Ana Guevara – Im Steigerungslauf auf Jackpot-Kurs
Als sie am 16. August in Zürich durch das Ziel jagte, ihre Konkurrentinnen mit Abstand im Schlepptau, und die Uhr bei 49,16 Sekunden stehen blieb, freute sie sich diebisch. Gründe gab es gleich eine ganze Menge für den herzlichen Jubel von Ana Guevara. Es war nicht nur der fünfte Sieg in der Golden League, sondern auch ein neuer Landesrekord und natürlich eine neue Weltjahresbestmarke. Wirft man einen tiefen Blick in die Statistiken, stellt man fest, dass es auch die schnellste Zeit über 400 Meter bei den Frauen seit den Olympischen Spielen 1996 war.
Ana Guevara eilt in diesem Jahr auf und davon (Foto: Chai)
Bemerkenswert ist in diesem Sommer, dass sich Ana Guevara von Rennen zu Rennen gesteigert hat. In Ciudad de Mexico gab sie im März ihr Saisondebüt, noch in 51,28 Sekunden. Vor dem Sieg in Oslo am 28. Juni (50,45 sec) lief sie sich in Tijuana mit 51,02 Sekunden warm. Anfang Juli liess sie in Paris Saint-Denis die Uhr bei exakt 50,00 Sekunden stoppen, um dann beim nächsten Golden-League-Einsatz in Rom in 49,51 Sekunden die 50-Sekunden-Schallmauer zu durchbrechen. Die Zeiten von Monaco und Zürich, wo sie in 49,25 und 49,16 Sekunden in einer Dimension lief, von der viele andere 400-Meter-Läuferinnen nur träumen, sprechen für sich und werfen die Frage, auf, ob die Mexikanerin in der Lage ist, ihre Saisonbestzeit noch weiter zu verbessern.Im letzten Jahr schrieb Ana Guevara in Edmonton als erste Mexikanerin, die bei einer Weltmeisterschaft eine Medaille holte, ein kleines Stück Leichtathletik-Geschichte. Das setzt sie in diesem Jahr eindrucksvoll fort und qualifiziert sich schon jetzt für die nächste WM 2003 in Paris als heiße Goldkandidatin. Aber nicht erst der dritte Platz, den sie sich in Alberta im vergangenen August erlaufen hatte, ließ die Experten auf die 25-jährige Mexikanerin aufmerksam werden. Bereits 2000 stand sie bei den Olympischen Spielen in Sydney im Endlauf und schlug sich dort als Fünfte wacker. In den beiden letzten Jahren lief sie die Stadionrunde auch bereits unter fünfzig Sekunden und stieß damit noch im Schatten anderer in die Weltspitze vor.
Die Lücke von Cathy Freeman geschlossen
Ana Guevara schliesst aber nun die Lücke, die Cathy Freeman hinterlassen hat und in diesem Jahr noch nicht wieder selbst füllen konnte. Sie dürfte auch für Katherine Merry und Weltmeisterin Amy Mbacke Thiam Motivation genug sein, an alle Zeiten anschliessen und ihr Konkurrenz machen zu wollen.
Dabei hat es für den neuen 400-Meter-Star ganz untypisch angefangen. Sie landete beim Basketball und wollte dort dem Olympischen Gedanken nacheifern. Zum Sprung in die Nationalmannschaft hat es nicht gereicht, denn bevor es überhaupt dazu kommen konnte, wurde eines Tages ihr Lauftalent erkannt und ihre Teamkollegin Carmen Urquidez überzeugte sie davon, dass sie sich der Leichtathletik zuwenden sollte.
Heute glaubt Ana Guevara, dass ihre Basketball-Vergangenheit ein Plus darstellt. Vor allem, weil sie von Verletzungen verschont geblieben ist und deshalb hart und gut an ihren schnellen Zeiten arbeiten konnte. "Dieser Sport hat mir eine gute Grundlage für die Leichtathletik mitgegeben." Mit Marion Jones gibt es übrigens noch eine weitere Läuferin, die auf einen Abstecher zum Basketball zurückblickt.
Starkes Finish als große Stärke
Das starke Finish auf den letzten 100 Metern ist die große Stärke der schnellen Mexikanerin. Dort gibt sie Gas und meint deshalb: "Auf den ersten 300 Metern kann man aber erkennen, was noch möglich ist." Selbst traut sie sich in diesem Jahr schon zu, unter 49 Sekunden zu bleiben. Vielleicht fällt ja schon bald die nächste Marke. Auf den Jubel danach darf man sich bereits freuen!
"Ich laufe immer mein eigenes Rennen", sagt Ana Guevara, "mein Trainer Raul Barreda arbeitet eine Taktik für mich aus und ich versuche, mich daran zu halten." Ihr Fokus gilt aber ganz und gar in diesem Sommer der Golden League.
"Das ist für mich eine große Motivation und man braucht nicht überrascht sein, dass man mich kaum bei anderen Sportfesten sieht. Es reicht, dass ich mich auf sieben Siege in sieben Rennen konzentrieren muss." Fünf hat sie bereits in der Tasche. Zwei fehlen ihr noch. Am 30. August in Brüssel geht es um Nummer sechs und eine Woche später kann sie in Berlin beim ISTAF (6.9.) ihren Anteil an den 50 Kilo Gold endgültig eintüten. Ihren Auftritten in den letzten Wochen nach zu urteilen, bleibt nur eine Erkenntnis: Vorteil Ana Guevara! Die Konkurrenz wird sich schwer tun, Schritt zu halten. Dem stimmt auch die deutsche Staffel-Europameisterin Grit Breuer zu: "Ich denke, sie wird die sieben Golden-League-Siege nach Hause laufen."