ihrem Interview im Vorbereitungstrainingslager auf die EM hin zitiert. Es war das erste Mal, dass Sie über Ihre Depressionen gesprochen haben. War das spontan, oder war dieser Schritt in die Öffentlichkeit für Sie geplant?

Rebekka Haase:

Es war eher spontan. In den Interviews bei den Medientagen im Vorbereitungstrainingslager ging es unter anderem auch um mentale Stärke. Ich habe in den letzten Monaten viele Athleten erlebt, die so gekämpft haben und vielleicht sehe ich die Sportler und Sportlerinnen mit meiner Erfahrung inzwischen anders, aber auch deshalb hatte ich das Bedürfnis, dazu etwas zu sagen. Unsere Sportart ist hart. Wir haben nur ein, manchmal vielleicht zwei Höhepunkte im Jahr und daran werden wir gemessen, ganz egal, was vorher war. Und das muss man erstmal aushalten.

Eine Herausforderung, die Sie zu gut kennen…

Rebekka Haase:

Ich habe so lange mit mir gekämpft. Und nicht nur nach Olympia. Das waren nur ein paar Monate. Ich habe schon Jahre lang zuvor gekämpft und mich nie auf der Bahn wohl gefühlt. Ich wollte mich eigentlich lieber verstecken, wollte nicht gesehen werden. Aber so kann man keine Leistung bringen. Und so geht es einigen. Nicht alle werden als Rampensau geboren. Das zu lernen, das ist richtig harte Arbeit. Und diesen Dialog müssen wir anfangen. Auch für den Nachwuchs, um ihnen vielleicht den Weg leichter zu machen. Um ihnen zu zeigen, ihr seid nicht allein. Es sollte kein Tabu sein. Und das Schöne ist: Wenn man will, kann man daran arbeiten, es gibt Wege, es gibt Menschen, die helfen und es wird besser.

Kann man sagen, Sie sind in diesem Jahr nicht nur als Sportlerin, sondern auch als Mensch gewachsen?

Rebekka Haase:

Beides. Und das war auch mein persönliches Highlight in diesem Jahr. Ich stand im Olympiastadion vor 50.000 Menschen und habe es genossen. Wir sind da mit einem EM-Titel raus und ich kann mich so sehr darüber freuen und das genießen. Früher wollte ich mich verstecken, heute genieße ich die Aufmerksamkeit. Dieses Gefühl, das habe ich mir so hart erarbeitet und ich bin sehr stolz darauf.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024