Henry Wanyoike - "Ich wollte ein Held sein"
Henry Wanyoike, der im Mai 1995 aufgrund einer Netzhauterkrankung über Nacht sein Augenlicht zu 95 Prozent verlor, trat beim Marathon in Frankfurt mit einem ganz bestimmten Ziel an: "Ich will den Abstand zu den Sehenden weiter verringern." Doch sein Hauptziel ist es, verzweifelten Menschen zu zeigen, wie wichtig es ist, die Hoffnung und sich selbst nie aufzugeben.
Er ist der überragende Läufer unter den Blinden. (Foto Herrlitz)
Henry Wanyoike aus Kenia ist Weltrekordhalter über 5.000 Meter (15:17 min), 10.000 Meter (32:34 min), sowie im Marathonlauf (2:33 h) der Blinden. Der 30-Jährige gewann bei den Paralympics in Sydney 2000 die Goldmedaille über 5.000 Meter und vor wenigen Wochen in Athen zwei weitere Goldmedaillen. Seinen Marathon-Weltrekord stellte Henry Wanyoike im April 2004 in Boston auf.Von seinem Sport leben kann er allerdings im Gegensatz zu vielen sehenden Athleten nicht. "Als Blinder verdient man nicht besonders viel Geld." Finanzielle Unterstützung erhält er von der Christoffel-Blindenmission (CBM). Mit seinem Start in Frankfurt wollte er auch dazu beitragen, das Anliegen der CBM, blinden Menschen in Afrika zu helfen, bekannter zu machen. Zur CBM hat Henry Wanyoike eine ganz besondere Beziehung. Das Augenhospital in seiner Heimatstadt Kikuyu, wo seine Erkrankung festgestellt wurde, wird von der Christoffel-Blindenmission gefördert.
Psychische Probleme
"Es dauerte zwei Wochen, bis ich den Verlust meines Augenlichts akzeptieren konnte. Nachdem mir klar war, dass ich wirklich blind bin, bekam ich psychische Probleme." Eine wichtige Helferin in dieser schwierigen Zeit war Petra Verweyen, die seinerzeit im Auftrag der CBM das Low-Vision-Programm in Kikuyu leitete: "Er war hilflos und traurig als er kam. Er kann kaum sehen, nimmt schemenhaft aus einem Meter Entfernung wahr, was wir in 60 Meter Entfernung lesen können."
Henry Wanyoike hat sein Schicksal akzeptiert und seitdem Unglaubliches geleistet. Er wollte Läufer bleiben, wie seit 1985, als er sein erstes offizielles Rennen an der Schule über 10.000 Meter gewann. Doch er wollte mehr – internationale Siege und Weltrekorde. Ein Held sein. So wie vor vier Jahren in Sydney, als ihn kaum ein Journalist kannte und die Erfolgsgeschichte ihren Anfang nahm. Henry Wanyoike war damals schneller als sein Führungsläufer, mit dem er durch ein Band am Handgelenk verbunden ist. Dieser strauchelte, Henry Wanyoike stemmte ihn hoch und schleppte ihn bis ins Ziel. Selbst Hollywood-Star Arnold Schwarzenegger war begeistert: "Welche Leistung! From zero to a hero!"
Wer führt so schnell?
Eines der Probleme des Henry Wanyoike ist, einen Führungsläufer zu finden, der mindestens genauso schnell ist wie er selbst. Oft benötigt er mehrere Guides für einen Marathon, da er für seine Helfer zu schnell ist. In Athen hatte er dieses Problem gut gelöst. Der Österreicher Michael Buchleitner, selbst Olympia-Teilnehmer im Marathon von Athen, führte ihn zum Sieg und Weltrekord über 5.000, nachdem Henry Wanyoike gleiches mit anderem Guide bereits über 10.000 Meter gelungen war.
Ein anderes Problem trat beim Wien-Marathon 2003 auf. Ein Läufer überholte ihn und stoppte dann abrupt ab. Der blinde Kenianer stieß gegen seinen Vordermann und stürzte auf den Asphalt. "Das war ein Augenblick, in dem ich meine Behinderung bitter zu spüren bekam." Doch Henry Wanyoike lässt sich von diesen Problemen nicht beirren. Er möchte sich stetig verbessern, wie es ihm auch dieses Jahr gelungen ist. Bei den nächsten Olympischen Spielen in Peking will er seine Bestzeit über 10.000 Meter auf 28 bis 29 Minuten verbessern.
Anderen helfen
Gestern in Frankfurt reichte es leider nicht zu einem neuen Weltrekord. Mit 2:46:34 Stunden blieb er deutlich hinter seiner Bestleistung zurück. Allerdings hat Henry Wanyoike sich im Jahr der Paralympics auch hauptsächlich auf die 5.000 und 10.000 Meter vorbereitet. Der Marathon stand da eher im Hintergrund.
Henry Wanyoike ist längst eine Institution in Afrika. Als Botschafter der CBM-Aktion "Licht für die Welt" ist er ständig unterwegs, spendet einen Großteil seiner Prämien für karitative Zwecke in seiner Heimat. So hat er zum Beispiel ein Projekt in die Welt gerufen, das Waisen hilft. Bisweilen lernt er den einen oder anderen Star kennen. Etwa Sänger Paddy Kelly, der sich ebenfalls für "Licht für die Welt" einsetzt. Der Popstar erfuhr in einem Selbstversuch, was es heißt, blind zu sein. Mittels einer Binde und einer Brille verlor Paddy Kelly für 36 Stunden sein Augenlicht. "Akzeptiere, dass Du jetzt blind bist. Wer akzeptiert, der überlebt", sagte Henry Wanyoike zu Paddy Kelly.
Mehr:
www.henry4gold.com
Buchtipp:
Henry Wanyoike: Mein langer Lauf ins Licht.
Der schnellste blinde Marathonmann der Welt über sein unglaubliches Leben. Erzählt von Bengt Pflugthaupt. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 8,90 Euro