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Die DLV-Staffeln in der Erfolgsspur

WM-Bronze und EM-Gold: In diesem Sommer durften die 4x100-Meter-Sprinterinnen die Früchte jahrelanger Arbeit ernten. Doch auch die anderen deutschen Staffeln haben große Schritte nach vorne gemacht. Hinter dem Erfolg steht ein siebenköpfiges Trainerteam unter Leitung von Ronald Stein. Erfahrene Coaches und ihre jungen, aufstrebenden Kollegen sind im ständigen Austausch. Sie alle eint ein Ziel: die deutschen Quartette zu internationalen Erfolgen zu führen.
Svenja Sapper

Es war der umjubelte Schlusspunkt einer stimmungsvollen Heim-EM: Am letzten Tag stürmten Alexandra Burghardt (LG Gendorf Wacker Burghausen), Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar), Gina Lückenkemper (SCC Berlin) und Rebekka Haase (Sprintteam Wetzlar) in München in 42,34 Sekunden zu Gold über 4x100 Meter. Nicht die erste Staffelmedaille für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) in diesem Jahr. Wenige Wochen zuvor hatte sich das Quartett, mit der in München angeschlagenen Wattenscheiderin Tatjana Pinto anstelle von Lisa Mayer, in Eugene (USA) einen lange gehegten Traum erfüllt und mit WM-Bronze das erste globale Edelmetall einer deutschen Staffel seit 2009 geholt.

Der Medaillen-Doppelschlag im Sommer 2022 – er kam nicht aus dem Nichts. Weder der EM-Sieg noch die Bronzemedaille in den USA waren ein Zufallsprodukt. Aber eben auch keineswegs ein Pflichterfolg. „Es war ein Quäntchen hart erarbeitetes Glück“, ordnet der Leitende Bundestrainer Sprint/Staffeln im DLV Ronald Stein die Ergebnisse ein.

Die goldene Generation von 2022 kam überwiegend (Burghardt, Lückenkemper, Haase) 2015 bei der WM in Peking (China) erstmals in der DLV-Staffel zum Einsatz. Damals belegten die drei Sprinterinnen gemeinsam mit der 100-Meter-Europameisterin von 2010 Verena Sailer Platz fünf – und sprinteten fortan Jahr um Jahr in der Weltspitze mit. Tatjana Pinto ist bereits seit 2012 im deutschen Staffelteam dabei.

Zwischen goldenen Momenten und wertvollen Erfahrungen

Die Bronzemedaille bei den Weltmeisterschaften war nach einer Reihe von vierten und fünften Plätzen für das Trainerteam um Ronald Stein eine besondere Genugtuung. „Diesmal haben alle vier Athletinnen ihr Leistungspotenzial zu 100 Prozent abgerufen“, resümiert der Coach. Die Zielsetzung für globale Großereignisse laute seit einigen Jahren stets: „Wir kämpfen um Bronze. USA und Jamaika sind uns läuferisch meilenweit überlegen. Da bleibt eigentlich nur der dritte Platz übrig. Du musst einen guten Job machen und auf den Tag X warten.“ In diesem Jahr war besagter Tag X dann gekommen.

Von internationalen Erfolgen träumen auch die Youngster, die nach dem Rücktritt des Deutschen 100-Meter-Rekordlers Julian Reus im vergangenen Jahr die 4x100-Meter-Staffel der Männer stellen. Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar), schnellster Deutscher über 60 Meter in der Halle, zählt mit 24 Jahren in der „jungen, wilden Sprinter-Generation“ (Ronald Stein) zu den Ältesten. Im Juni rannte Kranz zusammen mit Joshua Hartmann (ASV Köln) und dem HSV-Duo Owen Ansah und Lucas Ansah-Peprah einen deutschen Rekord (37,99 sec), den sie bei der EM im Vorlauf noch einmal um zwei Hundertstel verbesserten.

„Den Rekord hatten wir seit rund anderthalb Jahren auf dem Zettel“, berichtet David Corell, Bundesstützpunkttrainer Sprint und Heim-Coach von Kevin Kranz. Bei der WM in Eugene sowie im EM-Endlauf von München musste das DLV-Quartett noch Lehrgeld bezahlen. In den USA machte der deutschen Auswahl unter anderem die Bahn-Auslosung zu schaffen. „Bahn eins ist einfach schlechter als Bahn vier, fünf oder sechs“, sagt David Corell und erläutert: „Aufgrund des Kurvenradius' verliert man ein ganzes Stück Zeit. Bei einer Staffel kann das ruckzuck eine halbe Sekunde kosten. Dann haben wir mit Owen einen Riesen in der Kurve, mit langen Beinen und großen Schritten. Für ihn ist das noch ein Stück schwerer.“

