| Porträt

Eva Dieterich: Abschied, Rückkehr und Durchmarsch in die deutsche Spitze

Wie Phönix aus der Asche – nachdem die Karriere eigentlich schon beendet war, hat Eva Dieterich (Laufteam Kassel) in den vergangenen zwei Jahren die Laufszene aufgemischt und Experten staunen lassen. Nationale und internationale Top-Platzierungen sammelte sie in der U23 und gewann vor zwei Wochen bei den Deutschen Meisterschaften über 10 Kilometer Straße in Saarbrücken ihren ersten Meistertitel bei den Aktiven.
Birte Grote

Mit einer Energieleistung auf der Zielgeraden kämpfte sich Eva Dieterich Mitte September bei den Deutschen 10-Kilometer-Meisterschaften an die fast enteilte Sara Benfares (LC Rehlingen) heran und stürmte zeitgleich mit ihr ins Ziel. Der geteilte Meistertitel krönte die Saison der 23-Jährigen, in der sie bereits mit Bronze bei der Hallen-DM über 3.000 Meter sowie bei der DM über 10.000 Meter und auch dem Mannschaftssieg beim Team-Europacup in Pacé (Frankreich) in die erste Reihe der deutschen Läuferinnen geprescht war.

Mit Blick auf das Finish der Straßenlauf-DM findet Eva Dieterich es durchaus passend, dass sie schon als „Kampfsau“ betitelt wurde. „Es ist auf jeden Fall meine Stärke, dass ich bis zu den letzten Metern nicht aufgeben will, und es ist auch so ein bisschen mein Ding geworden, weil ich jetzt schon einige Rennen so entscheiden konnte.“ Dabei sei Grundschnelligkeit eigentlich nie ihre Stärke gewesen. „Ich komme ja nicht von der Mitteldistanz hoch, sondern bin direkt bei den langen Strecken eingestiegen. Ich bin eigentlich nicht sprintstark und würde das eher als eine Kopfsache bezeichnen, dass ich immer gewinnen will.“

Was sie in den vergangenen beiden Jahren erreicht hat, hat die 23-Jährige noch gar nicht richtig realisiert. „Mir geht’s noch oft so, dass ich das nicht so richtig verstehen kann, dass es so schnell wieder so gut läuft. Es ist teilweise ziemlich überfordernd, weil ich keine Zeit hatte, da reinzuwachsen. Ich wurde da so reingeschmissen und muss mit diesen Erfahrungen jetzt zurechtkommen. Aber es ist natürlich auch total cool.“ Vor allem der sechste Platz über 10.000 Meter bei den U23-Europameisterschaften 2021 in Tallinn (Estland) sei völlig unerwartet und daher umso schöner gewesen.

Comeback vom Karriereende

Denn die Karriere der gebürtigen Kasslerin war eigentlich schon beendet: Kurz vor dem Abitur im Jahr 2017 erkrankte Eva Dieterich am Pfeifferschen Drüsenfieber. „Das hat sich sehr lange gezogen, sodass an Leistungssport erst gar nicht zu denken war. Dann bin ich nach Tübingen gezogen und habe mein Jura-Studium angefangen. Ich hatte wenig Zeit und auch keine Motivation, weil ich in Tübingen noch keine Verbindung zum Laufen hatte. Deswegen habe ich aufgehört.“

Dann kam 2020 die Corona-Pandemie und Eva Dieterich war eine von vielen Menschen, die in dieser Zeit wieder zum Laufen fanden. Sie verbrachte die meiste Zeit bei ihrer Familie in Kassel und begleitete zunächst ihre Brüder – ebenfalls beides Läufer – mit dem Rad, dann lief sie selbst wieder. „Ich bin aber wirklich nur für mich gelaufen, hatte nie eine Uhr dabei.“

Doch dass sie wieder lief, entging ihrem ehemaligen Trainer, Winfried Aufenanger, nicht. Er überredete sie, wieder zum Training zu kommen, und irgendwann lief sie wieder ihre ersten Wettkämpfe. Weder Eva Dieterich noch der im Oktober 2021 verstorbene Winfried Aufenanger dachten zu diesem Zeitpunkt daran, dass sie nur ein Jahr später im Nationaltrikot für Deutschland starten würde. „Die Saison 2021 war eigentlich dazu gedacht, erst wieder in den Wettkampfsport hineinzufinden und Spaß zu haben.“

Vom Mini-Marathon zu internationalen Starts

Vor ihrem vorläufigen Karriereende hatte Eva Dieterich den Sport „nicht besonders professionell“ betrieben. „Ich habe nur einmal an den Deutschen Langstrecken-Meisterschaften in Celle teilgenommen und bin dort Vierte geworden. Meist bin ich eher lokale Wettkämpfe gelaufen“, berichtet sie. Beispielsweise jährlich beim Kasseler Mini-Marathon, den sie dreimal gewinnen konnte und durch den sie überhaupt erst den Weg in den Laufsport fand. „Mein älterer Bruder ist dort damals mitgelaufen, und beim Zuschauen fand ich das cool und wollte das auch einmal machen. Meine Eltern sind dann mit mir zu Volksläufen gefahren.“

Ihre Zukunft sieht sie zunächst weiterhin auf der Bahn. „Da habe ich noch einiges an Potenzial, das ich noch nicht abgerufen habe.“ Ein gutes Beispiel dafür ist ihre 10.000-Meter-Bestzeit von 32:25,70 Minuten, die sie beim Team-Europacup in Pacé gelaufen war: Die Zeit bedeutet immerhin Platz 20 der ewigen deutschen Bestenliste, doch sei das Rennen alles andere als perfekt gewesen. „Es war sehr windig, ich habe vorne viel für das Tempo gemacht und dabei allein gegen den Wind gekämpft. Ich muss auf jeden Fall noch lernen, mich im Rennen taktisch besser zu verhalten.“ Daher sollen in der nächsten Saison auch Starts auf den Unterdistanzen auf dem Plan stehen. „Da habe ich auf jeden Fall noch Nachholbedarf im Vergleich zu anderen Läuferinnen, die schon lange dabei sind.“

Starkes Trainingsumfeld in Tübingen

Mittlerweile trainiert Eva Dieterich in der Tübinger Trainingsgruppe von Isabelle Baumann mit, unter anderem mit Hanna Klein (LAV Stadtwerke Tübingen) und Maximilian Thorwirth (SFD 75 Düsseldorf-Süd). „Das ist eine große und starke Trainingsgruppe, was einen wirklich motiviert. Und ich kann von den Topathleten auch noch etwas lernen.“ Als nächstes steht für Eva Dieterich die Cross-Saison im Fokus, für die sie sich einen Start bei den Europameisterschaften in Turin (Italien; 11. Dezember) zum Ziel gesetzt hat.

Dass sie im nächsten Jahr keinen Underdog-Status mehr haben wird, ist Eva Dieterich bewusst: „Ich habe in diesem Jahr schon gemerkt, dass ich häufiger angekündigt wurde. Ich sehe mich zwar immer noch nicht da, wo die anderen Topläuferinnen sind, aber ich komme gut mit Druck zurecht und es pusht mich auch, noch mehr zu geben.“

Im Video:

Dramatisches Finish: Sara Benfares und Eva Dieterich teilen sich Gold

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