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SPRINT MÄNNER | Jede Menge Drama und schnelle Zeiten

Es war ein intensives Jahr für die Leichtathletik. Weltmeisterschaften in den USA. Europameisterschaften im eigenen Land. Und auch der Nachwuchs war international gefordert. Was bleibt in Erinnerung? Wir werfen einen Blick zurück auf dieses besondere Jahr 2022. Heute: der Sprint der Männer.
Alexandra Dersch

Das ist 2022 passiert

Irgendwo zwischen Rekordzeiten und Drama pegelte sich die Stimmungslage der deutschen Spitzensprinter in diesem Jahr ein. Denn auf der einen Seite war das DLV-Team mit Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar), Joshua Hartmann (ASV Köln) und den beiden Hamburgern Owen Ansah und Lucas Ansah-Peprah im EM-Vorlauf mit 37,97 Sekunden so schnell wie noch nie ein deutsches Staffelteam vor ihnen. Auf der anderen Seite erlebten sie im Finale über 4x100 Meter der EM in München ein wahres Desaster.

Nach dem deutschen Rekord und der schnellsten Vorlaufzeit überhaupt bei der EM träumte das Quartett von Gold im Finale. Die Ausgangslage? Ideal. Auf den Tribünen des Olympiastadions tobten mehr als 40.000 Menschen. Startläufer Kevin Kranz kam auf 200 Meter-Spezialist Joshua Hartmann zugestürmt - und da zerplatzte der Traum wie eine Seifenblase. Die Wechselzone überlaufen, der Stab noch immer in der Hand von Kranz. Das Aus für Deutschland! Owen Ansah und auch Schlussläufer Lucas Ansah-Peprah konnten nur zusehen. Zu Gold mit Meisterschaftsrekord (37,67 sec) sprintete indes das Quartett aus Großbritannien. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll", brachte Kevin Kranz nur noch heraus. "Es ist die Hölle", sagte Lucas Ansah-Peprah. Der wohl bitterste Moment in der Karriere dieser vier Athleten.

Auch bei der WM hatten sie eine Niederlage zu verarbeiten. Als Nummer eins der Welt (obwohl das vor der WM nur bedingte Aussagekraft hatte) angereist, wurden im Vorlauf zwei Wechsel verpatzt. Der Stab kam zwar ins Ziel, jedoch reichten 38,83 Sekunden nicht für den Einzug ins Finale. Und so bleibt am Ende dieses Jahres eine große Frage unbeantwortet: Zu welcher Leistung ist diese deutsche Mannschaft erst im Stande, wenn alles glatt läuft?

Seinen großen Solo-Auftritt hatte über 200 Meter Joshua Hartmann. Angeheizt vom Heimpublikum zog der Kölner am vierten Tag der EM mit persönlicher Bestzeit (20,33 sec) ins 200-Meter-Finale ein. Einen Tag später rannte er im Münchner Endlauf mit 20,50 Sekunden auf den fünften Rang. Joshua Hartmann war der erste deutsche 200-Meter-Finalist bei einer EM seit 1986 – damals hatte Jürgen Evers in Stuttgart die Silbermedaille gewonnen. Ohne Drama lief die Saison aber bei dem 23-Jährigen auch nicht ab. Bei der DM Ende Juni wurde er zum unfreiwilligen Hauptdarsteller einer 200-Meter-Entscheidung, die sich zur Nervenprobe entwickelte. Nachdem gleich drei Athleten im Finale wegen eines Fehlstarts disqualifiziert wurden, rannte Hartmann zunächst in 20,32 Sekunden als Erster durchs Ziel und jubelte über seine neue Bestzeit. Doch wenig später prangte auch hinter seinem Namen ein „DQ“. Hintergrund: Der Sprinter hatte während des Rennens seine Bahn verlassen. Doch da das größte Wachstum ja zumeist durch Fehler entsteht, nahm er aus dieser Niederlage die Gewissheit mit, dass schnelle Zeiten in ihm schlummern.

In der Jugend machte in diesem Jahr besonders Benedikt Wallstein von sich reden. Mit 17 Jahren erfüllte er sich in Jerusalem dem Traum einer internationalen Medaille. In 10,44 Sekunden sprintete der Athlet des Gothaer Leichtathletik Centrum in Bestzeit zu 100-Meter-Bronze bei der U18-EM. Es war das Highlight eines ohnehin schon erfolgreichen Jahres, das bereits im Januar mit einem Eintrag in die DLV-Geschichtsbücher für Benedikt Wallstein begonnen hatte. In 21,26 Sekunden sprintete der damals 16-Jährige zur deutschen U18-Hallen-Bestleistung über 200 Meter und verbesserte die vier Jahre alte Bestmarke von Daniel Regenfuß (LG Langen) um 16 Hundertstel. Dass er in Ulm bei den Deutschen U18-Meisterschaften gleich dreimal Gold (100m, 200m und Weitsprung) holten konnte, unterstreicht sein Talent noch zusätzlich.