Starke Signale in der Breite

Das Vorlauf-Aus von Eugene hat das Trainerteam, zu dem neben Stein und Corell auch die Langsprint-Bundestrainer Jörg Möckel und Edgar Eisenkolb sowie der erfahrene Volker Beck und die noch am Anfang ihrer Bundestrainer-Karriere stehenden Sebastian Bayer und Alexander John zählen, mit seinen Schützlingen inzwischen aufgearbeitet. Auf derartige Herausforderungen könne man sich einstellen; das junge Team wird die WM als lehrreiche Erfahrung verbuchen. Einen starken Eindruck haben sie in diesem Jahr dennoch hinterlassen. „Wir sind positiv überrascht worden“, meint David Corell.

Auch beim Blick auf die 4x400-Meter- und Mixed-Staffeln ist klar: Die deutschen Quartette sind auf einem guten Weg. In den vergangenen Jahren galten vor allem die Kurzsprinterinnen als das Zugpferd der deutschen Mannschaften. Doch auch die Langsprinter machen im Viererpack Fortschritte. Sowohl bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) 2021 als auch diesen Sommer in Eugene waren in allen fünf Staffel-Entscheidungen deutsche Teams mit von der Partie. Neben Deutschland gelang das mit Jamaika, den USA, Italien und den Niederlanden lediglich vier weiteren Nationen.

Alle Staffeln im EM-Finale

„Es zeugt von enormer Qualität, wenn alle fünf Staffeln, die global gelaufen werden, bei der WM besetzt werden können“, schätzt Jörg Möckel den Leistungsstand der deutschen Mannschaften ein. „Um sich für eine WM zu qualifizieren, muss eine Staffel schon mindestens auf Platz 16 der Welt sein“, ergänzt Edgar Eisenkolb. In Eugene stachen die Trümpfe noch nicht, für die drei 4x400 Meter-Staffeln (Frauen, Männer, Mixed) war nach dem Vorlauf Endstation. „Kleine Fehler können große Folgen haben: Ein schlechter Wechsel kann über 4x400 Meter dazu führen, dass man in einen Pulk gerät und die Athleten im Slalom laufen müssen“, sagt Jörg Möckel im Rückblick.

Erheblich besser als bei der WM lief es in München, wo alle deutschen Quartette in die Endläufe einzogen. Im 4x400-Meter-Vorlauf rannten die DLV-Männer die beste deutsche Zeit seit 2014, die 4x400-Meter-Staffel der Frauen konnte den Ausfall der Deutschen Meisterin Corinna Schwab (LAC Erdgas Chemnitz) kompensieren und landete im Finale auf Platz fünf.

Mischung aus innovativen Ansätzen und Erfahrungswerten

Seit etwa 2020 haben die sieben Trainer gemeinsam ein Auge auf die DLV-Staffeln, zuletzt stießen Sebastian Bayer und Alexander John, die im DLV den Hürdensprint verantworten, dazu. Das letzte Wort zur finalen Aufstellung hat dabei Ronald Stein. Doch auch die anderen sechs Übungsleiter können ihre Expertise und eigenen Ansätze mit einbringen.

„Wenn wir im normalen Trainingsprozess sind, haben wir jeden Donnerstag eine Videokonferenz, wo wir uns über die aktuellen Themen austauschen“, sagt Ronald Stein und lobt den regen Austausch als „schönes Miteinander“. Trotz der aktuellen Erfolge sieht der Leitende Bundestrainer das Projekt Staffel noch als Entwicklungsprozess.

Die erfahrenen und die jüngeren Trainer ergänzen sich gut: „David, Alex und Sebastian bringen frischen Wind rein, wir Älteren sind abgeklärter, relaxter, haben auch schon unsere Fehler gemacht. Bei uns geht es darum, dass wir neue Impulse annehmen und die Jüngeren ein bisschen führen.“ Jeder Trainer müsse seine eigene Handschrift finden. „Das ist auch gut so, dass nicht alle Athleten über einen Kamm geschoren werden.“

Gemeinsam tüfteln am Erfolgsrezept

Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit steht ein Erfahrungsaustausch. Alle Trainer bilden sich stetig weiter, lesen und hören Vorträge. Trainingssteuerung und Pausengestaltung werden ebenso miteinander besprochen wie etwa die Trainingswissenschaft, die ebenfalls ein großer Baustein des Erfolges ist. „Bei der Staffel geht es nicht darum, ob einer eine oder zwei Hundertstel schneller läuft“, betont Ronald Stein und nennt andere wichtige Faktoren: „Sicherheit, Wechselkompetenz, Kurvenlaufverhalten – das spielt auch eine Rolle.“

Die Staffel müsse so aufgestellt werden, dass jeder Athlet, jede Athletin die eigenen individuellen Stärken am besten einbringen könne. Bei jeder Maßnahme, ob in der Wettkampfanalyse oder im Trainingslager, kommen biomechanische Auswertungen zum Einsatz. „Da kann man jede Hundertstel noch mal rausfiltern, ob das jetzt die Anlauf- oder die Ablaufgeschwindigkeit ist oder die Stabgeschwindigkeit im Wechselraum“, erklärt Ronald Stein.

