| Leute

Joshua Hartmann: EM-Finale als Zwischenstation

Bei der EM in München ist ihm Historisches gelungen: Als erster Deutscher seit 1986 zog Joshua Hartmann ins 200-Meter-Finale bei Europameisterschaften ein. Doch der 23 Jahre alte Kölner hat noch Großes vor: Dieser Erfolg soll nur eine Zwischenstation gewesen sein. Seine Zukunft sieht der Sprinter nämlich nicht nur auf der 200-Meter-Strecke.
Svenja Sapper

Es war der größte Erfolg seiner bisherigen Karriere: Angeheizt vom Heimpublikum zog Joshua Hartmann (ASV Köln) am vierten Tag der Europameisterschaften in München mit persönlicher Bestzeit (20,33 sec) ins 200-Meter-Finale ein. Einen Tag später rannte er im Endlauf auf den fünften Rang. Der Kölner war der erste deutsche 200-Meter-Finalist bei einer EM seit 1986 – damals hatte Jürgen Evers in Stuttgart die Silbermedaille gewonnen.

Auch wenn der Sprinter einräumte, es sei eine Ehre, als erster Deutscher nach so langer Zeit einen EM-Endlauf zu erreichen, war ihm der persönliche Erfolg um einiges mehr wert als die historische Einordnung: „Ich wollte ins Finale, das war mein Ziel. Wem das zuvor gelungen ist und wann zuletzt, ist mir eigentlich nicht so wichtig“, sagte er nach seinem Lauf in der Mixed Zone.

DM-Drama gut weggesteckt

Dabei war der Weg zu den Europameisterschaften für Joshua Hartmann alles andere als ein leichter gewesen: Ende Juni bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin wurde er zum unfreiwilligen Hauptdarsteller einer 200-Meter-Entscheidung, die sich zur Nervenprobe entwickelte. Nachdem gleich drei Athleten im Finale wegen eines Fehlstarts disqualifiziert wurden, rannte Hartmann zunächst in 20,32 Sekunden als Erster durchs Ziel und jubelte über seine neue Bestzeit. Doch wenig später prangte auch hinter seinem Namen ein „DQ“: Der Sprinter hatte während des Rennens seine Bahn verlassen. Damit wurde auch der neue Hausrekord wieder einkassiert.

Bereits nach Runde eins war Hartmann kurzzeitig disqualifiziert worden, dem Protest wurde aber schließlich stattgegeben und der Vorlaufschnellste durfte im Finale antreten und immerhin die EM-Norm (20,41 sec) behalten. Dass er letztlich nicht Deutscher Meister wurde, konnte der Kölner jedoch gut wegstecken. „Von der Disqualifikation habe ich mich nicht beirren lassen“, sagte er später. „Ich habe das Rennen gewonnen, das hat Jeder gesehen. Ich bin eine super Zeit gelaufen, habe zum ersten Mal seit langer Zeit wieder zwei 200-Meter-Rennen an einem Tag absolviert.“

Mit dem gelungenen Vorlauf hatte er sich überdies seinen ersten Einzelstart bei einer internationalen Meisterschaft gesichert und nahm die Vorbereitung auf die Heim-EM als etwas Besonderes wahr: „Ich hatte bisher noch nie Interviewtermine vor einer internationalen Meisterschaft“, meinte der 23-Jährige im Vorbereitungscamp auf die Europameisterschaften, das die Nationalmannschaft im bayerischen Erding absolvierte. „Aber es macht mir Spaß, die Leute im Vorfeld zu informieren, wie ich an die Sache herangehe.“

400 Meter wieder in den Fokus nehmen

In Erding rief der Kölner auch das Ziel für München aus: die Zeit aus dem DM-Finale von Berlin bestätigen. Das gelang ihm im EM-Halbfinale trotz Regenpause und nasser Bahn mit 20,33 Sekunden. Im Finale wurden es 20,50 Sekunden – nachdem Joshua Hartmann am selben Tag bereits den Vorlauf mit der 4x100-Meter-Staffel bestritten hatte. An dieses Pensum musste er sich im Verlauf der Saison erst gewöhnen. Spaß am Sprinten hatte der 23-Jährige dennoch: Die 200 Meter seien seine Lieblingsstrecke, verriet er. Seine Zukunft sehen er und sein Trainerteam jedoch auch auf einer anderen Distanz – den 400 Metern, die Hartmann in Jugendjahren häufiger absolviert hat.