In Jerusalem überzeugte unter anderem auch der 17-jährige Luban Haque. Der Düsseldorfer stellte bei seinem ersten internationalen Einsatz über 200 Meter eine neue Bestzeit auf (21,51 sec) und lief vor auf Platz vier.

Internationale Erfolge

  Medaille Finalplatzierung
Hallen-WM  –   – 
EYOF  –  7. Platz David Christian Kantzog (100 m)
U18-EM Bronze: Benedikt Wallstein (100 m)  4. Platz: Luban Haque (200 m)
U20-WM  –   – 
WM  –   – 
EM  –  5. Platz: Joshua Hartmann (200 m)

 

Unser "Ass des Jahres"

Owen Ansah (Hamburger SV)

Deutscher Rekord mit der 4x100-Meter-Staffel
Deutscher Meister 100 und 200 Meter

Unser "Talent des Jahres"

Benedikt Wallstein (Gothaer LAC)

Bronze U18-EM 100 Meter
Deutscher U18-Meister 100 Meter, 200 Meter und im Weitsprung

Die deutschen Top Ten 2022

100 Meter

Zeit Name Jahrgang Verein
10,04 sec Lucas Ansah-Peprah 2000 Hamburger SV
10,08 sec Owen Ansah 2000 Hamburger SV
10,11 sec Joshua Hartmann 1999 ASV Köln
10,12 sec Julian Wagner 1998 LC Top Team Thüringen
10,16 sec Deniz Almas 1997 VfL Wolfsburg
10,18 sec Kevin Kranz 1998 Sprintteam Wetzlar
10,23 sec Milo Skupin-Alfa 1999 LG Offenburg
10,32 sec Robin Ganter 2001 MTG Mannheim
10,33 sec James Adebola 2002 SCC Berlin
10,36 sec Marvin Schulte 1999 SC DHfK Leipzig e.V.

200 Meter  

Zeit Name Jahrgang Verein
20,33 sec Joshua Hartmann 1999 ASV Köln
20,41 sec Owen Ansah 2000 Hamburger SV
20,58 sec Robin Erewa 1991 TV Wattenscheid 01
20,61 sec Simon Wulff 2001 Dresdner SC 1898
20,62 sec Lucas Ansah-Peprah 2000 Hamburger SV
20,64 sec James Adebola 2002 SCC Berlin
20,75 sec Marvin Schlegel 1998 LAC Erdgas Chemnitz
20,76 sec Robin Ganter 2001 MTG Mannheim
20,80 sec Jonas Hügen 1994 LAC Quelle Fürth
20,83 sec Michael Bryan 1992 LC Rehlingen

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau: 100 Meter

Jahr =/< 10,12* Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005  –  10,24 10,28 10,35
2006  –  10,30 10,33 10,37
2007  –  10,29 10,32 10,37
2008  –  10,22 10,25 10,31
2009  –  10,20 10,23 10,29
2010  –  10,22 10,25 10,30
2011  –  10,22 10,26 10,35
2012  1  10,16 10,21 10,27
2013  2  10,12 10,16 10,24
2014  2  10,10 10,14 10,21
2015  1  10,16 10,22 10,27
2016  1  10,11 10,16 10,23
2017  1 10,20 10,23 10,28
2018  1 10,15 10,18 10,24
2019  –  10,16 10,19 10,24
2020  1 10,15 10,20 10,26
2021  1 10,17 10,21 10,26
2022  4 10,07 10,10 10,19

Das deutsche Top-Niveau: 200 Meter

Jahr =/< 20,40* Schnitt
Top 3
Schnitt
Top 5
Schnitt
Top 10
2005  1  20,44 20,54 20,79
2006  –  20,67 20,74 20,90
2007  1  20,48 20,54 20,71
2008  –  20,60 20,65 20,75
2009  –  20,45 20,54 20,78
2010  1  20,56 20,67 20,81
2011  –  20,73 20,83 20,97
2012   1  20,48 20,54 20,68
2013  1  20,59 20,66 20,80
2014  –  20,44 20,49 20,64
2015  –  20,51 20,57 20,78
2016  3 20,35 20,45 20,63
2017  2 20,35 20,46 20,65
2018  1 20,47 20,54 20,68
2019  –  20,55 20,64 20,76
2020  –  20,67 20,72 20,85
2021  1 20,53 20,63 20,74
2022  1 20,44 20,51 20,63

