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"Laufen ist Leben": 82-jährige Sigrid Eichner und ihre mehr als 2.300 Marathons

Marathons gehören zum Alltag von Sigrid Eichner. Mehr als 2.300 hat die 82-Jährige schon bestritten, in Dubai oder im Death Valley. "Laufen ist Leben", sagt sie, und Mediziner stimmen ihr zu – warnen jedoch zugleich davor, dass sich extremer Ausdauersport auch negativ auf die Gesundheit auswirken kann.
dpa/sb

Sigrid Eichners Leben ist ein Marathon. Ihre große Leidenschaft ist nicht schwer zu erkennen. Rund 900 Medaillen – kreisrund, silbern, golden, in bunten Farben oder mit Palmenmotiv – schmücken ihre Wand in Berlin-Friedrichshagen. Dutzende Pokale reihen sich mit Urkunden in die Trophäensammlung der Rentnerin ein. Sigrid Eichner ist 82 Jahre alt, Jahrgang 1940 – und schon mehr als 2.300 Marathons gelaufen, wie sie selbst sagt. Darunter Hunderte Ultraläufe, also jenseits der magischen Grenze von 42,195 Kilometern.

Wo andere Menschen gerne Urlaub machen, zieht sich die Berlinerin seit rund 44 Jahren ihre Laufschuhe an. Mallorca, Dubai, Lissabon. Statistisch gesehen erweitert die 82-Jährige ihre Sammlung jede Woche um einen weiteren Wettkampf. Wieso? Für die passionierte Sportlerin leicht zu beantworten: "Laufen hängt ja mit Bewegung zusammen und bei der Bewegung merkst du, dass du lebst. Also Laufen ist Leben."

1976: Umzug nach Berlin und Suche nach neuer Sportart

Bei ihren Runden um den Müggelsee bekomme sie den Kopf frei, ohne Handy, ohne Musik. "Du läufst, du siehst, du hörst die Vögel, die Straßenbahn. Du hörst quatschende Leute." Zum Joggen kam die studierte Ingenieursökonomin, als sie 1976 mit ihrer Familie innerhalb der DDR nach Berlin zog und sich nach neuen Sportarten umsah. "Da bin ich eben auf Läufer gekommen, die gelaufen sind im Park. Und da wurde es dann mehr. Zehn Kilometer, 15 Kilometer."

Und aus dem ersten Marathon wurden schnell drei- und sogar vierstellige Strecken. Zum Beispiel: rund 217 Kilometer durch die Wüste des Death Valleys ("Tal des Todes"), die Eichner mit 64 Jahren in zwei Tagen, vier Stunden und 45 Minuten lief. Oder der 245 Kilometer lange Ultralauf ohne Pause von Athen bis nach Sparta, Zeitlimit: 35 Stunden. Eichner bestritt auch mehrere Europaläufe, unter anderem Tausende Kilometer von Lissabon bis nach Moskau, wie sie sagt.

Erste Frau in der Weltrangliste des "100 Marathon Clubs"

Mit diesen Leistungen belegt sie laut Angaben des 100 Marathon Clubs Deutschland den ersten Platz in der Frauen-Weltrangliste der am meisten gelaufenen Marathons. Bei dem gemeinnützigen Laufverein können Sportlerinnen und Sportler, die mindestens 100 Marathons oder längere Strecken absolviert haben, Mitglied werden. Momentan zähle der Club über 420 Mitglieder. Davon hätten 17 teils bei deutlich mehr als 1.000 Marathon- und Ultraläufen mitgemacht. "Sigrid Eichner ist also sicherlich eins der bemerkenswertesten Mitglieder unseres Vereins", erklärt eine Sprecherin. In Bezug auf das Alter habe sie jedoch kein Alleinstellungsmerkmal. Knapp 30 Mitglieder seien über 80 Jahre alt.

Auch laut der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV) ist Eichner eine Ausnahme. Denn überwiegend liege der Schnitt bei etwa zwei Ultraläufen und einem Marathon pro Jahr. Nur sehr wenige Aktive bestreiten demnach mehr als zehn solcher Wettkämpfe. Vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019 hätten rund 11.300 Menschen aus Deutschland mindestens einen Ultralauf absolviert.

"Überdosis tunlichst vermeiden"

Ein Marathon sei eine großartige Veranstaltung und auch Ausdauersport grundsätzlich gesund, findet der Sportmediziner Dr. Hans-Georg Predel von der Deutschen Sporthochschule Köln. "Wenn man Sport als Event betrachtet, dann ist natürlich gerade auch ein Marathon sicherlich ein großartiges Erlebnis und für viele Menschen auch immer wieder in Kombination mit touristischen Aktivitäten toll." In extremer Form machen es Läuferinnen und Läufer aus Sicht des Kardiologen aber nicht für die Gesundheit, sondern vor allem für das Erlebnis.

"Wir wissen aus vielen Studien, dass Sport wie ein Medikament wirkt. Doch auch das beste Medikament, das wir für die Herz-Kreislauf-Medizin oder für Infekte haben, hat eine Überdosierung, die man auch tunlichst vermeiden sollte." Bei Menschen ab 45 und 50 Jahren zeigten viele aktuelle Untersuchungen, dass sich extremer Ausdauersport auch negativ auf das Herz auswirken kann. "Es kommt offensichtlich zu einer besonderen Form von Herzrhythmusstörung, dem sogenannten Vorhofflimmern. Das ist nicht kleinzureden", erklärt der Professor vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin. Dazu kämen orthopädische Probleme wie etwa am Kniegelenk oder an den Füßen.

Menschen, die einen Marathon laufen wollen, empfiehlt Predel daher: "Dass man erst mal Respekt hat vor dieser sportlichen Herausforderung. Wir meinen, man muss sich mindestens drei bis vier Monate, besser sechs Monate vorher vorbereiten." Dazu gehören regelmäßiges Training, gute Laufschuhe und vorher ein ärztlicher Check. Auch eine Laufgruppe sei sinnvoll.

Erstmals Tränen beim Zieleinlauf 2022 in Berlin

Zum Athletiktraining geht auch Sigrid Eichner einmal die Woche. Trotz mehrerer Operationen, wie zum Beispiel im September an den Augen, möchte sie weiter joggen. Durch die OP habe sie sich nicht richtig auf den Berliner Marathon Ende September vorbereiten können. Er sei ihr "emotional schwerster" Wettkampf jemals gewesen, erzählt sie: "Deswegen, weil ich ab Kilometer 10 bis zum Ziel Wadenkrämpfe hatte. Ich bin dann in gebückter Haltung gelaufen und hatte immer das Zeitlimit im Auge."

Ein netter Läufer habe ihr geholfen, nach über sieben Stunden ins Ziel zu kommen. "Die Anspannung war so groß, als wir über die Ziellinie kamen, liefen mir die Tränen runter. Bei keinem meiner Läufe, bei den ganzen 2.300 Läufen, sind mir jemals die Tränen gekommen", sagt Eichner. Und der Berliner Marathon nächstes Jahr? Die 82-Jährige ist sich sicher: "Natürlich will ich den mitlaufen."

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