Andre Bucher kennt keine Niederlage
Das hätte er sich nicht träumen lassen: Bei der Hallen-EM in Wien trat er als Top-Favorit an und musste letztendlich mit der Silbermedaille zufrieden sein. Andre Bucher wurde im Ferry-Dusika-Stadion hinter dem Polen Pawel Czapiewski "nur" Zweiter über die 800 Meter, geschlagen um 15 Hunderstel Sekunden. Dabei lief er noch Schweizer Hallenrekord und konnte sich selbst wirklich gar nichts vorwerfen: "Ich habe alles richtig gemacht." Was niemand anzweifeln kann, denn so schnell war der Weltmeister von 2001 in der Halle noch nie.
Schweizer Nationalheld Andre Bucher ist EM-Botschafter von München. Foto: Chai
In Edmonton den Goldgipfel erklommenDoch die Tatsache, dass der Schweizer in Wien am Hallen-Titel vorbeischrammte, zeigte einmal mehr: der Weltmeister ist auch nur ein Mensch und keine Maschine.
Dabei ist Silber durchaus keine ungewohnte Farbe für den 25-jährigen aus Neudorf. Er hat so seine Erfahrungen mit den zweiten Rängen. Bei der Junioren-EM 1995 im ungarischen Niregyhaza, bei der U23 EM 1997 im finnischen Turku, bei der EM 1998 in Budapest und bei der Universiade 1999 auf Mallorca regnete es jeweils Silber. Kaum ein Athlet zeigte sich so konstant wie Andre Bucher. Und 2001 bei der WM im kanadischen Edmonton, konnte er endlich den Gipfel erklimmen - holte sich die Goldmedaille über seine Spezialstrecke. Überhaupt war das Jahr 2001 sein Jahr, die Konkurrenten bissen sich die Zähne aus an dem zähen Burschen.
Den Schweizer Skistars den Rang abgelaufen
Der blonde Schweizer gilt als sehr bodenständig. Glitter, Glamour, Stars und Sternchen ist nicht seine Welt. Im Gegenteil, manchmal ist es ihm sogar unangenehm, erkannt zu werden. "Ich glaube nicht, dass ich in diese Szene gehöre", sagt er abwehrend. Doch gegen seine Popularität ist er machtlos. Zumal er in seinem Heimatland inzwischen bekannt ist, wie ein "bunter Hund" und den normalerweise erheblich populäreren Skistars in unserem Nachbarland längst den Rang abgelaufen hat. Der beste Beweis: der 25-jährige Leichtathlet wurde zum Sportler des Jahres in der Schweiz gewählt. Und dies bereits zum zweiten Mal. Und darauf ist der blonde Weltklasse-Läufer wirklich stolz: "Die Auszeichnung ist eine große Ehre für mich, zumal es sich um eine Publikumswahl handelt", freute sich Bucher. Doch nicht nur seine Landsleute honorieren die Leistungen und das bescheidene Auftreten ihres Sympathieträgers. Gleichzeitig wurde er zu Europas Leichtathlet des Jahres 2001 gekürt. Wunder war dies keins: er war der überragende Sportler auf der Bahn im vergangenen Jahr. In Wien wurde der hochgewachsene Schweizer zum elften EM-Botschafter für die Leichtathletik-EM in München berufen. In diversen Interviews sprach Andre Bucher auch schon von der "Europameisterschaft, die quasi vor der Haustür stattfindet".
"Kenne keine Niederlage"
Andre Bucher ist ein Optimist, der sich nicht so schnell unterkriegen lässt. Auf die Frage nach seiner "größten Niederlage", sagt der Olympiafünfte von Sydney ganz einfach: "Die gibt es nicht. Eine Niederlage ist, wenn man die Flinte ins Korn wirft und aufhört. Ich kenne so etwas nicht. Ich konnte bisher aus jedem Rückschlag etwas Positives ziehen." Der 25-Jährige liebt seine Disziplin, empfindet das Laufen, "als das Natürlichste, das es gibt." Es gefällt mir, dass ich bei jeder Witterung draußen rennen kann, selbst wenn es kalt ist oder regnet." Er hat das Laufen deshalb ausgewählt, weil sie in und mit der Natur stattfindet.
Der 1,86 Meter große Athlet begann schon in der Grundschule, sich für das Laufen zu interessieren. Sein Trainer Andreas Vögtli hat ihn behutsam aufgebaut und in die Weltklasse geführt und ist heute noch sein wichtigster Ratgeber und Betreuer. Andre Bucher hat seine Ausbildung zum Grundschullehrer abgeschlossen, doch sein Geld verdient er im Augenblick als Lauf-Profi. Nebenbei versuchte sich der Schweizer auch schon über 3000 m Hindernis (9:09,73 min), über 10 000 m (30:40,5 min), über 5000 m (14:06,77 min) oder 400 m (47,58 sek). Doch diese Zeiten sind Nebenprodukte für den 25-Jährigen, der sich gerne Kinofilme ansieht und in der Vergangenheit spektakuläre Reisen in diverse Trainingslager unternommen hat. Kontinente und Länder wie Australien oder Mexiko sind ihm nicht unbekannt. "Wenn ich ausspannen will, spreche ich über alles, nur nicht über Sport", sagt Andre Bucher.
EM-Vorbereitung in Sankt Moritz
Doch von Relaxen spricht in den kommenden Monaten in seinem Umfeld keiner, am wenigsten der Weltmeister selbst. Denn der Mittelstreckenläufer will in München seinen ersten EM- Freilufttitel holen. Dafür bereitet er sich im Höhentrainingslager in St. Moritz vor. Denn er weiß: leichter als in Wien wird es sicher nicht werden. Im Gegenteil, es ist anzunehmen, dass einige hochkarätige Gegner mehr auftauchen werden. Aber wie sagte Bucher noch: "Die größte Niederlage ist, wenn man die Flinte ins Korn wirft und aufgibt." Man kann darauf wetten, dass er auch aus seinem zweiten Platz in Wien wieder "positive Rückschlüsse" gezogen hat. Und eins ist auch klar: so etwas wie in Wien - dass er sich die Butter noch vom Brot nehmen ließ, obwohl er zeitweise rund 20 Meter Vorsprung herausgelaufen hatte - passiert einem wie ihm nur einmal.