| Leute

Luna Thiel und ihr langer Weg zurück

2019 schien 400-Meter-Sprinterin Luna Thiel richtig durchzustarten: Mit gerade einmal 19 Jahren wurde sie Deutsche Meisterin, feierte ihr WM-Debüt und holte eine Staffelmedaille bei der U23-EM. Doch dann stoppten zwei Krankheiten jäh ihren Aufstieg. Pünktlich zur Heim-EM in München meldete sich die Hannoveranerin dann wieder unter den besten Deutschen zurück – und feierte mit dem fünften Rang der 4x400-Meter-Staffel ein gelungenes internationales Comeback. Am vergangenen Sonntag krönte sie ihr erfolgreiches Jahr dann beim ISTAF mit einer Leistungsexplosion.
Svenja Sapper

Luna Bulmahn (VfL Eintracht Hannover) schien im WM-Jahr 2019 der aufsteigende Stern am deutschen 400-Meter-Himmel zu sein. Die damals 19-Jährige machte bereits im Winter mit Rang zwei bei der Hallen-DM auf sich aufmerksam. Anschließend wurde die Hannoveranerin ins Team für die World Relays in Yokohama (Japan) berufen und machte im Sommer genau da weiter, wo sie im Frühjahr aufgehört hatte: Sie verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahr um fast drei Sekunden auf 52,37 Sekunden. Wurde mit dieser Zeit Deutsche Meisterin bei den Aktiven.

Bei den U23-Europameisterschaften schrammte sie nur knapp an Einzel-Edelmetall vorbei, gewann Bronze über 4x400 Meter und schaffte es anschließend als Teil der Mixed-Staffel zu den Weltmeisterschaften in Doha (Katar). Ein bemerkenswerter Durchbruch für eine Athletin, deren einziger internationaler Einsatz zuvor ein 4x200-Meter-Staffelstart bei einem U20-Länderkampf in der Halle gewesen war. Doch genauso plötzlich, wie Luna Bulmahn 2019 in der deutschen Spitze aufgetaucht war, verschwand sie im Jahr darauf auch wieder.

Ein Jahr Abstand vom Sport

Im August 2022 sitzt Luna, inzwischen verheiratete Thiel, im Vorbereitungscamp auf die Heim-EM in München auf einer Bank in Erding und erzählt, was ihr in den vergangenen drei Jahren widerfahren ist. „2019 war für mich ein Jahr, das sportlich perfekt war, ohne Rückschläge, und für mich ganz neue Erlebnisse hervorgerufen hat“, sagt sie. „Es war alles sehr neu und es kam sehr schnell und unerwartet. Ich bin erst ein Jahr zuvor überhaupt auf die 400 Meter umgestiegen. Als ich bei den Deutschen Meisterschaften im Finale mitbekommen habe, dass ich für die WM nominiert bin – das war für mich gar nicht vorhersehbar.“

Doch im darauffolgenden Jahr machten ihr zwei Krankheiten einen Strich durch die Rechnung. Zunächst erkrankte die Langsprinterin an Pfeifferschem Drüsenfieber. „Nach dem Drüsenfieber war ich eigentlich noch relativ positiv gestimmt“, meint Luna Thiel. „Ich dachte, das ist eine Krankheit, die haben viele mal. Und das kommt und geht. Danach kann ich wieder Sport machen.“ Doch anschließend kam eine Darmkrankheit dazu – vermutlich ausgelöst durch die Einnahme von Antibiotika. Eine genaue Diagnose blieb anfangs aus. Die ganze Saison 2020 war die vielversprechende Athletin außer Gefecht gesetzt.

Eine Pause, die sie zunächst für sich zu nutzen wusste. „Ich habe relativ früh gesagt, dass für mich keine Saison 2020 stattfinden wird. Einfach weil ich wusste, dass ich mit den Schmerzen, die ich hatte, gar nicht laufen kann“, blickt die heute 22-Jährige zurück. Sie fokussierte sich auf ihr Studium, heiratete ihren Freund Henrik, verschrieb sich selbst ein wenig Abstand vom Leistungssport: „Ich wusste, da war noch der zweite Weg. Da habe ich mit dem Sport erst mal ein kleines bisschen abgeschlossen. Ich wusste, ich kann das erst wieder angreifen, wenn ich wieder fit bin.“

Die Suche nach der Diagnose

Im Jahr darauf kehrte Luna Thiel zwar auf die Bahn zurück. Doch die Leistungen, die sie abrief, waren weit entfernt von jenen, die sie 2019 erbracht hatte. Immer noch kämpfte sie mit Darmproblemen, für die auch kein Mediziner eine Erklärung, geschweige denn eine Behandlungsmöglichkeit finden konnte. „Es ist schwierig und traurig, wenn Diagnosen so schwer zu stellen sind und man nicht weiß, was es ist und wann man wieder normal trainieren kann“, meint die 22-Jährige. „Vor allem nach einem so erfolgreichen Jahr und als so junge Athletin.“

Den Rückhalt ihrer Familie, ihres Mannes und ihrer Trainingsgruppe um die erfahrene Ruth Sophia Spelmeyer-Preuß (VfL Oldenburg) hatte sie immer. Auch die Erfahrung ihres Coaches, 400-Meter-Bundestrainer Edgar Eisenkolb, half ihr durch die schwere Zeit. Woran Luna Thiel besonders zu knabbern hatte: „Ich bin meine Bestzeit 2019 mit einem Jahr 400-Meter-Training gelaufen. In meinem erfolgreichsten Sportjahr habe ich 100 Prozent studiert, noch zu Hause gewohnt und bin nach Hannover gependelt. Ich hatte den stressigsten Alltag, den man sich vorstellen kann.“ Sie wusste: Damit war ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft.