„Wir behalten die 400 Meter im Auge, möchten aber erst mal über 100 und 200 Meter sehr gute Vorleistungen haben, damit wir dann auch irgendwann sagen: Jetzt sind die 200 Meter so gut entwickelt, dass man auch über 400 Meter noch wirklich was reißen kann“, erläutert Joshua Hartmann und führt Beispiele aus der absoluten Weltspitze an: „Wenn man sich die Jungs anguckt, die momentan vorne mit dabei sind, wie Michael Norman, Fred Kerley, die laufen auch alle unter 10, unter 20 und dementsprechend schnelle 400. Wenn man über 400 Meter gewisse Zeiten laufen möchte, kommt man nicht um schnelle 100- und 200-Meter-Zeiten rum. 400 Meter sind immer noch eine Sprintdisziplin.“

Schon im kommenden Jahr könnte sein erster Auftritt auf der Stadionrunde seit 2019 bevorstehen. Doch auch über die kürzeren Distanzen hat der Kölner sein Potenzial lange noch nicht ausgeschöpft: Der deutsche 200-Meter-Rekord (20,20 sec) von Tobias Unger, der 2005 in Helsinki (Finnland) als letzter deutscher Sprinter ein WM-Finale im Freien erreichte, ist nicht mehr weit weg – und auch diese Marke hat Hartmann im Blick. Dabei vertraut der 23-Jährige voll und ganz auf seinen Headcoach Jannik Engel („Ich verstehe mich mit Jannik, als wäre er mein großer Bruder“) und Co-Trainerin Andrea Grönebaum, die vornehmlich die Leverkusener Langsprinterinnen Annkathrin Hoven und Judith Franzen betreut. Auch Nachwuchs-Sprinter Eddie Reddemann zählt zur Gruppe.

Entdecker und Trainer: Jannik Engel

Jannik Engel war es auch, durch den Joshua Hartmann einst den Weg zur Leichtathletik fand: Im Rahmen eines Sprintcups kam der Trainer an die Schule des damaligen Teenagers. Durch den Erfolg beim Cup gewann Hartmann eine Mitgliedschaft beim ASV Köln und ging fortan nicht nur in den Fußballverein, sondern auch ins Leichtathletiktraining. Seit 2014 betreut Jannik Engel den Sprinter, bereits im ersten U16-Jahr wurde sein Athlet Deutscher U16-Meister über 300 Meter. „Da habe ich begriffen, dass mein Talent eher im Laufen ohne Ball liegt“, meint der Kölner, der die Fußballschuhe daraufhin an den Nagel hängte.

Heute fährt Joshua Hartmann einmal in der Woche nach Frankfurt und arbeitet mit der Sprintgruppe von David Corell zusammen, der unter anderem der Deutsche 60-Meter-Rekordler Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar) angehört. Die „neue deutsche Sprint-Generation“ versteht sich ausgezeichnet. „Wir sind alle im gleichen Alter, haben relativ gleiche Interessen. Da ist es klar, dass ein sehr guter Teamspirit herrscht“, sagt Joshua Hartmann über seine Staffel-Kollegen. Was sie zu leisten imstande sind, haben die Sprinter um Hartmann, Kranz, Lucas Ansah-Peprah und Owen Ansah (beide Hamburger SV) in diesem Jahr mit zwei Staffelrennen unter 38 Sekunden – deutscher Rekord – bewiesen. Auch wenn es schmerzte, dass sie im EM-Finale den Staffelstab nicht ins Ziel bringen konnten: Dieser Sprint-Generation gehört die Zukunft.

Eigenes Unternehmen in Planung

„2019 war ich mit Marvin Schulte der Jüngste im deutschen Staffelteam und konnte zum Beispiel von Julian Reus einiges lernen. Mittlerweile gehöre ich schon fast zu den Älteren“, sagt der 23-Jährige, der auch eng mit dem gleichaltrigen Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre (TSV Bayer 04 Leverkusen) befreundet ist. „Wir erzählen uns alles und machen viel miteinander“, berichtet Hartmann. „Es ist wichtig, privat Menschen um sich zu haben, die den Leistungssport verstehen. Aber eben nicht nur Menschen aus dem Sport. Das kann sonst anstrengend werden, wenn man sich rund um die Uhr nur mit Leichtathletik beschäftigt. Bo und ich, da ist Leichtathletik auf jeden Fall ein Thema, aber wir sind so gut befreundet, dass wir genug sonstige Themen haben, über die wir uns austauschen.“

Zum Ausgleich neben dem Leistungssport studiert Joshua Hartmann an der Uni zu Köln Betriebswirtschaftslehre, er ist derzeit im fünften Semester. Studium und Sport lassen sich für ihn gut verbinden: „Ich habe meinen Laufbahnberater in Köln. Ihn kann ich immer fragen, wenn ich Probleme habe oder eine Prüfung, für die ich angemeldet bin, nicht schreiben kann.“ Zudem bestreitet der Sprinter in der Regel nur eine kurze Hallensaison und kann sich im Winter daher mehr auf die Uni konzentrieren.

Zurzeit plant er mit ein paar Freunden sein eigenes Unternehmen: „Wir wollen uns selbstständig im Finanzdienstleistungsbereich machen, unser Hauptziel ist es, finanzielle Bildung an junge Leute zu vermitteln“, erläutert Joshua Hartmann. Ein ebenso ambitioniertes Ziel wie die sportlichen Träume. Aber eben auch eine geistige Herausforderung, die der Sprinter zum Ausgleich braucht.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024