In dieser Saison etwa deutete die Biomechanik darauf hin, dass es sinnvoller ist, Tatjana Pinto wieder die Rolle der Startläuferin zuzuweisen und Gina Lückenkemper auf Position drei aufzubieten. Der Reihenfolge, in der eine Staffel an den Start geht, kommt eine große Bedeutung zu: „Das kann schon eine Zehntel ausmachen. Auf der Startposition musst du 95 bis maximal 100 Meter laufen und nur einmal den Stab übergeben. Auf Position drei, wenn du da ordentlich wechselst, hast du 110 bis 120 Meter.“

Spagat zwischen Heim- und Bundestrainerrolle

Mittlerweile sind die Athletinnen jedoch so routiniert, dass auch die dem Ausfall von Tatjana Pinto geschuldete Umstellung bei der EM kein Problem darstellte. Alexandra Burghardt rutschte in München in die Rolle der Startläuferin, Lisa Mayer übernahm die erste Gerade. Auch die weiteren Herausforderungen, wie etwa die kurze Regenerationszeit zwischen Staffel-Vorlauf und 200-Meter-Finale, meisterte das „Team Staffel“ in München souverän.

Gerade aufgrund der Kadergröße ist Teamwork den Trainern besonders wichtig. „Es ist ja auch wichtig, dass man die Heimtrainer einbindet. Allein im Kurzsprint haben wir 35 Kaderathletinnen und -athleten“, gibt Ronald Stein zu bedenken. Natürlich fungieren viele bundesfinanzierte Trainer auch selbst als Heimtrainer. Jörg Möckel etwa betreut mit Kurzsprinterin Rebekka Haase und den 400-Meter-Assen Corinna Schwab und Marvin Schlegel (LAC Erdgas Chemnitz) Leistungsträger fast aller Staffeln.

„Diese Kombination der Bundestrainerrolle mit Stützpunktaufgaben wird manchmal von Kollegen auch kritisch betrachtet“, meint Edgar Eisenkolb. „Dadurch, dass wir als Gruppe agieren und es keine einzige Entscheidung gibt, die alleine von irgendjemandem getroffen wird, machen wir uns auch weniger angreifbar.“

Vier Freunde müsst ihr sein?

Dem Trainerteam bereitet die Arbeit mit den Athletinnen und Athleten viel Freude. Und auch die Sprint-Asse selbst verstehen sich untereinander blendend. Das erleichtert Team-Building, wobei sich David Corell und Ronald Stein einig sind: Gute Freundschaften unter den Team-Mitgliedern sind ein schöner Nebeneffekt, wären aber nicht zwingend notwendig. „Es schadet auf jeden Fall nicht, wenn sie sich top verstehen. Aber es geht auch, wenn sie einfach ihren Job auf der Bahn machen. Dafür müssen sie nicht nachmittags alle miteinander Kaffee trinken gehen, sie müssen sich aber respektieren und auf einer gewissen Ebene verstehen“, sagt David Corell.

Bei allem Teamgeist hat immer noch jeder Akteur seine eigene Aufgabe. Diese reicht vom Startblock bis zur Stab-Übergabe. Oder von der Übernahme des Staffelholzes bis ins Ziel: „Jeder Einzelne ist auch von der Leistungsfähigkeit der anderen Drei abhängig.“ Davon abgesehen gilt zudem: Das Team ist viel mehr als nur die vier Athletinnen oder Athleten. Auch die Ersatzstarter müssen ihre Rolle annehmen und zählen zur Mannschaft. Häufig, sagen die Trainer übereinstimmend, sei die Nummer fünf im deutschen Team unwesentlich schwächer als die Nummer vier. Nuancen geben den Ausschlag zugunsten Einzelner.

„Wir brauchen vier Top-Leistungen“, meint Jörg Möckel. „Die Athleten brauchen den Rückhalt, von uns, von den Ersatzleuten, von den Team-Kollegen. Wenn sie das nicht spüren, sind sie nur darauf bedacht, nichts falsch zu machen. Sonst landen wir in der Todeszone Mittelmaß.“ Nur teilzunehmen, ist den deutschen Teams längst nicht mehr genug. So bald wie möglich soll der weitere Weg auch die 4x400-Meter-Staffeln in die globalen Finals führen.

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