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich: 100 Meter

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 10,16 (Unger) 9,99 (Pognon/FRA) 0,17 9,77 (Powell/JAM) 0,39
2006 10,24 (Ostwald) 9,99 (Obikwelu/POR) 0,25 9,77 (Powell/JAM) 0,47
2007 10,26 (Blum) 10,06 (Obikwelu/POR) 0,20 9,74 (Powell/JAM) 0,52
2008 10,17 (Unger) 10,00 (Chambers/GBR) 0,17 9,69 (Bolt/JAM) 0,48
2009 10,18 (Unger) 10,00 (Chambers/GBR) 0,18 9,58 (Bolt/JAM) 0,60
2010 10,14 (Unger) 9,97 (Lemaitre/FRA) 0,17 9,78 (Gay/USA; Carter/JAM) 0,36
2011 10,20 (Schaf) 9,92 (Lemaitre/FRA) 0,28 9,76 (Bolt/JAM) 0,44
2012 10,09 (Reus) 9,91 (Martina/NED) 0,18 9,63 (Bolt/JAM) 0,46
2013 10,07 (Keller) 9,91 (Dasaolu/GBR) 0,16 9,75 (Gay/USA) 0,32
2014 10,05 (Reus) 9,95 (Vicaut/FRA) 0,10 9,77 (Gatlin/USA) 0,28
2015 10,09 (Reus) 9,86 (Vicaut/FRA) 0,23 9,74 (Gatlin/USA) 0,35
2016 10,01 (Reus) 9,86 (Vicaut/FRA) 0,15 9,80 (Gatlin/USA) 0,21
2017 10,10 (Reus) 9,97 (Vicaut/FRA) 0,13 9,82 (Coleman/USA) 0,28
2018 10,09 (Menga) 9,91 (Hughes/GBR)
9,91 (Vicaut/FRA)
0,18 9,79 (Coleman/USA) 0,30
2019 10,13 (Reus) 9,95 (Hughes/GBR) 0,18 9,76 (Coleman/USA) 0,37
2020 10,08 (Almas) 10,07 (Tortu/ITA) 0,01 9,86 (Norman/USA) 0,22
2021 10,11 (Wagner) 9,80 (Jacobs/ITA 0,31 9,76 (Bromell/USA) 0,35
2022 10,04 (Ansah-Peprah) 9,93 (Prescod/GBR) 0,11 9,76 (Kerley/USA) 0,28

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich: 200 Meter

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 20,20 (Unger) 20,15 (Malcolm/GBR) 0,05 19,89 (Spearmon/USA) 0,31
2006 20,65 (Unger) 20,01 (Obikwelu/POR) 0,64 19,63 (Carter/USA) 1,02
2007 20,37 (Helmke) 19,89 (Ndure/NOR) 0,48 19,62 (Gay/USA) 0,75
2008 20,53 (Schnelting) 20,25 (Malcolm/GBR) 0,28 19,30 (Bolt/JAM) 1,23
2009 20,41 (Hering) 20,04 (Guliyev/AZE) 0,37 19,19 (Bolt/JAM) 1,22
2010 20,38 (Ernst) 20,16 (Lemaitre/FRA) 0,22 19,56 (Bolt/JAM) 0,82
2011 20,51 (Ernst) 19,80 (Lemaitre/FRA) 0,71 19,26 (Blake/JAM) 1,25
2012 20,33 (Menga) 19,85 (Martina/NED) 0,48 19,32 (Bolt/JAM) 1,01
2013 20,36 (Reus) 19,98 (Gemili/GBR) 0,38 19,66 (Bolt/JAM) 0,70
2014 20,43 (Menga) 19,98 (Gemili/GBR) 0,45 19,68 (Gatlin/USA) 0,75
2015 20,42 (Reus) 19,88 (Guliyev/TUR) 0,54 19,55 (Bolt/JAM) 0,87
2016 20,27 (Menga) 19,81 (Martina/NED) 0,46 19,74 (Merritt/USA) 0,53
2017 20,29 (Reus) 20,02 (Guliyev/TUR) 0,27 19,77 (Makwala/BOT) 0,52
2018 20,37 (Menga) 19,76 (Guliyev/TUR) 0,61 19,65 (Lyles/USA) 0,72
2019 20,42 (Müller) 19,86 (Guliyev/TUR) 0,56 19,50 (Lyles/USA) 0,92
2020 20,64 (Almas) 20,24 (Reais/SUI) 0,40 19,76 (Lyles/USA) 0,86
2021 20,35 (Ansah) 20,11 (Tortu/ITA) 0,24 19,52 (Lyles/USA) 0,83
2022 20,33 (Hartmann) 19,96 (Afrifah/ISR) 0,37 19,31 (Lyles/USA) 1,02

