| Jubiläum

8,71 Meter: 10 Jahre Hallen-Europarekord von Sebastian Bayer

Letzter Wettbewerb der Titelkämpfe. Letzter Versuch. Und dann: Staunen, Kopfschütteln, Fassungslosigkeit und grenzenloser Jubel. Heute vor zehn Jahren hat Sebastian Bayer bei den Hallen-Europameisterschaften in Turin den Hallen-Europarekord im Weitsprung auf 8,71 Meter gesteigert.
Silke Bernhart

Sebastian Bayer hatte die Goldmedaille schon sicher, als er am 8. März 2009 in Turin (Italien) zum letzten Mal am Anlauf stand. Mit 8,29 Metern hatte er im Weitsprung-Finale der Hallen-EM vorgelegt, und keiner konnte vorbeiziehen. Es war der letzte Wettbewerb der Titelkämpfe. Der allerletzte Versuch. Die deutsche Live-Übertragung war bereits beendet, als der damals erst 22-Jährige abhob, durch die Luft schwebte und eine Marke hinterließ, die bei ihm selbst und bei allen Beteiligten für Fassungslosigkeit sorgte.

8,71 Meter. In der Halle. Von einem jungen Athleten, der erst wenige Minuten zuvor seinen Hausrekord von 8,17 auf 8,29 Meter verbessert hatte. Die Sensation der Titelkämpfe war perfekt, und dazu ein Moment für die Geschichtsbücher. Denn Sebastian Bayer, der damals für das Bremer LT startete, pulverisierte zugleich den Hallen-Europarekord, der zuvor mit 8,56 Metern vom Spanier Yago Lamela gehalten wurde.

Nur acht Zentimeter fehlten zum Hallen-Weltrekord von Carl Lewis (USA). Kein Athlet hat in der Halle seit dem Sprung von Sebastian Bayer auch nur die 8,50-Meter-Marke überbieten können. Der nächstbeste Sprung eines Europäers gelang zuletzt bei der Hallen-EM in Glasgow (Großbritannien) Sieger Miltiádis Tentóglou (Griechenland; 8,38 m). Fakten die unterstreichen, als wie herausragend die Leistung des deutschen Weitspringers noch immer gelten muss.

Ein Sprung wie im Rausch

"Ich kann es selbst noch immer nicht fassen. Ich war irgendwie im Rausch. Ich hatte Gold in der Tasche. Ich hörte gerade die Nationalhymne für Hochsprung-Siegerin Ariane Friedrich. Mich überlief eine Gänsehaut und der letzte Versuch ist immer etwas ganz Besonderes. Es kam sehr viel zusammen." Mit diesen Worten versuchte Sebastian Bayer damals, seine Gefühlswelt zu beschreiben.

Und heute? "Ich weiß noch genau, was vorher und nachher passiert ist. Die Korrekturen, die ich umsetzen sollte. Ich weiß noch, dass es mir schien, als wäre ich eine Ewigkeit in der Luft gewesen. Aber der Sprung selbst, den habe ich noch nie wirklich vor Augen gehabt", sagt Sebastian Bayer zehn Jahre nach dem Rekordsprung. Es war einfach ein magischer Moment. In dem er die Motivation der deutschen Hymne, die Euphorie feiernder italienischer Staffelläufer und das Wissen um die sichere Goldmedaille in einen perfekten Sprung ummünzte.

"Das war Weltrekord!"

Und dann kam der Jubel. "Das war Weltrekord!" habe Frauen-Bundestrainer Uli Knapp nach dem Versuch gerufen. Auch Männer-Bundestrainer Uwe Florczak, später beim Hamburger SV Bayers Heimtrainer, sowie sein damaliger Heimtrainer Joachim Schwarzmüller waren aus dem Häuschen. "Bleibt mal ganz locker", habe er zunächst selbst gedacht. Denn mit einer Weite von 8,71 Metern hatte er nicht gerechnet, eher auf 8,40 oder 8,50 Meter getippt.

Einer der ersten Gratulanten: Mitstreiter Nils Winter, der Silber holte. "Nils hat vielleicht den Wettkampf seines Lebens gemacht, und keiner hat's so richtig mitbekommen", sagt Sebastian Bayer. "Das tut mir jetzt immer noch leid für ihn." Nils Winter war mit 8,22 Metern bis auf drei Zentimeter an den vorherigen deutschen Hallenrekord von Dietmar Haaf herangesprungen. Er trug damals den neuen Hallen-Europarekordler Sebastian Bayer auf Schultern durch die Arena und begleitete ihn auf der Ehrenrunde.

Die Runde war der Auftakt zu einem Medienmarathon. In Turin und in der Heimat wollten alle den jungen Mann kennenlernen, der scheinbar die Schwerkraft überwunden hatte. "Es war ein großes Interesse, ich war in all diesen Sendungen eingeladen, vom 'Morgenmagazin' bis zum 'aktuellen Sportstudio'. Irgendwann war es mir einfach zu viel. Und ich bin mit Uwe [Florczak] eine Woche früher ins Trainingslager gefahren", blickt Sebastian Bayer zurück.

"Froh und dankbar"

Nils Winter war einer der Wegbegleiter, die zehn Jahre später zu den Gratulanten für das Rekord-Jubiläum zählten. Auch während der Hallen-EM in Glasgow, wo in einer Galerie die Hallen-Europarekordler präsentiert wurden, ist Sebastian Bayer zuletzt viel auf die Leistung von Turin angesprochen worden. Der 8. März 2019 steht jedoch ganz im Zeichen seiner zweiten Karriere – der als Trainer. An der DLV-Trainerakademie in Mainz absolviert der heute 32-Jährige zurzeit seine A-Trainer-Ausbildung.

Als Koordinator Leistungssport der Leichtathletik-Abteilung des Hamburger SV wird der ehemalige Weitspringer künftig der nächsten Generation seine Erfahrung und sein Wissen mitgeben. Ihnen kann er berichten, was man mit Spaß am Sport und Ehrgeiz im besten Fall erreichen kann. Aber auch was passiert, wenn man plötzlich ins Rampenlicht springt, wenn die Erwartungen steigen und wenn man auf einmal an einer Weite gemessen wird, die in der Halle zehn Jahre zuvor und zehn Jahre danach kein einziger Athlet der Welt überbieten konnte.

Sebastian Bayer schaffte es damals, sich weiter auf die sportlichen Ziele zu konzentrieren. Er kratzte 2009 auch im Freien mit 8,49 Metern am deutschen Rekord. Wurde 2011 ein weiteres Mal Hallen-Europameister. Und 2012 auch Europameister im Freien sowie Fünfter der Olympischen Spiele. Ein Sprung wie in Turin aber gelang dem hochbegabten Weitspringer nicht mehr, auch weil er immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen wurde. Die Bewertung des historischen Moments fällt dennoch nach wie vor positiv aus: "Ich bin froh und dankbar, dass ich den Rekord noch immer habe."

<link https: www.youtube.com _blank>Zum Video des Sprungs auf YouTube

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