„Und dann habe ich die 53er-Zeiten gesehen und dachte: Ich habe so viel trainiert und mit so wenig Training, wie ich 2019 hatte, bin ich über eine Sekunde schneller gelaufen. Das war schon hart.“ Währenddessen ging die Suche nach einer Diagnose weiter. „Ich war bei Ärzten, bei Chiropraktoren, Ostheopathen, ich hatte eine Darmspiegelung, eine Magenspiegelung, ich hatte Termine bei einem Heiler, ich war überall, habe alles versucht. Es war sehr schwierig, weil das medizinisch einfach nicht zu erklären war.“ Eine Chiropraktorin und Heilpraktikerin half ihr schließlich, die Darmprobleme in den Griff zu bekommen. Seit Ende 2021 kann Luna Thiel endlich wieder schmerzfrei trainieren.

Die Magie des Olympiastadions: Teil I

Bemerkenswert: Auch während der langen Leidenszeit verlor die 400-Meter-Sprinterin nie den Glauben an ihr Comeback. Mögliche Ziele wie internationale Starts schob sie zunächst nach hinten und fokussierte sich darauf, einen schmerzfreien Aufbau machen zu können. Wieder Routine zu gewinnen. „Ich habe mir immer gesagt, ich bin 20 Jahre alt, habe noch viel vor mir und möchte den Sport noch weitermachen. Das war immer die Motivation, dass man sich Ziele setzt, die realistisch sind“, erzählt sie. „Und ich wusste: Ich brauche für meinen Kopf ein paar Rennen ohne Druck, damit ich mich wieder reinfinden kann.“

Einen ersten großen Schritt zurück in Richtung Spitze machte sie dann bei den Deutschen Meisterschaften. „Das war natürlich auch das Stadion, wo ich meine PB vorher gelaufen und Deutsche Meisterin geworden bin. Das ist für mich ein ganz besonderes Stadion in Berlin.“ In 52,67 Sekunden, ihrer ersten Zeit unter 53 Sekunden seit 2019, qualifizierte sie sich für das 400-Meter-Finale. Dort war sie mit Platz sechs nicht ganz zufrieden – war aber noch geschwächt von einer Corona-Infektion. Mit dieser Platzierung schob sie sich zumindest als Ersatzläuferin ins deutsche WM-Team.

Nach ihrer Rückkehr aus Oregon (USA), wo sie nicht zum Einsatz kam, folgte dann das, worauf Luna Thiel so lange gewartet hatte: In Bochum-Wattenscheid rannte sie nach drei Jahren wieder eine neue „PB“ (52,15 sec) und durfte nicht nur mit nach München reisen, sondern bei der EM auch im Vorlauf wie im Finale auf der Bahn stehen. In Runde eins brachte sie das Staffelholz für Deutschland ins Ziel, im Endlauf führte sie als Startläuferin die Team-Kolleginnen auf Platz fünf.

Die Magie des Olympiastadions: Teil II

Doch den Höhepunkt ihrer Saison hatte sich Luna Thiel bis ganz zum Ende aufgehoben. Am vergangenen Sonntag war es wieder einmal die Magie des Olympiastadions, die sie zu einer neuen Bestzeit trug. „Nach dem Rennen in Wattenscheid ist mir schon kurz durch den Kopf geschossen, wo ich jetzt die Zehntel zur 51er-Zeit noch hätte rausholen können. Vielleicht wäre mit stärkerer Konkurrenz die 51 schon drin gewesen“, hatte die Langsprinterin bereits vor den Europameisterschaften gesagt.

Was wirklich in ihr steckt, bewies sie schließlich beim Internationalen Stadionfest (ISTAF) in Berlin. Mit einem Quantensprung verbesserte sich Luna Thiel nicht nur auf eine Zeit unter 52 Sekunden, sondern auf bärenstarke 51,28 Sekunden – nur Corinna Schwab (LAC Erdgas Chemnitz), die in diesem Sommer unter 51 Sekunden blieb, war in den vergangenen 20 Jahren schneller. „Das zeigt, dass es sich lohnt, für seine Ziele zu kämpfen“, jubelte die 22-Jährige beim ISTAF.

Neuen Mut geschöpft

Luna Thiel ist dankbar dafür, den langen Weg zurück in die absolute nationale Spitze bewältigt zu haben. „Das sind Momente in einer Karriere, mit denen jeder Sportler zu kämpfen hat. Und die holen einen zurück auf den Boden der Tatsachen, aber können auch stärker machen“, bekennt sie. Die Luna von 2022 unterscheide sich nicht nur im Nachnamen von der Luna von 2019.

„Ich würde sagen, dass ich ein bisschen reifer geworden bin. Ich kenne meinen Körper besser, kann besser einschätzen, wie er mit Problemen und Verletzungen umgeht. Ich weiß ganz genau, worauf ich achten muss, wenn mein Körper mir Signale sendet“, berichtet sie. „Ich habe dieses Jahr wieder gelernt, frei zu laufen, ohne mir enormen Druck zu machen. Eben weil ich weiß, wie es ist, wenn man lange draußen war.“

Ihren Bachelor in Public Relations hat sie Anfang des Jahres abgeschlossen und sich bei ihrem Master in Marketing-Management für ein Fernstudium entschieden. So kann sie sich ihre Zeit besser einteilen. Denn nach ihrem starken Comeback-Jahr dürfte die Motivation nun größer sein als je zuvor. Und diesmal wäre es keine Überraschung, wenn Luna Thiel wieder so richtig durchstarten würde. 

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024