Das fällt auf:

  • Die deutschen Sprinter werden immer schneller. Sowohl über 100 als auch über 200 Meter waren die Werte im Schnitt herausragend. Kein Wunder also, dass in der Summe zwei deutsche Staffel-Rekorde über 4x100 Meter mit 37,99 und 37,97 Sekunden heraussprangen.
  • Eine Leistungsdichte, die sich auch beim Blick in die Welt- und Europäische Bestenliste spiegelt. 37,97 Sekunden - das bedeutet Platz drei in Europa, Platz fünf in der Welt. Eine Leistung, die ganz viel Vorfreude macht auf die kommenden Jahre, wenn dann auch der Stab sicher ins Ziel gebracht wird.
  • Entsprechend weit oben platzieren sich auch gerade über 100 Meter die schnellsten DLV-Sprinter in der Europäischen Bestenliste. Lucas Ansah-Peprah liegt mit seiner Bestzeit von 10,04 Sekunden auf Platz fünf in Europa. Bei der EM konnte er dieses Vermögen leider nicht abrufen und schied mit 10,19 Sekunden im Halbfinale aus.
  • Auch Owen Ansah findet sich mit seiner Bestzeit von 10,08 Sekunden und dem damit verbundenen Platz acht noch unter den Top Ten in Europa. Genau wie sein Trainings- und Vereinskollege Lucas Ansah-Peprah war für ihn im Halbfinale der EM (10,20 sec) jedoch Schluss. Doch zur Wahrheit gehört auch: Beide gehören mit ihren 21 Jahren noch zu Klasse U23.
  • Bei aller schnellen Zeiten: Zu den jeweiligen Saisonhöhepunkten kam der deutsche Männer-Sprint in diesem Jahr nicht ohne Drama aus. Da waren die Staffelauftritte bei der WM (verpasstes Finale nach zwei verpatzten Stabübergaben) und EM (Disqualifikation im Finale nach Rekordlauf in der Quali). Da war das DM-Finale über 200 Meter, wo gleich drei Athleten aufgrund von Fehlstarts disqualifiziert wurden.
  • Jung und wild - eine mögliche Erklärung des hohen Dramafaktors in diesem Jahr. Und ein Fakt, der Mut macht für die Zukunft. Der Altersdurchschnitt der Top Ten beträgt 22,7 Jahre. Der älteste Athlet ist dabei der Wolfsburger Deniz Almas mit 25 Jahren.
  • International waren es die US-Amerikaner, die der Welt ihren Stempel über die 100 und 200 Meter aufdrückten. Über 100 Meter war es bei der WM Fred Kerley, der unaufhaltsam zum Titel zog und mit Marvin Bracy und Trayvon Bromell den US-Sweep perfekt machte. Über 200 Meter war es Noah Lyles in US-Rekordzeit von 19,31 Sekunden, der Gold vor seinen Landsleuten Kenny Bednarek und Erriyon Knighton gewann.
  • Auf europäischer Ebene meldete sich Olympiasieger und Halllen-Weltmeister Marcell Jacobs pünktlich zur EM in München fit und räumte den Titel über 100 Meter ab.
  • Beim Blick auf die europäischen Bestenliste fällt auf: Der Nachwuchs über 200 Meter rückt enorm nach. Mit dem Israeli Blessing Akwasi Afrifa, der in Cali U20-WM-Gold in 19,96 Sekunden gewann, führt ein 18-Jähriger die Bestenliste an. Mit dem Franzosen Méba Mickaël Zeze (19,97 sec) blieb ein zweiter Europäer unter der 20-Sekunden-Marke. Der beste Deutsche findet sich in dieser Statistik auf Platz 15 mit Joshua Hartmann (20,33 sec).

leichtathletik.TV-Clips zum Sprint

60 METER   |    100 METER   |   200 METER

Zu den weiteren Disziplin-Checks:

Sprint Frauen

* als Referenzwert dienen die WM-Normen des Jahres 2017

 

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