| Interview

Ingrid Meier: "Ich laufe, solange ich gesund bleibe"

Bei den Hallen-Weltmeisterschaften im polnischen Torun Anfang April rettete sie als Schlussläuferin in der Altersklasse W70 mit einem packenden Finish in der 4x200-Meter Staffel-Gold. Die dazugehörige DLV-Instagram-Fotoserie machte sie über den Masters-Bereich hinaus bekannt. Ein Gespräch mit Ingrid Meier (LAC Quelle Fürth) über die spannende Staffel-Schlussrunde, das Geheimnis lockeren Laufens, der Umgang mit der Krebsdiagnose, zur Heilkraft des Sports und die wirklichen Highlights in der globalen Masters-Leichtathletik.
David Deister

Ingrid Meier, besser konnte die Hallen-WM in Torun Ende März für Sie nicht verlaufen: Zweimal Gold bei den 75- bis 79-Jährigen. 10,04 Sekunden über 60 Meter und 35,54 Sekunden über 200 Meter. In der 4x200-Meter-Staffel halfen Sie an Ihrem 76. Geburtstag noch bei der W70 aus und retteten als Schlussläuferin die Goldmedaille.

Ingrid Meier:
Nach der Stabübergabe lagen wir hinter den Führenden aus Großbritannien. Leider machte ich den Fehler, in der Kurve zu überholen. Auf der Zielgeraden merkte ich durch die lauten
Anfeuerungen der Zuschauer, dass die Britin mir dicht auf den Fersen sein musste, was meinen Ehrgeiz weckte und ich alles gab. Leider war es dann vorbei mit meinem sonst so lockeren Laufstil. Mit letzter Kraft brachte ich an der Ziellinie den Oberkörper nach vorne, die Beine jedoch nicht, was dann zum Sturz führte. „Du hast es geschafft, du hast uns die Goldmedaille gebracht“, riefen mir die Staffelkameradinnen zu. Wir waren sehr erleichtert und glücklich.

Normalerweise stehen Sie für einen ganz lockeren und schön anmutenden Laufstil. Kann man das lernen?

Ingrid Meier:
Lernen kann man diese Begabung nicht, aber durch körperliches und mentales Training verbessern. Starts und Läufe gehe ich oft mental durch. Nervosität raubt Energie, da ist es besser, hinter dem Startblock zu stehen und sich auf den nächsten Lauf zu freuen und dankbar zu sein, dass man laufen darf. Im Callroom ist es mir schon gelungen, durch Witzeerzählen meine Mitstreiterinnen locker zu machen.

Wie haben Sie zur Leichtathletik gefunden?

Ingrid Meier:
Begonnen hat es in der Schulzeit bei den Bundesjugendspielen. Später im Verein. So richtig ging es erst im Seniorenbereich los, 1990 bei den Deutschen Meisterschaften in Erding und 1991 im finnischen Turku an einer WM. Ich war ein totaler Neuling, fand dort alles ganz aufregend und toll. Über die 100 m wurde ich Neunte und bei W40 4x100-Meter-Weltmeisterin mit Weltrekord.

In den Jahren 2017 und 2018 lagen die Hochs und Tiefs ganz dicht beieinander. 

Ingrid Meier:
Ja, 2017 war für mich ein super Jahr, mit drei Weltrekorden. 14,73 Sekunden über 100 Meter, 31,30 über die 200 Meter-Strecke und 1:04,28 Minuten in der 4 x 100 Meter-Staffel. 2018 war ich durch eine Verletzung längere Zeit außer Gefecht gesetzt, doch im Herbst nach einer Ayurveda-Kur in Sri Lanka gereinigt an Körper und Seele, voller Energie und bester Stimmung zurückgekehrt. Kurz darauf erhielt ich leider die Diagnose Brustkrebs.

Im ersten Moment habe ich mir das Schlimmste vorgestellt und wollte alles um mich geordnet haben. Zwölf Chemotherapien und 30 Bestrahlungen musste ich über mich ergehen lassen und ehrlicherweise gab es die eine und andere Situation, wo mich der Mut verlassen hat. Ich musste einen Umgang mit der Krankheit finden. Zum Glück standen mir Familie, Freunde und viele meiner Sportfreundinnen zur Seite. Besonders meine Freundin Karin Förster [LC Paderborn; Anm. d. Red.] half mir aus so manchem Tief. Sie war der Motor, Ziele zu setzen, und sorgte für die Planung für Reisen und Anmeldung zu Wettkämpfen.

Sport machen zu können als Bewährungsprobe für das "richtige Leben“, als Grundrezept und übergeordnetes Ziel zugleich?

Ingrid Meier:
Auch der Sport und die Erfahrungen in der Leichtathletik haben mir immens geholfen. Jedoch hat es viel Kraft gekostet, mit dem Training anzufangen. Mit war bewusst, dass ich aufpassen musste und nicht übertreiben durfte. Auch mein Arzt ermutigte mich, weiterhin Sport zu treiben, weil das das Beste ist, was ich für meinen Körper tun kann.

Nach der Hallen-WM in Torun haben Sie nunmehr sage und schreibe 88 Medaillen von EM und WM auf ihrer Habenseite, darunter 68 goldene, 13-mal Silber und siebenmal Bronze. Was bedeuten Ihnen diese Medaillen?

Ingrid Meier:
So viele Medaillen zu haben und vorne mitlaufen zu können ist schön. Ab und zu guckt man mal auf die Rekordliste, doch dafür war meine „Trainingspause“ zu groß. Was bleibt, sind vor allem die Erfolgserlebnisse in Einzelwettkämpfen und den Staffeln. Wichtig ist mir, immer wieder schöne Ziele zu haben, das Wiedersehen der Sportfreunde, gemeinsame Erlebnisse und das Kennenlernen anderer Länder und Kulturen. Wenn sich am Ende noch Medaillen und Rekorde ergeben, ist das eine feine Sache.

Und wie lange wollen Sie der Masters-Leichtathletik treu bleiben?

Ingrid Meier:
Solange ich gesund bleibe, gut laufen und mit Freude vorne dran sein kann. Es ist schon eine schöne Bestätigung, Leute sagen zu hören: Bei dir schaut das Laufen „so gut“, „so locker“ oder gar „so schön“ aus.

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